Das neue Superwerkzeug

Gene Editing revolutioniert die Gentechnik und ermöglicht völlig neue Kreationen. Genforscher aus aller Welt diskutieren ihre Anwendungen.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Sascha Karberg
  • Antonio Regalado
  • David Talbot

Die Ärzte waren am Ende. Eine Chemotherapie-Infusion nach der anderen hatte das Mädchen bereits bekommen. Doch auch nach einer Knochenmarktransplantation tobte der Blutkrebs in Laylas Gefäßen weiter. Im Juni vorigen Jahres war das elf Monate alte Kind so krank, dass die Ärzte des Londoner Kinderkrankenhauses Great Ormond Street Hospital (GOSH) einen verzweifelten Vorschlag machten. Es gäbe da in ihrem Gefrierschrank einen Glaskolben mit ganz besonderen Immunzellen. Die T-Zellen seien von Genchirurgen an vier Stellen im Erbgut so verändert worden, dass sie im Körper fremder Menschen Krebszellen jagen und zerstören können.

Dieses umfassendste Gentuning, das je als Therapieansatz erwogen wurde, war nur möglich, weil die Werkzeuge der Gentechnik inzwischen eine völlig neue Dimension erreicht haben. Vor 25 Jahren, beim ersten Gentherapieversuch an einem Menschen, konnten Forscher Gendefekte noch nicht reparieren, sondern schleusten intakte Ersatzgene in die Zellen ein. Und um Bakterien, Pflanzen oder Tiere mit bestimmten Eigenschaften auszustatten, mussten zusätzliche Gene, mitunter gar artfremde, mit den gewünschten Merkmalen (Transgene) transplantiert werden.

Doch die Zeiten solchen Stückwerks sind vorbei. Inzwischen gibt es eine Reihe von Genscheren, die im mehr als drei Milliarden Bausteine großen Erbgut zielgenau diejenige Stelle finden, an der sie die DNA zerschneiden und die Erbgutsequenz nach Belieben anpassen sollen – Zinkfinger, Talen oder CRISPR genannt. Die Herstellung der Zinkfinger- und Talen-Scheren war noch mühsam und kostspielig, weil sie für jeden anvisierten Erbgutabschnitt neu designt werden mussten. Die CRISPR-Schere hingegen bleibt immer gleich. Sie lässt sich zu jeder beliebigen Erbgutsequenz führen, indem man ihr einfach ein Stück der Erbgutsequenz mitgibt, einen "Lotsen". Deshalb muss ein Forscher nur in Datenbanken jene Erbgutsequenz heraussuchen, die er bearbeiten will, und eine DNA-Sequenzierfirma beauftragen, ihm den passenden Lotsen zu schicken – idealerweise einfach per Post. Zusammen mit der Genschere in eine Zelle gespritzt, wird das Erbgut dann an der gewünschten Stelle geschnitten. Geben die Gentechniker gleich mehrere Lotsen mit, kann die CRISPR-Genschere sogar an mehreren Stellen schneiden.

Die simple Technik entwickelten 2012 Emmanuelle Charpentier, inzwischen am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, und Jennifer Doudna von der Stanford University. Heute fehlt sie in kaum einem Genlabor, und dass die beiden dafür irgendwann den Nobelpreis bekommen werden, ist unter Molekularbiologen längst Gewissheit.

Während frühere Methoden im Erbgut so grobe Spuren hinterlassen wie Tipp-Ex und Tintenkiller auf handschriftlichen Texten, sind Erbgutveränderungen mit CRISPR meist so wenig zu erkennen wie Korrekturen in Computertexten. Bislang undenkbare Erbgutveränderungen sind plötzlich machbar. Sie krempeln nicht nur Pflanzen- und Tierzucht um, sondern vereinfachen auch die Kreation von Bakterien- oder Zellkulturen für die Produktion von Arzneimittel-Wirkstoffen oder chemischen Substanzen wie Enzyme für Waschmittel. Mehr noch: Sie ermöglichen eine „wahre“ Gentherapie, die defekte Gene nicht nur ersetzt, sondern repariert oder ihr Erbgut so anpasst, dass Zellen kranker Menschen gesunden.

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

Seite 66 - Gene Editing: Neue Genscheren eröffnen ungeahnte Möglichkeiten

Seite 72 - Addgene: Ein Onlineversand für Biosynthetiker

Seite 74 - Grafik: Wie funktionieren die Wunderwerkzeuge des Gene Editing?

Seite 76 - Gene Drive: Parasitäre Gene können ganze Arten ausrotten

Seite 80 - Ethik: Erbgutveränderungen an menschlichen Embryonen sind nicht mehr tabu

(inwu)