Ein Quantencomputer in der Cloud

Rechnen mit Quanteneffekten soll die Lösung von Problemen ermöglichen, mit denen konventionelle Computer überfordert sind. IBM hat jetzt einen solchen neuartigen Chip zum Ausprobieren ins Netz gestellt.

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Von
  • Tom Simonite
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Heutzutage ist bekanntlich alles Mögliche mit dem Internet verbunden, aber der Computer von Jerry Chow ist schon etwas Besonderes: Gekühlt mit flüssigem Stickstoff, nutzt sein supraleitender Prozessor Quantenphysik, um Regeln der alltäglichen Realität zu umgehen, die der Leistungsfähigkeit konventioneller Computer Grenzen setzen.

Chow ist der Manager der Quantencomputer-Gruppe im Thomas J. Watson Foschrungszentrum von IBM im US-Bundesstaate New York. Anfang Mai hat das Team eine Website freigeschaltet, über die externe Programmierer und Forscher Algorithmen auf dem neuartigen Chip testen können.

Laut Chow soll das eine Vorbereitung auf eine Zeit irgendwann in der Zukunft sein, in der solche exotischen Cloud-Computer für die praktische Nutzung bereitstehen. "Wir wollen den Leuten dabei helfen, anders zu denken und zu lernen, wie man Quantencomputer programmiert", erklärt er.

IBM, Google, Microsoft und mehrere akademische Gruppen arbeiten sämtlich an der Entwicklung von Quantencomputern, weil diese Rechner in der Lage sein dürften, Probleme zu lösen, die für konventionelle praktisch unlösbar sind. Nicht viele von ihnen können Chips wie den von IBM bauen, und meist bekommen nur wenige ausgewählte Partner Zugriff darauf, sagt David Corey, Forscher am Institute for Quantum Computing an der University of Waterloo in Kanada. Einen Quantenchip, der zuverlässig genug ist, um rund um die Uhr online zur Verfügung zu stehen, findet er beeindruckend: "Ich kenne kein anderes System, das so robust ist."

Außerdem hat Chows Gruppe Anfang Mai Details über einen zweiten neuen Quantenchip veröffentlicht. Nach den Angaben der Forscher kommt er dem Ziel, alle Fehlerkorrekturmechanismen zu beherrschen, die für einen universellen Quantencomputer erforderlich sind, näher als alles andere bisher. Noch gibt es keinen solchen universellen Quantenrechner, weil Physiker noch nicht herausgefunden haben, wie sich die ungewöhnlichen Effekte besser zähmen lassen, die sich durch die Verarbeitung von Daten mit Hilfe von heiklen Quantenzuständen ergeben.

Der Fachaufsatz der IBM-Forscher wurde nicht unabhängig überprüft, doch wenn die Angaben darin stimmen, wäre das Unternehmen dem Konkurrenten Google beim Rennen um den ersten universellen Quantencomputer einen Schritt voraus. Der Such- und Anzeigenriese hat im vergangenen Jahr ein riesiges Labor für die Entwicklung von Quantenchips eingerichtet. In näherer Zukunft will jedoch noch keine der beiden IT-Größen einen universellen Quantencomputer bauen.

Quanten-Rechenchips basieren auf so genannten Qubits, die digitale Daten mit Quanteneffekten darstellen. Ihre Rechenkraft ergibt sich aus merkwürdigen Tricks wie dem Herbeiführen eines fragilen Zustands, der als Überlagerung bezeichnet wird und den man sich als 0 und 1 gleichzeitig vorstellen kann. Ein praxisgerechter Universal-Quantenrechner würde hunderte oder sogar tausende solcher Qubits benötigen, weil die erforderlichen Fehlerkorrekturen großen Aufwand erfordern. Die jetzt von IBM vorgestellten Rechner haben fünf bzw. sieben Qubits, der bislang beste der Google-Forscher kommt auf neun.

Parallel arbeitet das Team von Chow aber auch an einem eingeschränkteren Quantenprozessor, der eine Abkürzung zu neuen Rechenmöglichkeiten bieten könnte: an einem so genannten analogen Quantencomputer, der mit weniger Fehlerkorrektur-Code und somit einer geringeren Zahl an Qubits auskommt. Lösen könnte er nur bestimmte Probleme, doch dazu würden laut Chow zum Beispiel Chemie-Simulationen zählen, die wichtig für die Energie- und Materialforschung sind.

Für Scott Aaronson, Associate Professor am MIT, ist das ein lohnendes Ziel. Nach seinen Worten dürfte ein System mit nur 50 analog eingesetzten Qubits der erste Computer sein, der die "Quanten-Überlegenheit" demonstrieren wird – also die Fähigkeit, ein Problem zu lösen, das für konventionelle Rechner extrem schwierig oder sogar unlösbar ist.

"Die erste Demonstration von Quanten-Überlegenheit wird ein enormer Meilenstein in der Geschichte von Physik und Informatik sein", sagt Aaronson. "Es ist nicht sicher, aber plausibel, dass sich das in der näheren Zukunft erreichen lässt."

Laut Chow hat sein Team dieses Ziel im Blick. "Wir sind nicht mehr weit davon entfernt", sagt er. "Wir glauben, dass 50 Qubits in den nächsten paar Jahren möglich sein werden."

Und die IBM-Forscher sind nicht allein. Auch das Quantencomputer-Team von Google will analoge Quantenrechner bauen, und es rechnet damit, schon in wenigen Jahren einen Chip mit 100 Qubits fertig zu haben. Darüber hinaus arbeiten auch Forscher an Universitäten wie der University of Maryland an analogen Quantenprozessoren. (bsc)