#20JahreHO

Von sich wiederholender Geschichte und Gedächtnisarchiven: Rückblick eines Users

Debatten und Informationen, Trolle und Sockenpuppen: Die Foren sollen ein Platz bleiben, in dem nicht das Gesinnungsdiktat der "vermeintlich Ehrlichen" oder "politisch Unkorrekten" herrscht genausowenig wie das der "politisch Korrekten", fordert Z.

vorlesen Druckansicht 57 Kommentare lesen
20 Jahre heise online
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Ein User-Beitrag von Z
Inhaltsverzeichnis

Als heise online am 17. April 1996 ins Netz ging, war ich an der Universität und hatte glücklicherweise gerade den großen Dauer-Internetzugang gewonnen – in der Rechnerhalle. Selbstredend war die Nutzung des Internets an sich auf Aktivitäten im Rahmen des Studiums etc. beschränkt, aber wie das mit Beschränkungen so ist, sie werden selten respektiert.

Es gab noch nicht allzuviele Angebote im Netz, der Großteil der Webseiten wurde von Universitäten gestellt. Schon seit dem Start 1996 hatte heise online täglich News eingestellt, eine schöne Abwechslung nebenbei, bis die nächste c't im Briefkasten einschlug. Und was auch im Netz war, aber nicht gleich von jedem wahrgenommen wurde, war Telepolis.

Im August 1997 fing Telepolis dann damit an, Foren unter die Artikel zu stellen, in denen man Beiträge hinterlassen konnte. Besieht man sich die wenigen Teilnehmer zu dieser Zeit, mag die Bedeutung dieser "Kommentarfunktion" revolutionär anmuten. Nur eine Hand voll Nutzer bevölkerten diese Foren, häufig auch Kommentatoren, die noch vertrauensvoll unter ihrem Realnamen kommentierten (eine Nutzerregistrierung gab es da noch nicht, man konnte beliebige Nicknamen eintragen). Die ersten Pioniere bzw. regulären Besucher waren Herwig Hühner (Freund der CamelCase-SchreibWeise von Substantiven, LebensPartner von Josella Playton, deren Geschichten auch von Telepolis veröffentlicht wurden), Kassandra und gHack (Günter Hack, leitet heute den Online-Technologiekanal des ORF), unter anderem. Dabei waren sicher nicht alle Kommentare ganz ernst gemeint. In jedem Fall handelte es sich für die meisten Nutzer um "#neuland". So ein Forum flößte vielen noch einen gewissen Respekt ein und wurde als digitaler Postkasten für Leserbriefe verstanden.

20 Jahre heise online
20 Jahre heise online

Vor 20 Jahren, am 17. April 1996 fing mit der ersten Tickermeldung eigentlich alles an: Der Newsticker legte los und damit begann die eigentliche Geschichte von heise online, der Nachrichten-Site des Heise Verlags rund um IT, Hightech und die digitale Gesellschaft. In Artikelstrecken, Hintergrundbeiträgen und Aktionen mit Usern auf heise online wollen wir die Geschichte (und die Zukunft der digitalen Gesellschaft) beleuchten - und auch Party feiern. Stay tuned: Die Online-Themenseite #20JahreHO wird alle Artikel und weiterführenden Informationen rund um "20 Jahre heise online" versammeln.

Bei heise online wiederum gab es seit Anfang 1999 dann das "c't allgemein"-Forum, das Auffangbecken für alle möglichen Fragen zu Artikeln war. Ganz so sehr #neuland war das dann schon nicht mehr, befand sich doch unter den ersten Kommentatoren auch der seinerzeit bekannte Abmahnanwalt Freiherr Günter von Gravenreuth. Der nutzte dann auch die Kommentarfunktion als einer der ersten dazu, mehr oder weniger verklausulierte Bemerkungen an die damalige Redaktion zu hinterlassen.

Schließlich, an einem Freitag, dem 13. im August des Jahres 1999 wurden dann aber auch die ersten Kommentarforen für Newsbeiträge freigeschaltet (immer noch ohne Registrierung). Nun gab es schon regelrechtes Geschnatter in manchen Foren (vor allem dann, wenn es um die sagenumwobenen "saukontroversen" Themen ging, wie etwa "Apple oder Microsoft" usw.). Aber es gab auch Foren, die waren so bemitleidenswert leer, dass man einfach den Newsbeitrag fachlich etwas unterfüttern konnte.

Eine eigentlich immer noch ganz angehme Zeit, in der das sogenannte "Erstern" noch nicht wirklich erfunden war, da es eher die Regel als die Ausnahme darstellte. Vor allem waren noch so wenige Trolle und Sockenpuppenarmeen aktiv, dass man Foren problemlos mal wieder auf Kurs bringen konnte mit wenigen Teilnehmern.

Dass die Ansicht von Trollen in der Regel wenig Überschneidung mit der Meinung von Redakteuren hatte, nahmen sie indes auch damals schon nicht zur Kenntnis. So mussten vor allem in der Anfangszeit ein paar mal frauenfeindliche Entgleisungen ausgebremst werden, die sich auch direkt unverblümt gegen Autorinnen richteten. Letzteres allerdings eher bei Telepolis, da hier die vollen Namen über den Artikeln standen.

Bei Newsbeiträgen dagegen übersah der typische Antifrauen-Troll den Umstand, dass er schon mal zu technischen Artikeln fachlichen Unsinn absonderte, die tatsächlich von Redakteur"innen" geschrieben worden waren. Das mag daran gelegen haben, dass nicht jeder Troll mit Redaktionskürzeln vertraut war und auch nicht wusste, was eigentlich ein Impressum ist (also wo er sie hätte "dechiffrieren" können). So ging der typische Männerrechtler-Troll irrigerweise davon aus, dass bei Heise ausschließlich männliche Redakteure arbeiteten (wie er sich diese vorstellte, wollen wir an dieser Stelle lieber nicht wissen).

Wegen der anhaltenden Trollplage allerdings und nach überstandenem Milleniumswechsel (der Forenchefingenieur wird sich erinnern), wurde schließlich doch eine Nutzerregistrierung eingeführt. Dies führte freilich sogleich zu diversen scharfen Diskussionen im Meinungenforum, da viele die liebgewonnene "Namensfreiheit" nicht so schnell wieder abgeben wollten. Letztlich wurde die Registerungsvorgabe aber von den meisten Nutzern (zähneknirschend) akzeptiert.

Und sie tat der fortschreitenden Forennutzung denn auch letztlich keinen Abbruch: im April 2000 etwa zählte der ID-Counter der Forendatenbank bereits über 15.000 Einträge, gegen Ende 2000 überschritt er die 30.000. Dies schlug sich auch in den Foren nieder. Zwar gab es immer noch Beitragsforen mit wenig Beteiligung, aber die Heise-Forenschaft zusammen mit der Leserschaft hatte insgesamt durchaus schon eine gewisse "Durchschlagsmasse" erreicht. Diese zeigte sich vor allem dann, wenn (oben erwähnte) "saukontroverse Themen" in einem Newsbeitrag aufgegriffen wurden und zu Webseiten verlinkten, deren Server dann dem innerhalb kurzer Zeit aufkommenden Ansturm des Interesses nicht mehr standhielten. In Anlehnung an den "Slashdot-Effekt" gab es von nun an eine Entsprechung im deutschen Sprachraum: den Heise-Effekt. Und von dem war in den folgenden Jahren dann noch öfter die Rede.

Auch waren natürlich nicht alle Kommentatoren derselben Meinung. Schnell erkannten etwa auch die üblichen Paranoiker, dass die Heise-Foren "womöglich ein Dreh- und Angelpunkt einer Meinungsgestaltungsplattform" sein konnten und schickten sich an, die Heise-Foren zu ... assimilieren, annektieren, überrennen ... womit sie letztlich scheiterten (wie auch schon im Usenet), um dann lautstark und unter Verweis auf "ideologische Diktatur"(etc. etc. beliebiger Platzhalter) die Foren ostentativ zu verlassen. Obsolet zu erwähnen, dass die im Usenet seinerzeit entstandene Merkbefreiung denkbar schnell ihren Weg auch in die Heise-Foren fand.

Andererseits gab es aber auch früh Forenbesucher, die einen gewissen sozialen Zusammenhalt förderten, indem sie Diskussionen auflockerten oder Comics oder Gedichte beisteuerten, oder gar ganze Geschichten, die sich humorvoll mit einzelnen Forenteilnehmern oder gar Redakteuren befassten. Schnell bildete sich ein bunt zusammengewürfelter Haufen an Forenbewohnern, ein artenvielfältiges Habitat für diverse, illustre digitale Lebewesen. Für diejenigen, die sich so gar nicht für ein Thema entscheiden konnten, stellte Heise schließlich Spezialforen bereit, allen voran das OTF (Off-Topic Forum), das auf einen Vorschlag von Twister (Bettina Hammer) zurückging.

Was aber letztlich tatsächlich entstand, war eine Diskussionsplattform, die zur Ergänzung von redaktionellen Beiträgen genutzt werden konnte: vom aktuellen Informationsupdate bis zum Zusammenschluss von Betroffenen (bei Themen wie etwa Abmahnungen, SPAM, Bürgerrechte etc.) oder fachlichen Zusatzinformationen war alles vertreten. Nicht selten konnte man in den Foren eine interessante Information herausfischen, die dem Redakteur noch nicht vorliegen konnte oder die womöglich auch nur schwer zu ermitteln war. Der Informationsbeitrag durch Foren war insofern oftmals von nicht unerheblichem Wert (vorausgesetzt natürlich, man konnte die Trolle ausmachen und filtern). Das galt schlussendlich auch dann, wenn man wissen wollte, wie positiv oder negativ ein Thema denn aufgenommen wurde. Über die Heise-Foren bekam man in der Regel also mindestens ein "Meinungsbild", an dem man sich ganz gut orientieren konnte – etwa wenn man selbst im Berufsumfeld mit dem jeweiligen Thema zu tun hatte oder politisch aktiv werden wollte.

Für die erstarkende Bewegung der Netzaktivisten waren die Foren insofern (wenigstens wegen des zu erkennenden Meinungsbildes) nicht uninteressant. Auch konnte man Hinweise an andere hinterlassen, von denen man wusste, dass sie vermutlich gelesen und ein Blick ins Forum rikiert würde. Über den CCC etwa berichtete heise online von Anfang an, ebenso über diverse Bürgerrechtsgruppen, die sich um die Einhaltung und Definition digitaler Rechte bemühten. Manche dieser Gruppen, wie etwa Stop1984, wurde aus dem Forenumfeld gegründet (von pullmoll/Jürgen Buchmüller und Twister/Bettina Hammer). Insofern fand wahrscheinlich in der Zeit von 2001 bis heute mehr oder weniger umfangreich ein Informationsaustausch zwischen Netzaktivisten und Angeschlossenen über die Foren statt. Was ich persönlich schon als bedeutsam ansehen würde dahingehend, dass durch die Foren zu den Newsbeiträgen relativ schnell und aktuell Informationen und Argumentationen ausgetauscht werden konnten. Beispiele für von den Foren sehr stark beeinflusste Themen waren etwa Kinderpornographie, Zensur und Totalüberwachung im Internet.

In diesem Sinne würde ich mich freuen, wenn das auch weiterhin so bleibt. Wenn die Foren weiterhin auch ein Platz bleiben, in dem eben nicht das Gesinnungsdiktat der "vermeintlich Ehrlichen" oder "politisch Unkorrekten" herrscht genausowenig wie das der "politisch Korrekten". In dem eben kein Gesinnungsdiktat jeglicher Form herrscht, das ohne inhaltliche Argumentation einfach nur plumpe Meinungsmanipulation und Meinungsdiktatur betreibt. Sondern es sollte weiterhin eine Diskussionsplattform sein, auf der verschiedene Meinungen geäußert und widersprochen werden können, damit sich jeder Leser oder Kommentator ein Bild machen kann.

Und das ist wichtig, denn wer heute mal auf die alten auf heise online dokumentierten Kommentare oder Artikel einen Blick wirft, der wird erkennen, dass sich Geschichte leider von ganz alleine wiederholt. Und sie wiederholt sich deswegen, weil immer wieder unwissende Menschen dieselben Fehler machen wollen. Und diese Wiederholung wird man letztlich nur dann verhindern können, wenn man über diese Fehler aufklären kann – etwa über ein gut dokumentiertes Gedächtnisarchiv, wie es heise online, Telepolis etc. heute hat. Der eine oder andere wäre überrascht, dass sich die Argumente derjenigen, die versuchen die Bürgerrechte immer weiter auszuhöhlen, über die letzten 20 Jahre nicht verändert haben. (jk)