Geld über Bande

Fast 600 Milliarden Dollar wurden letztes Jahr um die Welt geschickt. Ein riesiges Geschäft für Banken und etablierte Anbieter von Bargeldüberweisungen. Doch das Monopol wackelt, denn Start-ups drücken die Preise.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Malte Buhse

Alles begann mit zwei Esten in London, die beide das gleiche Problem hatten. Als Taavet Hinrikus 2006 aus Estland nach London zog, brauchte er regelmäßig Geld von seinem estnischen Sparkonto. Jedes Mal, wenn er es auf sein britisches Konto überwies, ärgerte er sich, wie teuer das war: Fünf Prozent der Summe kassierte seine Bank.

Die Abwicklung ist kompliziert, viele Zwischenstellen halten die Hand auf, und wegen fehlender Konkurrenz gab es keinen Grund, daran etwas zu ändern. Kristo Käärmann ging es ähnlich. Er arbeitete in London als Unternehmensberater und musste zu Hause in Estland noch seine Hypothek abbezahlen. Als die beiden Freunde mal wieder gemeinsam über die hohen Gebühren klagten, hatten sie eine Idee: Wenn Käärmann seine britischen Pfund an Hinrikus weitergab, statt sie zu überweisen, konnte der mit den Euros auf seinem estnischen Sparkonto doch Käärmanns Hypothek bezahlen. Beide würden sich so die teuren Gebühren sparen.

Aus der Idee wurde schnell ein Geschäftsmodell – und eine Technologie, mit der die beiden den Markt für internationale Überweisungen umkrempeln wollen. 2011 gründeten sie TransferWise, ein Portal, über das sich Geld mit einer Art Peer-to-Peer-System verschicken lässt.

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Der Markt, den sich Hinrikus und Käärmann vorgenommen haben, ist riesig. Fast 600 Milliarden Dollar wurden im vergangenen Jahr zwischen den Ländern der Welt hin und her gesendet, zeigen Daten der Weltbank. Entsprechend lukrativ ist das Geschäft mit den Geldtransfers. Im Schnitt werden fast acht Prozent Gebühren fällig. Wer Geld von seinem Bankkonto überweist, muss zum Beispiel den Wechselkurs seiner Bank akzeptieren, der oft deutlich ungünstiger als der echte Kurs ist.

Und wer gar kein Bankkonto besitzt, wie zwei Milliarden Menschen auf der Welt, ist auf Anbieter wie Western Union und MoneyGram angewiesen, die seit Jahrzehnten ein Monopol auf die Überweisung von Bargeld haben. Nach einer Studie der Weltbank liegen ihre Gebühren rund 20 Prozent über dem Schnitt für internationale Geldtransfers. Konkurrenz mussten bisher weder Banken noch die Bargeldversender befürchten: Wer in das Geschäft einsteigen wollte, hätte eine ähnlich große Anzahl an Filialen gebraucht.

Doch das ändert sich jetzt. Eine ganze Reihe von Start-ups versucht, das Monopol der Geldversender zu brechen. Die Software, die hinter TransferWise steckt, zielt darauf ab, Paare aus Tauschpartnern zu bilden: Menschen, die Geld zwischen denselben Ländern austauschen wollen. Kommt so ein Paar zusammen, sammelt TransferWise das Geld ein und zahlt beide in ihrer entsprechenden Währung aus. Dabei berechnet das Unternehmen zwar ebenfalls Gebühren. Sie liegen aber oft niedriger als bei Western Union und Co.

Außerdem rechnet TransferWise die Beträge mit dem tatsächlichen Wechselkurs um – und das macht meist den entscheidenden Unterschied: Western Union etwa wirbt bei einer Überweisung von 1000 Euro auf ein neuseeländisches Bankkonto damit, gar keine Gebühren zu berechnen. Weil das Unternehmen aber einen eigenen Wechselkurs erstellt, kassiert es hintenherum. Aus den 1000 Euro werden am Ende nur 1578 Neuseeland-Dollar. Bei TransferWise bleiben trotz Gebühren 42 Neuseeland-Dollar mehr übrig. "Wir versuchen, so viele Überweisungen wie möglich mit einem Tauschpartner abzuwickeln", sagt Gründer und Firmenchef Taavet Hinrikus. "Falls sich kein passender findet, springt TransferWise ein und übernimmt dessen Rolle."

Auch dieses System hat aber seine Tücken: Manchmal dauern Überweisungen länger als geplant und werden dadurch teurer. Denn der Kurs, der bei dem Währungstausch gilt, wird erst ermittelt, wenn ein passendes Tauschpaar gebildet wurde. Bei starken Kursschwankungen kann es sein, dass die Kunden am Ende mehr zahlen als anfangs gedacht. Zwar bietet das Portal einen Schutz dagegen an: Wenn der Kurs um einen bestimmten Prozentsatz fällt, wird der Tausch zunächst gestoppt; er verzögert sich so lange, bis der Kurs wieder gestiegen ist. Bei dringenden Überweisungen ist das aber ein Problem. Auch die Zahl der Länder, in die man mit TransferWise Geld schicken kann, ist überschaubar: 14 Währungen hat das Start-up im Programm, überwiegend aus Industrie- oder großen Schwellenländern.

Aber auch für Entwicklungsländer gibt es inzwischen Angebote. Das 2012 vom Unternehmer Michael Kent gegründete Londoner Start-up Azimo etwa: Über Azimo lässt sich Geld auch an exotische Plätze wie den Inselstaat Mikronesien im Pazifischen Ozean überweisen. Dafür arbeitet Azimo mit lokalen Banken, Zahlungssystemen und Mobilfunkanbietern zusammen. In vielen Ländern kann man wählen, ob das Geld auf ein Konto eingezahlt werden soll, als Bargeld an einem Bankschalter zur Abholung bereitliegt oder auf eine Prepaid-Handykarte aufgeladen wird. Eine Überweisung kostet je nach Land zwischen 0,5 und 2,2 Prozent der Transfersumme.

Das gelingt, weil Azimo versucht, so wenig Zwischenhändler wie möglich in die Transaktionen einzuschalten und alles über das Internet abwickelt. Der Nachteil dieser Variante ist jedoch, dass sich Geld nur aus der EU in andere Länder schicken lässt – nicht andersherum.

In Kenia arbeitet Azimo auch mit dem beliebten Handy-Zahlungsanbieter M-Pesa zusammen. "Bei mehr als der Hälfte der Überweisungen nach Kenia, die über Azimo getätigt werden, wird das Geld auf einen M-Pesa-Account überwiesen", sagt Firmengründer Michael Kent. In dem ostafrikanischen Land sind mobile Bezahlsysteme schon weiter verbreitet als Bankkonten. Fast 60 Prozent der Kenianer nutzen ihr Handy, um damit Geld zu transferieren, zeigen Daten der Weltbank. M-Pesa ist inzwischen unter anderem auch in Südafrika, Indien und auf den Fidschi-Inseln verfügbar. "Mobile Bezahlsysteme könnten zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil für die Start-ups werden", glaubt daher Toman Barsbai, Ökonom am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, der zu internationalen Überweisungen forscht.

Allein über den Preis werden die neuen Angreifer den Kampf gegen die alten Monopolisten Barsbais Ansicht nach nicht gewinnen. Die Start-ups müssten ihr Geschäftsmodell zusätzlich erweitern, sagt Barsbai, "zum Beispiel indem sie einen Service anbieten, bei dem man direkt aus dem Ausland Rechnungen bezahlen kann, etwa für die Schule oder einen Arzt." Einige Unternehmen wie peerTransfer aus Boston haben so etwas bereits im Programm. Über peerTransfer lassen sich Schul- und Studiengebühren von Bildungseinrichtungen in den USA, Kanada, Europa und Australien von überall auf der Welt aus bezahlen. Das Prinzip ähnelt dem Tauschpartnermodell von TransferWise. Azimo-Gründer Michael Kent denkt ebenfalls über derartige Angebote nach: "Wir bieten bereits jetzt die Möglichkeit, Handy-Gesprächsguthaben aufzuladen, und wir überlegen, auch die Bezahlung von Schulgebühren oder Rechnungen für Strom oder Wasser miteinzubeziehen."

Auch die Technologie-Giganten wollen inzwischen mitmischen. Facebook wird seit Langem Interesse an einer Kooperation mit Azimo und TransferWise nachgesagt. In den USA können sich Nutzer des Facebook-Messengerdienstes bereits Geld hin und her schicken. PayPal kaufte vor Kurzem Xoom, ein Start-up aus San Francisco, das günstige Auslandsüberweisungen anbietet. Und Apple denkt laut einem Bericht des "Wall Street Journal" darüber nach, Überweisungen zwischen Nutzern seines Bezahldienstes Apple Pay zu ermöglichen. Sie alle wissen: Je mehr Menschen ihre Länder verlassen, wie in der aktuellen Flüchtlingskrise, desto größer wird die Nachfrage nach Services, über die man in der Heimat verbliebene Verwandte unterstützen kann. (bsc)