Alexej Breus: Der letzte Mann im Kontrollraum des havarierten AKW Tschernobyl

Als die Kernschmelze beginnt, soll Alexej Breus den Super-Gau in Tschernobyl verhindern. Aber der riskante Einsatz des Technikers misslingt. Wie sieht der Ukrainer 30 Jahre später das Geschehen?

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Alexej Breus: Der letzte Mann im Kontrollraum von Tschernobyl

(Bild: Diana Markosian, Public Domain)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Andreas Stein
  • dpa
Tschernobyl - 30 Jahre nach der AKW-Katastrophe

Verzweifelt drückt Alexej Breus auf den Knopf im Kontrollraum von Tschernobyl – doch der Versuch, den Super-Gau zu stoppen, scheitert. 30 Jahre nach der Atomkatastrophe erinnert sich der Ukrainer gut an seinen Einsatz. "Es war wohl der sinnloseste Versuch, den man unternehmen konnte", sagt der 57-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Kiew. Breus gilt als der letzte Mann im Kontrollraum von Tschernobyl. Rund 15 Stunden nach der Explosion sollte er den Reaktor per Knopfdruck fluten. Ergebnislos.

Lässig gekleidet in Jeans und einen dunklen Pullover steht Breus in der ukrainischen Hauptstadt zwischen selbstgemalten Ölbildern. Damals habe Unklarheit geherrscht über den genauen Zustand im Reaktor, erzählt er. Moskau habe verlangt, Wasser hineinzupumpen. Doch alle Bemühungen, die fatale Kettenreaktion zu stoppen, waren vergeblich.

"Die Ursache für die Havarie liegt nicht so sehr bei den Technikern oder Konstrukteuren als vielmehr in allgemeiner Fahrlässigkeit und Verantwortungslosigkeit", sagt der Mann mit dem schütteren Haar rückblickend. Das Unglück von Fukushima 2011 habe aber gezeigt, dass so etwas auch in einem Hochindustrieland wie Japan und nicht nur in der damaligen Sowjetunion passiere.

Die technologische Entwicklung betrachtet er mit Skepsis. "Der Zug namens Fortschritt rast mit voller Geschwindigkeit irgendwohin – und die Menschheit hofft, dass er in eine gute Zukunft fährt", sagt Breus. Stoppen könne man diesen Zug nicht. "Aber man sollte ihn wenigstens auf ein sicheres Gleis lenken", sagt er.

Tourismus in der Todeszone (11 Bilder)

Die letzte Busstation vor dem Checkpoint Detyatki

Die letzte Busstation vor der Sperrzone am Checkpoint Detyatki ist ungefähr 1,5 Stunden Fahrtzeit von Kiew entfernt. Sie wird von den Arbeitern aus dem Umland genutzt, die in der Sperrzone arbeiten. Innerhalb der Sperrzone übernehmen staatliche Shuttlebusse den Transport. Es wird immer im zweiwöchigen Wechsel gearbeitet: Auf 15 Tage Arbeit folgen 15 Tage Urlaub.
(Bild: Kai Heimberg)

Der 1959 in Südrussland geborene Breus zieht 1982 nach dem Studium an der Technischen Bauman-Hochschule in Moskau nach Prypjat bei Tschernobyl. "Den Ausschlag gab ein Mädchen, das mich beim Spazierengehen auf seinen Rollschuhen anrempelte. Meine Frau Galina fragte das Kind: "Wohin soll der Onkel gehen: nach Tschernobyl oder Podolsk?" Es sagte 'Tschernobyl' - so fiel die Entscheidung", erzählt der Ukrainer. Als sich der Unfall ereignet, arbeitet seine Frau gerade in Leningrad (heute St. Petersburg). "Zum Glück", sagt Breus.

Tschernobyl - Lost Places (10 Bilder)

Radarsystem Duga 3

Über dieses ehemalige sowjetische System nahe dem ukrainischen Tschernobyl sind relativ viele Daten bekannt.Der Sender arbeitete auf häufig wechselnden Frequenzen zwischen 7 und 19 MHz bei einer Leistung von 10 MW ERP. Die Impulsfrequenz war 10 bis 20 Hz, die Bandbreite der Aussendungen lag bei 40 kHz. Die Signale hörten sich in Kurzwellenempfängern ähnlich wie das Klopfen eines Spechts an, deshalb war die Anlage unter dem Namen Woodpecker bekannt; die NATO-Bezeichnung war Steel Yard. Sie war von 1976 bis 1989 in Betrieb und wurde von vielen Nutzern anderer Funkdienste auf Kurzwelle (z.B. Flugfunk, Seefunk, Rundfunk, Amateurfunk) wegen der davon ausgehenden Störungen als Plage empfunden.
(Bild: Kai Heimberg)

Nach der Katastrophe findet er zunächst eine Stelle in Kiew bei der Atomaufsicht. 1990 schließt er ein Journalistik-Studium in der ukrainischen Hauptstadt ab und arbeitet für das Amtsblatt des Parlaments, später für eine Nachrichtenagentur. Daneben entdeckt er die Malerei für sich. Mit der Künstlergruppe Strontium-90 und als Journalist reist er etwa hundertmal in die Todeszone. Hauptthema: die Bewahrung der Natur. 2015 kündigt er seinen Journalistenjob, seitdem lebt er von seiner Kunst und den knapp 170 Euro Tschernobyl-Rente.

"Wenn es meine Gesundheit noch zulässt, will ich ein Buch schreiben – über den Samstag, der nicht nur mein Leben komplett veränderte", erzählt Breus. Experten schätzen, das die Katastrophe am 26. April 1986 Zehntausende das Leben kostete. Die radioaktive Wolke zog über Weißrussland nach Westen. Breus beklagt sich nicht – seine Gesundheit entspreche dem Alter. Mögliche Folgeschäden erwähnt er nicht. "Es könnte schlechter sein", sagt der Ukrainer leise mit einem Lächeln.

Tschernobyl - Folgen der Verstrahlung (10 Bilder)

Dauerhafte Strahlenbelastung

Nach der Katastrophe wurde dieser Ort komplett dem Erdboden gleichgemacht. Das Schild warnt vor der dauerhaft hohen Strahlenbelastung.
(Bild: Kai Heimberg)

Gerd Ludwig: Der lange Schatten von Tschernobyl (12 Bilder)

Wesnowa, Weißrussland, 2005

Bilder aus dem Fotoprojekt und Bildband "Der lange Schatten von Tschernobyl" von Gerd Ludwig: Anstalt für geistig behinderte Kinder, unterstützt von Chernobyl Children International.
(Bild: Gerd Ludwig)

(kbe)