Technik gegen zu viel Technik

Wer nicht mehr von seinem Smartphone wegkommt, kann es zumindest zeitweise gegen ein Einfach-Telefon nur mit Basisfunktionen eintauschen. Solche Gerät sind gezielt darauf ausgelegt, möglichst wenig genutzt zu werden.

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Von
  • Rachel Metz

Üblicherweise klebt James Freeman an seinem iPhone. Einen Tag pro Woche aber entfernt er die SIM-Karte aus dem Gerät und steckt sie in ein ähnlich schickes, aber weitaus weniger intelligentes Telefon, das sich nur für Gespräche und einfache SMS-Nachrichten eignet.

Das von dem Schweizer Unternehmen Punkt hergestellte Telefon sieht eher aus wie ein Luxusprodukt als wie ein normales Handy älterer Bauart. Es bietet keinen Internet-Zugang, keine Spiele und keine Apps. Wenn er ein Taxi braucht, muss Freeman, Gründer und CEO eines Cafés und einer Rösterei namens Blue Bottle Coffee, bei der Zentrale anrufen. Und er kann zwar SMS schreiben, muss sich dabei aber damit begnügen, den Text mit den Zifferntasten am Telefon einzugeben.

Freeman legt sein iPhone einmal pro Woche weg, um sich „auf die eine Million interessanten Sachen konzentrieren zu können, die sich ereignen und ruhiger, aber viel bedeutender sind als mein Twitter-Stream“, wie er sagt. „Auf die achte ich nicht, wenn ich mich nicht selbst dazu zwinge.“

Tatsächlich sind Smartphones so faszinierend, dass man sich nicht wundern muss, dass noch mehr Technologie wie zum Beispiel das Einfach-Telefon von Punkt gebraucht wird, um ihren Bann zu brechen; stattdessen könnte man sie ja auch einfach eine Weile ausgeschaltet oder zuhause lassen. Peter Neby, Gründer und CEO von Punkt, will Menschen nach eigenem Bekunden dabei helfen, Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben zu errichten – Grenzen, die zuletzt unscharf wurden, weil man mit dem Smartphone jederzeit und überall arbeiten kann.

„Wir sind wie Kinder im Süßigkeitenladen“, sagt Neby über unserem Hang zum Smartphone. „Wir essen zu viel davon und können nicht damit aufhören.“ Punkt verkauft seit 2006 einfache Elektronikgeräte, die nicht stören sollen. Zum Angebot zählt ein schnurloses Festnetztelefon ebenso wie ein Wecker. Das erste Einfach-Telefon, das MP 01, ist im vergangenen September auf den Markt gekommen.

Die meisten Kunden, die ein MP 01 kaufen, haben wie Freeman auch ein Smartphone. Manche lassen die Anrufe von dort weiterleiten, weil sie zwei SIM-Karten besitzen. Laut Neby wird sein Telefon oft benutzt, um sich am Wochenende oder beim Essen vom Smartphone „abzumelden“. Telefonieren können die Nutzer dann trotzdem noch, aber sie fühlen sich weniger abgelenkt.

Ganz so einfach ist es aber auch nicht. Freeman gibt zu, dass er an den Tagen ohne iPhone manchmal Angst hat, etwas zu verpassen. „Es ist so, als würde ich ohne Sicherung auf den El Capitan steigen: Ich frage mich, ob ich auch alles dabei habe. Wird es gefährlich sein, ohne dieses Ding aus dem Haus zu gehen?“, berichtet er.

Laut Douglas Rushkoff, einem Medientheoretiker und Autor der Bücher „Present Shock: When Everything Happens Now“ und „Throwing Rocks at Google Bus“, sind Menschen vor allem an neuen Orten so sehr auf ihre Telefone fixiert, dass sie ihn an Mr. Spock aus Star Trek erinnern, der mit seinem Tricorder einen fremden Planeten erkundet. Allerdings ist er skeptisch, ob einfachere Geräte wie das Punkt-Telefon unsere Abhängigkeit von Smartphones wirklich mildern können.

„Mir scheint, als würden diese Geräte nur noch anfälliger für den Ansturm von Informationen machen – unter dem Deckmantel von Autonomie und Abschirmung“, sagt er. „Sie sind ein bisschen wie das Telefon im Bad eines Hotelzimmers.“

Joe Hollier und Kai Tang hoffen, Menschen noch mehr Kontrolle über ihre Vernetztheit geben zu können, wenn sie in diesem Juni das Light Phone herausbringen, ein nur 100 Dollar teures Telefon von der Größe einer dicken Kreditkarte. Auf das Gerät kann man Anrufe vom Smartphone weiterleiten, aber es funktioniert auch eigenständig. Knöpfe auf der Oberfläche hat es nicht, aber wenn man es anschaltet, erscheinen ein Zahlenfeld und eine winzige Tastatur. Mit einer darauf abgestimmten Smartphone-App lässt sich einstellen, wer den Nutzer auf seinem Mini-Telefon erreichen kann, während er selbst beliebige Nummern wählen, aber keine Nachrichten verschicken kann. „Es ist wirklich darauf ausgelegt, möglichst wenig benutzt zu werden“, sagt Hollier.

Diese Idee finden einige Menschen offenbar attraktiv: Über eine Kickstarter-Kampagne hat Light Phone im vergangenen Mai 415.000 Dollar eingesammelt und bisher 5000 Vorbestellungen für das Telefon bekommen.

(sma)