#20JahreHO

Heiße Online-Debatten: Rückblick einer Userin

Es gab oft Themen, da ging es heiß her in den Heise-Foren, bilanziert angelwing. Und fordert: Geht wieder mehr auf die User ein, nehmt sie ernst und zeigt ihnen, dass sie euch wichtig sind.

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20 Jahre heise online
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Ein User-Beitrag von angelwing
Inhaltsverzeichnis

Als ich 2001 online ging, machte mich mein Bruder auf die Diskussionsforen bei Heise aufmerksam und richtete den Newsticker als Startseite ein. Als Physiotherapeutin hatte ich mit den dortigen Themen nicht viel am Hut, aber ich habe den ein oder anderen Artikel mit Interesse gelesen, da ich immer bereit war über meinen Tellerrand hinauszuschauen.

20 Jahre heise online

Vor 20 Jahren, am 17. April 1996 fing mit der ersten Tickermeldung eigentlich alles an: Der Newsticker legte los und damit begann die eigentliche Geschichte von heise online, der Nachrichten-Site des Heise Verlags rund um IT, Hightech und die digitale Gesellschaft. In Artikelstrecken, Hintergrundbeiträgen und Aktionen mit Usern auf heise online wollen wir die Geschichte (und die Zukunft der digitalen Gesellschaft) beleuchten - und auch Party feiern. Stay tuned: Die Online-Themenseite #20JahreHO wird alle Artikel und weiterführenden Informationen rund um "20 Jahre heise online" versammeln.

Besonders interessiert haben mich gesellschaftspolitische Artikel. Und da gab es eine Reihe von Themen, die mich interessierten: Datensicherheit, Vorratsdatenspeicherung, Kinderpornografie und vieles andere. Vor allem die Artikel zur Kinderpornografie, dazu gab es in der Zeit fast wöchentlich einen neuen Beitrag, hatten es mir angetan, da ich während meiner Bundestagszeit in der ersten grünen Bundestagsfraktion zu dem Thema, zusammen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Frauen, gearbeitet hatte. Ich war mit beteiligt an der ersten Kampagne der grünen Frauen zum Thema Missbrauch.

So kam es wie es kommen musste: Meinen ersten Forenbeitrag schrieb ich in dem Diskussionsforum zu einem Artikel über Kinderpornografie. Und seit der Zeit habe ich rege bei diesen Diskussionen meine Meinung kundgetan. Und dann stolperte auch ich, wie vorher schon andere User, über den Verein Carechild, der in den Foren durch seinen Vorsitzenden Gabriel Gawlik, der inzwischen verstorben ist, an den Diskussionen teilnahm. Er fiel vor allem dadurch auf, dass er alle User, die nicht zu 100% seine Meinung vertraten, als Pädophile und Kinderschänder bezeichnete. Es fand sich dann eine Gruppe von Usern zusammen, die Carechild die Stirn bot und sich zusammenschloss.

Die Diskussionen in den entsprechenden Diskussionsforen bei Heise liefen teilweise über mehr als eine Woche. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.
Hier ein Beispiel: Das Forum zur Meldung "Kirchengemeinde mahnt 'Hexe' wegen Website ab". Ein Thread konnte dann schon mal sehr ausgedeht aussehen.

Eine kleine Gruppe von Usern schloss sich in einem internen Forum zusammen und beriet die Vorgehensweisen gegen Carechild. Es kam auch zu einem Usertreffen in der Lüneburger Heide. Entstanden ist dann das Trollforum.

In den Diskussionsforen wurde es ruhiger, als schließlich Gawlik sich nach einer "ernstgemeinten Ermahnung" von Jürgen Kuri zurückzog. (Die Antwort von Gawlik)

Das Posting ist in dem Thread nicht mehr zu finden, ist aber im Netz dokumentiert. Twister hat bei Telepolis auch etwas zu den Methoden von Carechild geschrieben.

Es gab verschiedene Prozesse im Zusammenhang mit Carechild. Heise hat einen, der bis zum BGH ging, verfolgt und dazu auch einen Artikel verfasst. Holger Voss, ein ehemaliges Mitglied des Trollteams, hat verschiedene Prozesse geführt. Es gab ein Strafverfahren wegen "Billigung von Straftaten". Und eines wegen Verbindungsdatenspeicherung.

Ein anderer Themenkomplex, der zu einem Zusammenschluss von Heise-Usern führte, waren Bürgerrechte, Datenschutz und Überwachung. In einem internen Forum entstand diese Gruppe, die es leider nicht mehr gibt- einen Artikel von mir dazu gibt es auch.

Stop1984 wurde von Jürgen Buchmüller (pullmoll) und Twister (Bettina Hammer) initiiert. Weitere User aus den Heise-Foren schlossen sich an. So auch ich. Es wurden Proteste in Form von Unterschriftenkampagnen und Petitionen gegen die Vorratsdatenspeicherung erarbeitet. EDRI, CCC, FITUG und andere schlossen sich an. Es war sowas wie der Start der Vernetzung verschiedener Interessensgruppen um Bürgerrechte.

Gegen die Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf gingen auch User von Heise und Mitglieder des Teams von stop1984 auf die Strasse. Twister ihrerseits hat später erfolgreich eine Verfassungsbeschwerde gegen die Legalisierung von Online-Durchsuchungen durch den Verfassungsschutz eingelegt, welche in das "Grundrecht auf digitale Intimsphäre" mündete.

Bürgerrechte blieben seitdem vielfach ein Thema, welches in den Heise-Foren aktiv diskutiert wurde. Ein weiterer Kritikpunkt waren die Internet- bzw. Kinderpornosperren (bzw. das Zulassungserschwerungsgesetz), die von Ursula von der Leyen vorgeschlagen wurden. Auch zu dem Thema Internetsperren habe ich auch zwei Artikel verfasst: Internetsperren verhindern keine Straftaten, aber Strafverfahren und Strafverfolgung oder Internetsperren?

Ja, damals ging es noch heiß her in den Heise-Foren. Es wurde nächtelang und über Wochen über ein Thema diskutiert, User schlossen sich zu einem politischen Thema zusammen, es gab einen regen Austausch zwischen Redakteuren/Moderatoren von Heise mit ihren Usern. Heise hat sich in dieser Zeit sehr aktiv an der Berichterstattung beteiligt und die Entwicklung mit Artikeln begleitet.

Aber all dies gehört heute eher der Vergangenheit an. Im Meinungenforum sind die Verantwortlichen nur noch wenig an Verbesserungsvorschlägen, Kritik oder Fehlerhinweisen interessiert. Rückmeldungen gibt es fast gar nicht mehr. Einige Vorschläge/Kritikpunkte können jährlich wiederholt werden, ohne dass man mit einer Antwort rechnen muss. Neuerungen in den Foren wurden vorgestellt, zum überwiegenden Teil in langen Diskussionen kritisiert, und dann doch eingeführt. Dies führte so allmählich zu einer Verdrossenheit, weil man sich nicht ernst genommen sah. Das ehemalige "Wohnzimmer" wurde zu einer "Bahnhofshalle". Unpersönlich und beliebig.

Mein Wunsch zu dem Jubiläum: Geht wieder mehr auf die User ein, nehmt sie ernst und zeigt ihnen, dass sie euch wichtig sind. (jk)