re:publica: Vereint gegen Google und Facebook

Harte Kritik an Facebook und Co.: Ein iranischer Blogger vergleicht die Timeline mit einem verdummenden Fernsehprogramm. Aktivisten aus Afrika und Südamerika warnen vor einem neuen "digitalen Kolonialismus".

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(Bild: Torsten Kleinz)

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  • Torsten Kleinz
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Besonders Facebook war das Ziel der Kritik auf der Berliner Konferenz re:publica. So zeigte sich der iranische Blogger Hossein Derakhshan, der in seinem Heimatland sechs Jahre inhaftiert war, erschüttert über den Zustand des öffentlichen Diskurses im Netz. So habe der Iran zu Beginn seiner Haft über eine lebhafte Blogger-Szene verfügt, die dann aber nach und nach auf Facebook abgewandert sei. Das Ergebnis sei deprimierend: "Statt Links haben wir nur noch Likes, statt zu diskutieren schreien wir uns an", beklagte der Iraner. "Kein Platz für Dabatte" – diese Entwicklung werde durch die Algorithmen gefördert, die Facebooks Timeline zusammenstellen.

"Im Prinzip zeigen sie uns nur, was sehr neu oder sehr populär ist", sagt Derakhshan. Viele Inhalte und nuancierte Diskussionen fielen damit unter den Tisch. Wer gehört werden wolle, müsse radikalere Töne anschlagen. Statt Texte zu schreiben und andere Beiträge zu verlinken, setzten immer mehr Facebook-Publizisten zudem auf Videos. "Auf Facebook ist kein Platz für eine durchdachte Debatte", schloss Derakhshan. Stattdessen sei die Plattform eine Art neues personalisiertes Fernsehprogramm, das stark auf Prominenz setze und das Publikum zusehend verdumme. Die Non-Linearität des Webs sei weitgehend verloren gegangen.

Die Auswirkungen sind für den Iraner schon heute massiv sichtbar. So sei es kein Wunder, dass viele durch sozialen Medien begünstigten Revolutionen in arabischen Ländern gescheitert seien. "Donald Trump ist das Ergebnis des alten und dieses neuen Fernsehens", sagte der Blogger. Er plädierte dafür, dass neue Algorithmen etabliert werden, die mehr Diversität in die Timelines bringen. "Vielleicht ist es sogar Zeit für staatliche Interventionen", sagte der Iraner. Damit erntete Derakhshan aber auch Widerspruch aus dem Publikum: So hätten sich grade Netzkonzerne in der letzten Zeit erfolgreich den Übergriffen von Regierungen widersetzt.

Mark Surman, Executive Director der Mozilla Foundation, schlug ähnlich kritische Töne gegenüber Facebook und vor allem Google an: "Ich sage nicht, dass sie schlecht sind, aber sie haben einfach zu viel Macht." Er verglich die Milliardenkonzerne mit neuen Imperien, die sich über die ganze Welt verbreitet hätten. Insbesondere in Entwicklungsländern habe dies enorme Auswirkungen. Durch das Free Basics-Programm von Facebook wüssten viele Nutzer gar nicht mehr, dass es mehr als eine Handvoll Internet-Angebote gebe.

Insbesondere die Verbreitung von Googles Mobil-Betriebssystem Android beunruhigt Surman. Während der Marktanteil in Industrieländern wie den USA noch akzeptabel sei, betrage der Marktanteil in Indien derzeit über 90 Prozent. "Android ist das Windows 95 der Entwicklungsländer", mahnte er. Und dank seines Betriebssystems habe Google Kontrolle über viele weitere Bereiche – von der Identitätsverwaltung bis hin zur E-Mail.

Die Folgen zeigten sich bereits heute auf viele Weisen. So habe eine Studie der Mozilla Foundation festgestellt, dass das Geld, das mit Apps erlöst werde, vorrangig ins Silicon Valley und nach China fließe. Die Länder, in denen die Verbreitung von Smartphones aber am stärksten wächst, blieben außen vor. Ähnliche Kritik äußerten auf der re:publica auch Aktivisten aus Südamerika und Afrika, die die Dominanz westlicher Konzerne als eine Art zweite Kolonisation empfinden.

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Nanjira Sambuli, die zur Technikverbreitung in verschiedenen afrikanischen Ländern forscht, beklagte diese Entwicklung: "Hier entsteht die nächste Milliarde Nutzer, aber keine Mitgestalter." So seien Mobiltelefone zwar gut, um Inhalte zu konsumieren, aber es sei schwer, damit Inhalte zu erstellen. Surman plädierte dafür, für eine erneute Dezentralisierung des Netzes zu arbeiten. So wie es die Umweltbewegung geschafft habe, ihr Anliegen in den vergangenen hundert Jahren zum wichtigen Thema für alle zu machen, müssten nun die verschiedenen Organisationen, denen das offene Internet am Herzen liege, gemeinsam gegen die neuen Imperien zusammenarbeiten. Streitereien innerhalb der Szene seien dabei mehr als kontraproduktiv: Sie schwächten nicht nur die Schlagkraft der Bewegung, sie hielten die Aktivisten auch davon ab, an die breite Öffentlichkeit zu treten, um die Gesundheit des Netzes zu propagieren. Angesichts der Dominanz der Netzkonzerne bliebe nicht mehr viel Zeit: "Sonst ist das Internet bald nicht viel mehr als ein Einkaufszentrum", mahnte Surman. (ssi)