Gen-Keime gegen Killer-Keime

Forscher statten Mikroben mit neuen genetischen Schaltkreisen aus, damit sie im menschlichen Körper krank machende Keime erkennen und abtöten.

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Von
  • Ed Yong
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Matthew Wook Chang hat eine Akademie für Killer ins Leben gerufen. Einer von ihnen ist das verbreitete Darmbakterium Escherichia coli (kurz E.coli). Dessen Gene hat Chang so umprogrammiert, dass es zum Killer wird: Es kann krank machende Bakterien aufspüren und zerstören. Sein Hauptziel ist der schädliche Keim Pseudomonas aeruginosa, der Menschen mit schwachem Immunsystem befällt: Besonders in Krankenhäusern richtet er oft in den Lungen von Patienten mit der Erbkrankheit Mukoviszidose und im Darm frühgeborener Babys schwere Schäden an. Changs Killer leben vorerst nur im Darm von Versuchsmäusen. "Die Überlebensrate der Tiere hat sich signifikant erhöht", sagt Chang.

Der Biochemiker von der National University of Singapore gehört zu der wachsenden Zahl von Forschern, die im Dienst der Gesundheit am Erbgut des Mikrobioms herumschrauben – der riesigen Bakteriengemeinschaft in unserem Körper – und die Mikroorganismen mit neuen genetischen Schaltkreisen ausstatten. Die Erforschung dieses Ökosystems ist derzeit eines der spannendsten Wissenschaftsgebiete in der Biologie. Denn unsere Darmbewohner helfen nicht nur bei der Verdauung, sondern trainieren auch das Immunsystem, lenken unser Wachstum und schützen vor Krankheiten. Viele Forscher sind überzeugt, dass sich mit entsprechend manipulierten Varianten auch Infektionskrankheiten, Diabetes und Fettleibigkeit behandeln ließen.

Sie versuchen nicht zum ersten Mal, das Mikrobiom zu beeinflussen. Probiotische Joghurts etwa sollen angeblich nützliche Bakterien in den Körper bringen. Doch die Mikroben gehören nicht zur normalen Darmflora und bleiben nicht lange dort. Deshalb erfüllen probiotische Nahrungsmittel die Marketingversprechen oft nicht. Die sogenannte Stuhltransplantation, also die Weitergabe von Darmbakterien von gesunden Spendern an Kranke, hat sich dagegen vor allem bei der Bekämpfung des Krankenhauskeims Clostridium difficile als sehr effektiv erwiesen. Allerdings muss man die Spender sorgfältig auswählen, damit sie nicht zusätzlich schädliche Bakterien weitergeben. Und weil jede Stuhlspende anders zusammengesetzt ist, bereiten sie den Zulassungsbehörden ziemliche Kopfschmerzen.

Zeit also für neue Ansätze: Bakteriencocktails, die sowohl länger im Darm bleiben als auch sich standardisieren und vor allem kontrollieren lassen – so wie Changs smarte Mikroorganismen, die auf spezifische Krankheiten zugeschnitten sind. Daran arbeiten nicht nur hochrangige Universitäts-Laboratorien. Auch das Start-up Synlogic entwickelt synthetische Bakterien, um mit ihnen zwei seltene, aber üble Stoffwechselerkrankungen zu bekämpfen: Störungen des Harnstoff-Zyklus und die sogenannte Phenylketonurie. Im ersten Fall kann der Körper kein Ammoniak und im zweiten die Aminosäure Phenylalanin nicht abbauen. Beiden Problemen ist gemeinsam, dass der Darmstoffwechsel beeinträchtigt ist und zu einer gefährlich hohen Menge von giftigen Stoffen im Blut führt. Synlogics smarte Bakterien sind mit genetischen Schaltkreisen ausgestattet, die anspringen, sobald sie eine der Substanzen detektieren. Dann machen sie sie unschädlich.

Im nächsten Schritt will das Unternehmen mit den umprogrammierten Bakterien auch weiter verbreitete Leiden wie die chronisch-entzündliche Darmerkrankung Morbus Crohn angehen. "Wenn wir sonst von Gentherapien gegen Krankheiten sprechen, meinen wir üblicherweise Korrekturen in unseren eigenen Zellen", sagt Geschäftsführer José-Carlos Gutiérrez-Ramos. "Nun wollen wir Billionen von Zellen modifizieren, die mit in uns leben. Sie bilden praktisch einen weiteren Organismus in uns." Sein Unternehmen hat vor Kurzem eine Anschubfinanzierung von der Bill und Melinda Gates Stiftung in Höhe von 35 Millionen Dollar erhalten. 2016 sollen erste klinische Studien mit Menschen starten.

Um Bakterien auf die Pirsch schicken zu können, müssen sie in der Lage sein, bestimmte Umweltbedingungen wahrzunehmen. Jeff Tabor von der Rice University in Texas will dafür die schon vorhandenen Mikrobensensoren nutzen: etwa die Enzymfamilie der Histidinkinasen, die an der Außenseite der Bakterienzellmembran sitzen und verschiedene Moleküle binden. Im nächsten Schritt wollen Forscher dann die sensorischen Schaltkreise mit denen verdrahten, die eine Reaktion auslösen. Changs E.coli-Stamm zum Beispiel nimmt ein Molekül ins Visier, mit dem die Schadmikroben P. aeruginosa untereinander kommunizieren. Registrieren nun die E.coli-Killer diesen Stoff, schwimmen sie auf ihn zu und setzen zwei molekulare Waffen frei: ein Enzym, das größere P.-aeruginosa-Gemeinschaften in kleinere, verwundbare Gruppen aufspaltet, und ein Antibiotikum, das diese abtötet.

Auch Synlogic-Mitgründer James Collins vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) stellt eine Bakterien-Einsatztruppe zusammen. Seine Lactococcus-lactis-Einheit (Milchsäurebakterien) erkennt Pathogene wie den Cholera-Erreger oder Salmonellen und tötet sie selektiv mit Antibiotika. Die Wirkstoffe werden nur dann freigesetzt, wenn sie auch gebraucht werden. Collins sieht seine Truppe daher auch "als eine Art prophylaktischen Wachposten", die etwa nach Katastrophen wie dem Cholera-Ausbruch auf Haiti 2010 zum Einsatz kommen und Epidemien schnell eindämmen könnten. Dafür müssten die bakterienhaltigen Medikamente allerdings frühzeitig eingenommen werden. Schutzbakterien schlucken könnte auch für Militärangehörige nützlich sein, um sie bei Einsätzen in fremden Ländern etwa vor Reisedurchfall zu bewahren. Der setzt viele Soldaten tagelang außer Gefecht und kostet die US-Streitkräfte viel Geld.