#20JahreHO

In die Zukunft kann sehen, wer ihren Anblick erträgt

Hype über Hype überrollt uns, welchen sollten wir ernst nehmen? „Was kommt?“ Was bleibt Traum? Was kommt nie? Zum 20. Geburtstag von heise online denkt Gunter Dueck über die Zukunft der Technologie nach.

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CES in Las Vegas
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Gunter Dueck
Inhaltsverzeichnis
#20JahreHO - Rückblicke und Ausblicke

heise online feiert Geburtstag und lässt kluge Köpfe in einer Artikelreihe nachdenken: Über das, was in 20 Jahren Technikentwicklung passiert ist - und über das, was in den nächsten Jahrzehnten kommen wird. Alle Artikel und Infos zu "20 Jahre heise online" versammelt die Themenseite zum Jubiläum:

Nehmen wir an, ich hätte meiner Frau oder irgendeinem normalen (!) Menschen 1993 einen Newton geschenkt (was nicht korrekt gewesen wäre – viel zu teuer!): „Oh, ich habe keine Ahnung von dem neuen Betriebssystem, was läuft denn darauf? Wie lange hält die Batterie – so kurz, echt? Wie kommt er ans Netz? Oh, auf dem Bildschirm ist in der Sonne fast nichts zu erkennen. Ich mag es eigentlich nicht, dass man mir auf den Bildschirm tapst, da werde ich fuchsig. Was bloß, wenn ich den Stift verliere? Ja danke für das Geschenk, was soll ich damit, ich weiß ja nicht, das schöne Geld…“

Man hätte damals aufschreiben können, was einem normalen Menschen daran nicht gefällt: kein SSD-Speicher, kein WLAN, keine gute Batterie, kein LED, keine Apps… Dann hätte man warten können, bis man so ziemlich alles preiswert bauen kann, vielleicht bis 2008 – und los!

Na, so einfach ist es nicht. Oft müssen sich menschliche Gewohnheiten wandeln oder sogar die Ansichten von Politikern – dann wird es neblig. Zusätzlich funken ewige Idealisten dazwischen, die unbedingt davon träumen wollen, dass die neuen Technologien zu einer besseren Menschheit führen. Antagonisten predigen den nahen Untergang… Wann kommt das Neue, wann nicht?

Gunter Dueck

(Bild: 

Commonlense.de

)

Gunter Dueck war zunächst Mathematik-Professor und arbeitete dann bei IBM, zuletzt als CTO. Seit 2011 ist er freischaffend als Schriftsteller, Business-Angel und Redner tätig und macht sich seine Gedanken über die Zukunft.

Es kommt niemals, wenn man dafür viel lernen und sogar üben muss, Punkt. Das wollen Sie mir nicht glauben, wenn Sie idealistisch sind. Hilft aber nichts. Es kommt niemals, wenn es nicht immer gut funktioniert oder solange man Angst haben muss, betrogen zu werden. Gewohnheiten verändern sich letztlich dann, wenn man Geld sparen, Spaß haben oder Ansehen gewinnen kann, aber – wie gesagt, ohne viel Lernen.

Einsparungen wiegen wichtiger als Menschliches. Sie lassen Risiken vergessen. Wehe, wenn Gesetze geändert werden müssen. Die stellen heute Vieles unter Naturschutz, zum Beispiel rund um das Gesundheitswesen und das Rechtswesen („Verträge müssen vom Notar in voller Länge ausdrucksvoll betont vorgelesen werden“). Gehypte Technologien kommen irgendwann doch – unabhängig von antagonistischen Äußerungen auch von Experten („Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt.“ IBM –Chef Thomas Watson, 1943)

Vieles von Journalisten Gehypte kommt deshalb nicht, weil sie vor Begeisterung etwas Wichtiges dabei nicht checken („Der sprechende und selbstbestellende Kühlschrank“ – „Die automatisch mit Billignachtstrom arbeitende Waschmaschine, aus der man nach Feierabend die zerknitterte Wäsche unter Einsparung von vier Cent entnehmen kann“).

Ich habe bei IBM den frühen Rummel um Amazon miterlebt – keine damalige Zukunfts-Präsentation ohne Folien über Bücher und die enorme Adaption des Internets in Finnland! IBM hypte 1998 das e-Business und dann „network centric computing“, wir erlebten einen dot.com Boom, der abrupt endete, weil die Menschen ihre Gewohnheiten nicht so schnell änderten. Das Vertrauen musste wachsen.

„Wir haben so lange Angst vor dem Internet, bis eine lange Zeit nichts passiert. Dann vertrauen wir. So haben wir das bei den Kernkraftwerken auch gemacht.“ Wir sahen einen Siegeszug der Netzinfrastruktur, sorgen uns seit 2008 („Smarter Planet“) um „Smarte Infrastrukturen“ und gehen seit 2009 in die Cloud. Wir fürchten uns noch ein bisschen vor Big Data, weil wir den Mathematikern zu viel zutrauen. Wir warten hier noch, bis lange nichts passiert. Heute fragen wir uns nach den Folgen des autonomen Verkehrs.

Wir zetern, dass das Menschliche (Bankberatung, Patientengespräch, Rechtsberatung, Plaudern mit dem Pflegepersonal) ohne unsere Bezahlung langsam wegfällt – aber bezahlen wollen wir das alles nicht. Menschliches muss doch wie Liebe gern gegeben werden! Wir nehmen es hin, dass die Politiker lieber lange nichts tun – das sind wir so gewöhnt. Wir merken, dass das Internet dazu führt, dass in Kürze vielleicht die Hälfte der Berufe von Computern ausgeübt werden kann und die Routineaufgaben der restlichen Berufe in die Cloud abwandern, aber wir lehnen jeden Gedanken ab, uns höher zu bilden.

Wir erkennen, wie Großunternehmen infolge des Verschlafens der Zeitenwende ins Siechtum fallen, wir wollen aber keine Konsequenzen für uns persönlich ziehen. Wir haben in der Schule gelernt, dass Bildung zu einem besseren Menschen macht und lebenslanges Lernen vonnöten wäre, aber das juckt uns (die Lehrer eingeschlossen) so wenig wie das Versprechen des Paradieses durch Christus. Wir fürchten uns tatenlos vor den sicher kommenden Robotern, von denen wir dann wohl leben müssen – wir werden ihnen eine Lohnsteuerkarte vorschreiben – Steuerklasse I oder besser R.

Wir lassen uns durch Blogger irreführen, die Hoffnungen bezüglich der Menschheit hegen, wie sie die Aufklärer früher hatten. Wir werden durch etliche Journalisten und Zukunftsforschern mit Irrwitzigem bekannt gemacht, das die Probleme neuer Technologien chronisch unterschätzen will. Die Story würde ja sonst leiden und man müsste sich speziell einarbeiten. Wir lassen uns durch Antagonisten schocken, dass jemand das Internet löscht oder dass im Netz neue Sünden möglich werden (die ja die alten ersetzen, es fehlt die Zeit für alle).

Man muss eben lernen, an welchen Stellen man Argumente für oder wider das Neue „com grano salis“ nehmen muss. Ziehen Sie manische Euphorie, Idealismus und Schwarzseherei ab. Schauen Sie, wer womit verdient oder politisch profitiert. Oh, wie schön ist Panama. Und versuchen Sie zu verstehen, dass beim Beurteilen aller Veränderungen, die Sie selbst betreffen, fast immer die Anderen da draußen alles klarer sehen als Sie selbst – außer Sie sind derjenige, der die Veränderung selbst betreibt. Dann hören Sie lieber nicht auf die Anderen, aber beachten Sie die genannten Prinzipien. Die Technologie entwickelt sich. Menschen vielleicht. Menschen wollen Menschen bleiben – aber echt so, wie sie jetzt sind?

"In die Zukunft kann sehen, wer ihren Anblick erträgt“, sage ich immer. (axk)