Digitales Geld: Die Scheinrevolution

Zahlen per Handy gilt als große Innovation – die den skeptischen Deutschen partout nicht schmecken will. Warum auch? Die neuen Dienste sind zumeist nur hübsche Nutzeroberflächen für traditionelle Geldkanäle.

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Von
  • Jan Guldner

Wenn es um die Zukunft des Bezahlens geht, nehmen die großen Technologieunternehmen den Mund ziemlich voll. Gerade erst versuchte Apple-Chef Tim Cook am Trinity College in Dublin den anwesenden Studenten das Apple-eigene Bezahlsystem Apple Pay schmackhaft zu machen. Künftige Generationen wüssten nicht mehr, was Bargeld überhaupt sei, so Cook.

Seine Hoffnung: Man zahlt mit der Entwicklung des Konzerns aus Cupertino, die seit einem Jahr in den USA verfügbar ist, statt mit Scheinen und Münzen. Bei Google klang das vor knapp fünf Jahren ähnlich, als das Unternehmen eine neue Bezahllösung namens Wallet ankündigte.

Doch die großen Versprechen konnten die Unternehmen – zumindest hierzulande – bislang nicht einhalten: Fast 80 Prozent der Transaktionen in Deutschland wurden 2014 nach wie vor in bar getätigt, wie eine Bundesbank-Studie feststellte. Der Anteil mobiler Zahlsysteme war dagegen zu gering, um messbar zu sein. Die Liebe der Deutschen zum Bargeld und ihr Misstrauen gegenüber unübersichtlichen technologischen Neuerungen spielen mit Sicherheit eine Rolle.

Hinzu dürfte jedoch ein dritter Faktor kommen: Kaum einem hierzulande erschließt sich der zusätzliche Nutzen. Denn die vermeintlich innovativen Ideen der Konzerne sind nur schöne Fassade. Im Hintergrund laufen die klassischen Geldtransfermechanismen ab, die seit Jahrzehnten in der Finanzwirtschaft eingesetzt werden. "Die Anbieter von Mobile-Payment-Lösungen nutzen nach wie vor fast immer die Infrastruktur der Banken", sagt Philipp Sandner, Professor an der Frankfurt School of Finance.

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Das heißt: Ob man an der Supermarktkasse ein iPhone oder eine Kreditkarte mit Near-Field-Communication-Chip (NFC) wie zum Beispiel payWave von Visa an ein Lesegerät hält, macht keinen Unterschied. Die ausgelöste Zahlung nimmt in beiden Fällen den gleichen Weg, das Geld wird von der Kreditkarte abgebucht. Nicht anders funktioniert die Google-Wallet-Lösung, die inzwischen Android Pay heißt.

Und auch Facebook, das in den USA in seinen Messenger eine Funktion zum Verschicken von Geld eingebaut hat, setzt am Ende auf den Einzug vom Konto oder der Kreditkarte. Für Dirk Elsner ist das keine Bezahlrevolution. "Das ist nicht das, was man vom digitalen Bezahlen erwartet hat", sagt der Experte der Innovecs GmbH, der hauptsächlich Finanzdienstleister berät. "Man setzt auf die traditionellen Zahlungskanäle einfach eine neue, hübsche Oberfläche. Es ist so ähnlich wie mit Windows, das war anfangs auch nur ein ansehnlicheres Interface für Microsoft Dos." Grundsätzlich ist es natürlich keine dumme Idee, sich auf eine einfache Bedienbarkeit zu konzentrieren – und den eigentlichen Zahlungsverkehr den Banken und Kreditkartenfirmen zu überlassen.

Sie haben ihn schließlich seit Jahrzehnten perfektioniert. Aber sie reicht eben nicht, um den Deutschen das als so praktisch empfundene Bargeld abspenstig zu machen.

Durchsetzen konnten sich die Ideen der Technologiefirmen daher nur dort, wo das Bezahlen eine wirkliche Qual war. Ein gutes Beispiel dafür ist PayPal. Das Angebot des Internetdienstleisters, der bis Ende letzten Jahres noch eine Tochter des Auktionshauses Ebay war, ist mittlerweile eine der meistgenutzten Zahlungsformen im deutschen E-Commerce. Fast 70 Prozent aller Online-Händler bieten das Verfahren derzeit an, so eine Studie der ibi research GmbH der Uni Regensburg.

Wie hat PayPal das geschafft? Indem es einen komplizierten Vorgang weniger kompliziert gemacht hat. Statt umständlich Geld per Vorkasse zu überweisen und dabei mit langen IBAN-Nummern und TAN-Verfahren zu hantieren, verknüpft PayPal ein Bankkonto mit einer E-Mail-Adresse. Für Transaktionen braucht man nur noch ein Passwort. Im vergangenen Jahr wurden in insgesamt vier Milliarden Transaktionen rund 235 Milliarden Dollar über den amerikanischen Dienst verschoben.

Die digitale Geldbörse schaltet sich so zwischen Bank und Händler. Und verdient damit Geld. "PayPal wie auch andere digitale Bezahldienstleister sind zwar noch keine Gefährdung für die Banken, aber sie wollen sich einen Teil des Gebührenkuchens abschneiden", sagt der Innovecs-Berater Dirk Elsner.

Das versuchen die Banken zu verhindern. Wozu man überhaupt einen Dritten zwischen Kunde und Bank braucht, fragt sich auch Helmut Wißmann, Geschäftsführer des von vielen deutschen Banken unterstützten PayPal-Konkurrenten paydirekt. Theoretisch wäre es möglich, dass dereinst alle über 50 Millionen Onlinekonto-Besitzer in Deutschland den Dienst nutzen. Wie bei PayPal können sie dann mit Mailadresse und Passwort bezahlen.

Dorthin zu kommen wird jedoch schwer, glaubt Philipp Sandner. Denn noch wickelt paydirekt nur Zahlungen im Internethandel ab. "Aber im E-Commerce ist das Rennen um die größten Bezahlverfahren weitgehend entschieden", sagt Sandner. Offener sei der Kampf dagegen bei mobilen Bezahllösungen. "Da werden noch mal alle Karten neu gemischt." Eine Chance aber wird nur haben, wer eine einfachere Lösung als Bargeld anbietet – oder überzeugende zusätzliche Dienste bietet. Dem Zahlsystem Yapital – unterstützt von der Otto Group – fehlte beides.

Es funktionierte über QR-Codes. Kunden mussten sie an der Kasse mit dem Smartphone per App fotografieren. Yapital ist mittlerweile pleite. Ein ähnliches Verfahren, das auch auf QR-Codes basiert, testet PayPal seit Längerem, ebenfalls nur mit mäßigem Erfolg. Auch die Post kommt nicht recht voran. Ihr Paysmart getauftes QR-System ist seit seiner Pilotphase nur in Köln nutzbar.

Solche Fehlversuche halten die US-Tech-Riesen indes nicht davon ab, weiterhin die Säbel rasseln zu lassen. "Die Zukunft des Bezahlens ist der derzeit größte Kriegsschauplatz zwischen Apple, Google, Facebook, Amazon und mit Abstrichen PayPal", sagt Key Pousttchi, Professor für Wirtschaftsinformatik und Digitalisierung an der Uni Potsdam.

Denn wer hier gewinnt, bekommt mehr als nur Gebühren – die hat ohnehin nur PayPal als vorrangiges Ziel im Auge. Allen anderen geht es fast ausschließlich um Daten. Sie möchten wissen, was wir offline kaufen – und damit erfahren, welche Bücher wir lesen, wie wir uns ernähren, welche Mode uns gefällt. Den großen Gewinn soll am Ende gezielte Werbung bringen. (bsc)