Auf dem Weg zur Genchirurgie

Vor 25 Jahren wurde der erste Mensch mit Genen behandelt. Doch richtig durchsetzen konnte sich die Therapie nicht. Bis jetzt.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Sascha Karberg
Inhaltsverzeichnis

Eigentlich ist das Heilen mit Genen ein alter Hut. Schon 1990 wurde das erste Mal ein Mensch, die damals vierjährige Ashanti DeSilva, mit Erbgutmolekülen behandelt. Sie kompensierten einen Gendefekt, der eine Immunschwäche auslöst.

Aber die anfängliche Euphorie um das neue, scheinbar universelle Behandlungskonzept schwand schnell. Die künstlichen Genkonstrukte wirkten nur kurze Zeit, kamen gar nicht erst bis ins Erbgut der kranken Zellen oder lösten mitunter gefährliche, teils sogar tödliche Nebenwirkungen aus. Nun, nach Jahren harter Laborarbeit, haben Forscher so viele der Startschwierigkeiten der Technik überwunden, dass dieses Jahr das Jahr der Gentherapien werden könnte. Die Erwartung spiegelt sich auch in der Menge an Risikokapital wider, das Biotechfirmen einwarben, zumindest in den USA. 47 Milliarden Dollar kamen in den ersten neun Monaten 2015 zusammen. Es dürfte damit das zweitbeste Jahr seit 1995 werden, so die Beraterfirma PricewaterhouseCoopers.

Der neue Optimismus hat zwei wichtige Gründe: Zum einen sind die Kosten für die Entzifferung des Erbguts massiv gesunken. Der Preis für das erste menschliche Genom lag noch bei rund drei Milliarden Dollar. 2016 wird er erstmals unter 1000 Dollar fallen, prophezeit George Church von der Harvard Medical School. Damit einher gehen neue Ansätze für Forschung, Diagnose und Therapie. Zum anderen verfügen die Forscher über bessere Werkzeuge als jemals zuvor, um Gene ins Erbgut einzuschleusen oder dort zu reparieren.

Ende 2015 etwa haben Mediziner der Berliner Charité die erste in Europa zugelassene Gentherapie erstmals erfolgreich bei einer Patientin eingesetzt. Die 43-Jährige litt unter einer seltenen erblichen Stoffwechselkrankheit, dem Lipoproteinlipase-Mangel. Ihr Blut wird dadurch so fetthaltig wie Sahne, über 40 Mal musste sie bereits auf die Intensivstation. Die Ärzte spritzten drei Billionen Kopien des intakten Gens in die Beinmuskulatur.

Seitdem ist ihre Blutfettkonzentration zwar immer noch nicht normal, aber nicht mehr lebensbedrohlich. Kommendes Jahr ist mit weiteren solchen Erfolgen zu rechnen: Etwa 130 derartige Behandlungen befinden sich zurzeit in Europa und den USA in klinischen Studien. Eine davon richtet sich gegen die Zystische Fibrose (Mukoviszidose). Sie ist mit 90000 Betroffenen weltweit eine der häufigsten Erbkrankheiten. Ein Gendefekt macht den Schleim in den Bronchien der Lunge zähflüssig. In einer 2015 abgeschlossenen Studie atmeten 140 Patienten ein in winzige Fettkügelchen verpacktes Ersatzgen mehrfach ein. Daraufhin blieb ihre Lungenfunktion stabil, während sich das Krankheitsbild in der Kontrollgruppe verschlechterte.

Seit ein paar Jahren zeichnet sich zudem ab, dass Ärzte nicht nur defekte Gene ersetzen können. Inzwischen vermögen sie auch, schadhafte DNA-Abschnitte zu reparieren. Die Methode macht derzeit unter dem Namen Genome Editing Schlagzeilen. Die dafür verwendeten Gen-Scheren heißen Zinkfinger, Talen, Meganuklease oder Crispr – und sie machen es vergleichsweise einfach, das Erbgut zu verändern: 2015 gelang es einem Londoner Team aus Forschern und Ärzten zum ersten Mal, das Erbgut von Immunzellen gleich an drei Stellen so anzupassen, dass sie die Blutkrebszellen des einjährigen Mädchens Layla besiegen konnten. Sie nutzten Talen-Gen-Scheren: Zuerst passten die Forscher vom Great Ormond Street Hospital Immunzellen eines Spenders an den Gewebetyp des Mädchens an. Dann machten sie die Zellen resistent gegen ein Medikament aus der Chemotherapie. Vor allem aber änderten sie das Erbgut so, dass die Immunzellen die besonders aggressiven Krebszellen erkennen konnten. Nach ein paar Wochen hatte ein Milliliter dieser Designerzellen den Tumor besiegt.

Die kalifornische Biotechfirma Sangamo verwendet Zinkfinger-Gen-Scheren und hat in den vergangenen Jahren Blutzellen von Aids-Patienten resistent gegen den Aids-Erreger HIV gemacht. Dazu werden Immunzellen aus dem Blut von Patienten entnommen und so verändert, dass HI-Viren sie nicht mehr befallen können. Zurückgespritzt in den Patienten, teilen sie sich und sollen, so die Hoffnung, wieder ein funktionierendes Immunsystem aufbauen. Erste Studien waren erfolgversprechend, 2016 wird mit den Ergebnissen einer wichtigen Untersuchung an 26 Aids-Patienten gerechnet.

Noch besser wäre es für manche Krankheiten allerdings, die Zellen zum Editieren gar nicht erst aus dem Körper herausholen zu müssen. Auch an diesem Schritt arbeitet Sangamo. "Wir werden im nächsten Jahr zum ersten Mal das Genom direkt im menschlichen Körper editieren", kündigt Forschungschef Fyodor Urnov an. Das Ziel ist, Patienten mit Bluterkrankheit zu heilen. Ihnen fehlen Blutgerinnungsfaktoren, die normalerweise in Leberzellen hergestellt werden. Um die Gen-Scheren dorthin zu bringen, bedienen sich die Forscher eines Transportvehikels, einem bestimmten Typ des harmlosen Virus AAV. In den Leberzellen bauen die Erbgut-Scheren dann ein Gen für die Blutgerinnung ins Genom ein oder reparieren die defekte DNA. Die ersten Tests an Patienten, denen der Blutgerinnungsfaktor VIII fehlt, sollen 2016 beginnen. Es wären die weltweit ersten Versuche dieser Art.

Die letzten werden es sicher nicht bleiben. Denn inzwischen existiert eine viel einfachere, günstigere und womöglich noch präzisere Technik als Sangamos Zinkfinger. Ihr Name lautet Crispr. Mit ihr bekommt die Gentherapie völlig neue technische Möglichkeiten: Von "Genomchirurgie" ist die Rede, weil sich mit Crispr auf einen Schlag Dutzende Gene zielgenau wie mit einem Skalpell verändern lassen. 2012 wurde sie entwickelt, für 2017 hat die Firma Editas Medicine erste klinische Studien angekündigt.

Die Diskussion um Crispr und die Möglichkeiten und Grenzen einer Genomchirurgie sind allerdings schon im Gange und werden in den nächsten Monaten deutlich zunehmen. Denn Crispr ist so vielversprechend, dass sogar Veränderungen des Erbguts von Ei- und Samenzellen (der Keimbahn) plötzlich denkbar erscheinen. Krankmachende Gene, beispielsweise solche, die das Brustkrebsrisiko drastisch erhöhen oder Erbkrankheiten wie Huntington auslösen, ließen sich vor der Vererbung an die nächste Generation korrigieren. Dass diese Keimbahnmanipulation möglich sein könnte, zeigen Experimente chinesischer Forscher, die sie an nicht entwicklungsfähigen menschlichen Embryonen durchgeführt hatten. Dabei zeigte sich nicht nur, dass Genom-Manipulationen am Embryo funktionieren – sondern auch, dass darin eine große Gefahr liegt: Die Gen-Scheren schnippeln gelegentlich auch an den falschen Stellen im Erbgut herum.

Dennoch dürften Anfang 2016 ähnliche Versuche in Europa folgen. Dann entscheidet die britische Human Fertilisation and Embryology Authority über einen Antrag des Londoner Francis Crick Institute. Forscher dort wollen Genome Editing an menschlichen Embryonen durchführen, um mehr über die Ursachen von Fehlgeburten zu lernen.

Sowohl die britischen als auch die chinesischen Experimente dienen nur der Forschung. Die Embryonen sollen oder sollten nie zu Menschen heranwachsen. Dass Experten diesen Schritt allerdings nicht mehr ausschließen, zeigte der "Human Gene Editing Summit" in Washington Anfang Dezember. Genforscher hatten ihn eigens einberufen, um über diese Frage zu sprechen. Die Wissenschaftler rieten zwar einstimmig von diesem Schritt zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab – aufgrund der technischen und ethischen Bedenken. Sie schlossen ihn für die Zukunft jedoch nicht kategorisch aus. (bsc)