Opera im Wandel

Opera überraschte zuletzt durch Neuerungen wie Werbeblocker, VPN und Optimierung der Chromium-Grundlage. Im Interview erläutert Europas größter Browser-Hersteller, wie die Entwicklung weitergeht.

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Opera im Wandel
Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Herbert Braun
Inhaltsverzeichnis

In letzter Zeit hat Opera die schwachen Releases, die auf Version 12 folgten, vergessen lassen. Europas größter Browser-Hersteller zeigte viele interessante Features wie VPN, Werbeblocker und neue Stromspar-Modi. Wir sprachen mit Opera über Browser-VPN, Black- und Whitelists, Multitasking und Touchscreens.

Im Interview: Krystian Kolondra, der als Senior Vice President maßgeblich den Kurs Operas bei der Browser-Entwicklung bestimmt, und Thomas Wikberg, Vice President Western Markets.

c't: Haben Desktop-Browser überhaupt eine Zukunft?

Krystian Kolondra: Wir haben dieses Jahr wieder begonnen, uns auf den Desktop zu konzentrieren. Ende letzten Jahres hatten wir bei Opera eine Sitzung, bei der wir darüber gesprochen haben, wie die Zukunft aussehen wird.

Krystian Kolondra verantwortet als Senior Vice President maßgeblich den Kurs Operas bei der Browser-Entwicklung.

PC-Verkäufe gehen runter, aber es ist schwer vorstellbar, dass PCs verschwinden werden. Ich kann mir zwar vorstellen, dass ich mal mein Smartphone als Arbeitsgerät benutzen werde, aber es wird dann eine Tastatur und einen großen Bildschirm brauchen – und es geht ja darum, wie man es benutzt.

Chrome OS und Android nähern sich einander an. In einem oder höchstens zwei Jahren werden wir mit Android-PCs zu tun haben. Samsung baut inzwischen Windows-Laptops mit ARM-Architektur, was die Geräte viel billiger macht. Wir glauben, dass Laptops um die Hälfte billiger werden könnten. In den nächsten drei bis fünf Jahren erwarten wir mindestens 80 Prozent mobile PCs, ein Viertel wird einen Touchscreen haben.

Heute sind weder mobile noch Desktop-Browser auf dieses Szenario vorbereitet. Browser brauchen Features, um die Sicherheit in offenen WLANS zu verbessern und den Stromverbrauch zu verringern. Ich würde erwarten, dass man auf einem modernen Laptop sechs oder acht Stunden browsen kann, aber das ist nicht wirklich der Fall - zumindest nicht, wenn man 20, 30 Tabs offen hat. Eine weitere Anforderung ist Multitasking. Man braucht das, wenn man mal hier und mal da arbeitet. Vor allem junge Leute wollen beim Arbeiten gleichzeitig chatten oder Musik hören.

c't: Sie sehen also die Zukunft des Browsers in der Konvergenz zwischen Desktop und mobil?

Thomas Wikberg ist Operas Vice President Western Markets.

Krystian Kolondra: Man sieht das zum Beispiel an Convertibles: Man will nicht ständig mit Touch arbeiten, weil es ineffizient ist, aber manchmal schon. Deshalb müssen wir den Browser besser per Touch bedienbar machen. Ja, diese zwei Welten konvergieren, aber sie werden immer noch unterschiedliche Use Cases sein – eines, das sich an Produktivität orientiert, eines für den mobilen Einsatz.

c't: Eine Konsequenz daraus wäre, unabhängiger von Windows zu werden und mehr in Richtung Android zu gehen ...

Krystian Kolondra: Es gibt eine neue Gruppe von Anwendern, die mit Touch-Geräten aufgewachsen ist. Anfang des Jahres haben wir Opera Coast für Android angekündigt. Wir sehen das eher als Alternative zu unseren bisherigen Browsern. Die Leute sollen zwischen beiden problemlos wechseln können, sie benutzen das gleiche Profil. Wir wollen das Ende des Jahres veröffentlichen. Danach werden wir uns mit Android-PCs beschäftigen.

c't: Coast war bisher anscheinend eher ein Experiment.

Krystian Kolondra: Coast war eine Spielwiese für uns, bei der wir uns stark auf die Bedienoberfläche konzentriert haben. Wir haben Eyetracking eingesetzt und sogar Gehirnströme gemessen, um die Gefühle der Tester zu lesen. Wir waren eines der ersten Unternehmen, das mit Bewegungsdesign gearbeitet hat. In klassischem UX-Design interessiert man sich nur dafür, mit welchem Zustand man anfängt und mit welchem man aufhört. Das iPhone zeigte, dass man mehr Feedback geben kann.

c't: Sie sprechen von Mikro-Animationen.

Krystian Kolondra: Genau. Man muss dafür eher wie ein Animationsfilmer denken, man nimmt die Nutzer auf eine Reise von A nach B. Deshalb bauen wir keine Mockups, sondern machen Filme. Manchmal machen wir 50 Filme, bis ein bestimmtes UI-Element passt.

Jetzt arbeiten wir daran, die Neuerungen aus Coast in den iOS-Browser zu bringen, den wir bald erneuern wollen -- aber auch in Android und in den Desktop. Das Schwierige daran ist, dass der Desktop ein Werkzeug für Power-User ist, die zwar nicht unbedingt technisch fortgeschritten sind, aber viel Zeit vor dem Computer verbringen. Dafür muss der Browser extrem effizient sein - die Dinge müssen dort sein, wo man sie erwartet. Wir wollen das um eine flüssige, angenehme Bedienerfahrung erweitern, wie man das etwa von Apple kennt. Das erhöht auch die Produktivität.

c't: Nach unserer Erfahrung lieben die Benutzer Innovation, sie hassen jedoch Veränderung. Opera Coast war ein tolles Konzept, aber anscheinend nicht unbedingt ein großer Erfolg. War Coast zu radikal?

Krystian Kolondra: Wir haben viel gelernt. Für uns ist ein Produkt kein großer Erfolg, wenn es, sagen wir mal, nur 5 Millionen Nutzer findet -- normalerweise spielen wir in einer Liga von vielleicht 30 oder 50 Millionen Nutzern. Aber wir haben herausgefunden, was funktioniert. Unter diesem Gesichtspunkt war Coast sehr wertvoll. Aber da es kein Potenzial für hunderte Millionen Nutzer hat, werden wir es nicht weiter verfolgen.

c't: Der Bewegungsdesign-Ansatz ist sicher nicht ungefährlich, denn Animationen können die Benutzer schnell ablenken.

Krystian Kolondra: Ja, deshalb sollte man das von Beginn an angehen, statt ein tolles Design mit nachträglichen Animationen zu ruinieren.

c't: Ein Thema, mit dem Opera ziemlich Wellen geschlagen hat, war der in Version 37 eingebaute Werbeblocker.

Krystian Kolondra: Wir glauben, dass die meiste Werbung nicht optimiert ist und den Energieverbrauch des Rechners hochtreibt. Die Auswirkungen auf Geschwindigkeit und Stromverbrauch sind deutlich. Wir wollten den Adblocker in die Engine einbauen, denn auf diese Weise ist er um 40 Prozent schneller als die Erweiterungen. Um diesen Geschwindigkeitsunterschied sichtbar zu machen, haben wir auch einen Benchmark eingebaut.

Akzeptabel finden wir zum Beispiel Werbung in Suchtreffern, weil der Benutzer danach sucht und diese Werbung die Seite nicht verlangsamt. Schlechte Werbung dagegen kann das Laden in einem langsamen Netzwerk oft um 10, 20 Sekunden verzögern. In den letzten zehn Jahren hat sich die Klickrate von Werbung nochmal verringert -- von knapp drei auf weniger als ein Prozent. Statt die Benutzererwartungen besser zu bedienen, zeigt man einfach dreimal so viel Werbung.

c't: Wie hat die Werbebranche reagiert?

Krystian Kolondra: Wir haben uns mit dem Internet Advertising Bureau (IAB) in London getroffen. Wir glauben, dass deren LEAN-Initiative gut ist, aber wir sehen nicht viel Bewegung auf dem Markt. Wir möchten nicht diejenigen sein, die entscheiden, was eine gute und was eine schlechte Werbung ist -- wenn es etwas wie das IAB gibt, sollten sie an einem Standard arbeiten.

Wir wissen, dass der Werbeblocker kontrovers ist; er ist nicht per Default aktiviert. Aber indem wir ihn in den Browser einbauen, geben wir ein deutliches Signal. Andere Browser werden womöglich folgen. Wir werden aber nicht Werbung durch andere austauschen oder von den Werbetreibenden Geld verlangen, damit ihre Anzeigen nicht blockiert werden.

c't: Wie entscheiden Sie, welche Werbung in Ordnung ist und welche nicht?

Krystian Kolondra: Wir benutzen die EasyList, das ist die am wenigsten kontroverse Liste. Uns ging es ja nicht darum, radikal alles wegzublocken. Wir versuchen auch nicht, den Werbeblocker vor den Websites zu verbergen. Eine Whitelist haben wir nur für Suchmaschinenwerbung. Nicht mal opera.com steht auf unserer Whitelist – und ja, wir haben uns damit innerhalb des Unternehmens unbeliebt gemacht. Ab Opera 38 können die Benutzer ihre eigenen Black- und Whitelists nehmen.

c't: Operas Werbeblocker blockt auch Operas eigene Werbung?

Krystian Kolondra: Ja. Wir geben dem Benutzer die Wahl. Und es ist auch ein Signal für uns selbst – wie viele Leute benutzen das gegen uns?

c't: Es gibt derzeit viel Diskussion über Werbung im Web ...

Krystian Kolondra: Einer der IAB-Leiter kümmert sich extra um Werbeblocker, um LEAN und DEAL, einen Leitfaden für Publisher, wie sie Benutzer vom Abschalten des Werbeblockers überzeugen können. Ich persönlich glaube nicht, dass DEAL das ist, was der Markt braucht – wenn es keine Gründe für Werbeblocker gäbe, müsste man die Benutzer nicht erst überzeugen. Ich bin für bessere Werbung, das wird die Benutzer viel eher überzeugen. Wenn es einen Standard gibt, könnte man auch über Zertifizierung von Werbung nachdenken.

Es gibt Möglichkeiten. Werbung ist der Treibstoff des Internets. Gerade wir als Browser-Firma brauchen ein offenes Web. Aber wir müssen für den Benutzer einstehen. Und viele wissen sich nicht zu helfen; der Anteil technisch kompetenter Webnutzer sinkt. Nur fünf bis zehn Prozent aller Nutzer installieren Browser-Erweiterungen.

c't: Wenn Sie sich mit dem IAB treffen, gehen Sie dort als Werbefirma oder als Werbeblockerfirma hin?

Krystian Kolondra: Wir gehen als Browser-Firma. Unsere Werbeabteilung hat natürlich auch Kontakt zum IAB und ist in Gesprächen.

c't: Gibt es da eine große Industrie-Initiative oder stehen Sie alleine?

Krystian Kolondra: Wir glauben nicht, dass wir diejenigen sind, die das Problem lösen sollten, das ist die Aufgabe der Werbeindustrie selbst. Was wir tun, ist für den Markt irrelevant, denn Werbeblocker wachsen so schnell. Die Werbeindustrie muss verstehen, dass es ein Problem gibt, und wir helfen gerne.

c't: Hat dieses Feature Opera einen Schub gegeben? Wird es viel genutzt?

Krystian Kolondra: Nein, aber wir sehen, dass die Leute von anderen Werbeblockern zu unserer Lösung wechseln. Insgesamt ist der Anteil der Werbeblocker unter den Opera-Nutzern nur um ein, zwei Prozent gewachsen.

c't: Wie war das bei der anderem großen neuen Opera-Feature, dem VPN?

Krystian Kolondra: Beim VPN war das anders, da gab es vom ersten Tag an mehrere hunderttausend Nutzer. Die meisten Nutzer kamen aus den USA und Europa – Länder, in denen es nicht darum geht, auf ansonsten unzugängliche Inhalte zuzugreifen. Der Anteil von Videos liegt unter 30 Prozent. Anscheinend machen sich die Leute wirklich Gedanken über Datenschutz, werden sich der Gefahren durch Cyberkriminelle immer bewusster.

Thomas Wikberg: Dieses Bewusstsein ist gerade in Deutschland sehr groß. Dabei hilft es auch, das wir ein europäisches Unternehmen sind. "Ah, das ist dieser Browser aus Dänemark oder so ..." (lacht)

c't: Das VPN ist aus Kanada, oder?

Krystian Kolondra: Ja, wir verlagern gerade Teile des Betriebs nach Irland. Wir wollen sicherstellen, dass dieses Feature wirklich Daten schützt. Der Datenverkehr wird mit 256 Bit verschlüsselt. Angreifer erfahren nicht einmal, welche Websites man aufruft. Nach und nach werden wir virtuelle Standorte hinzufügen: Kanada, Niederlande, Singapur ...

VPN ist keine Allzweckwaffe, es schützt nur in der lokalen Umgebung, aber das ist für Dinge wie Identitätsdiebstahl entscheidend. In Polen haben wir gerade dieses neue Antiterrorgesetz, das den Ermittlern erlaubt, ohne Gerichtsbeschluss abzuhören. Daher ist VPN in Polen besonders beliebt.

c't: Bei einem VPN muss ich dem Anbieter natürlich alles anvertrauen. Wie lange speichern Sie die Nutzungsdaten?

Krystian Kolondra: Gar nicht, wir loggen die Benutzerdaten nicht mit. Wir speichern nichts.

c't: Es gab ja auch Kritik am eingebauten VPN.

Krystian Kolondra: Ich habe mich ein bisschen darüber geärgert, dass manche unser VPN als Proxy bezeichnen. Ein VPN ist ein systemweiter Proxy, der den gesamten Traffic verschlüsselt. Ein normaler Proxy bietet dagegen keine Verschlüsselung und leitet meist nur Webseitenaufrufe um. Unsere Lösung ist ein vollwertiges VPN, aber nur für den Browser. Dort verschlüsselt es den gesamten Traffic bis hin zu Zertifikatsabfragen oder Browser-Updates. Wir nennen das "Browser-VPN". Es ist nicht "nur ein Proxy".

c't: Arbeiten Sie an der Browser-Engine mit?

Krystian Kolondra: Wir benutzen Chromium nicht einfach, wir sind nach Google der zweitgrößte Mitwirkende bei Blink. Ungefähr zehn Prozent des Codes kommen von uns. Wir kennen die Engine sehr gut und wir können sie für unsere Nutzer tunen. Google und Chrome haben ihre eigenen Ideen. Wir sehen uns als Tuner und glauben, unsere Benutzer möchten den Stromverbrauch reduzieren. Der Stromsparmodus verringert auch den Bedarf an Arbeitsspeicher. Wir werden unsere Optimierungen in Blink einbringen, aber unsere Nutzer bekommen das schon jetzt – und einiges wird Google niemals akzeptieren.

c't: Wie funktioniert dieses kürzlich veröffentlichte Stromspar-Feature?

Krystian Kolondra: Es gibt ungefähr verschiedene 20 Optimierungen; zum Beispiel drosseln wir Hintergrund-Tabs. Das machen wir auf intelligente Art, sodass wichtige Dinge trotzdem weiterlaufen. Wir schicken die CPU in den Schlaf-Modus, was den Stromverbrauch von vielleicht 80 Watt auf zwei oder drei Watt reduzieren kann. Das Problem dabei sind Timer in JavaScript, die alle paar Millisekunden die CPU aufwecken. Wir versuchen, die Timer zu gruppieren – bei vielen offenen Tabs wecken wir die CPU nicht 30 Mal in 20 ms, sondern nur einmal, um alle 30 Ereignisse abzuarbeiten. So kann die CPU 19 Millisekunden lang schlafen.

c't: Wie viele Leute arbeiten in Operas Browser-Team als Entwickler?

Krystian Kolondra: Mehr als 100 für den Desktop, so viele wie nie zuvor. Im Mobile-Team dürften es auch so 100 bis 120 sein. Der Desktop-Browser wird in Norwegen, Polen (Breslau) und Frankreich (Nizza) entwickelt.

Thomas Wikberg: Insgesamt sind wir weltweit um die 1500, inklusive Opera Mediaworks.

c't: Sehen Sie den bevorstehenden Eigentümerwechsel mit Sorge?

Krystian Kolondra: Für uns ist das Business as Usual. Wir haben auch jetzt schon Eigentümer. Die potenziellen Käufer mögen, was wir tun.

c't: Opera ist in China nicht sehr groß, so viel ich weiß.

Krystian Kolondra: Wir haben in China ein Joint Venture. Der Markt ist so anders, man braucht dort einen chinesischen Partner. Sie benutzen unsere Technologie, um ihre Produkte auf dem chinesischen Markt zu lancieren.

Thomas Wikberg: Wir sind seit etwa 13 Jahren auf dem Aktienmarkt. Unsere Eigentümer sind bloße Investoren: Pensionsfonds, Banken et cetera. Jetzt könnten wir professionelle Eigentümer mit einer Wachstumsstrategie bekommen. Und wenn wir in 20 Jahren noch da sein wollen – dann müssen wir wachsen. (jo)