Nach Missbrauchsvorwürfen: Aktivistinnen verteidigen Jacob Appelbaum

Eine Reihe namhafter Netzaktivistinnen und Netzaktivisten stellt sich in einem offenen Brief an die Seite Jacob Appelbaums. Die Missbrauchsvorwürfe müssten von den zuständigen Stellen geklärt werden. Sie hätten ihn jedenfalls nicht so kennengelernt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 276 Kommentare lesen
Jacob Appelbaum

Jacob Appelbaum auf der re:publica 2014

(Bild: re:publica; CC BY-SA 2.0)

Lesezeit: 3 Min.

Eine Woche nachdem der Aktivist Jacob Appelbaum das Tor-Projekt wegen Missbrauchsvorwürfen gegen sich verlassen hat, sammeln sich nun seine Unterstützer. Eine Gruppe von Netzaktivistinnen (und inzwischen auch Netzaktivisten) um Renata Avila, Susan Benn und Sara Harrison sprechen sich in einem offenen Brief gegen die "koordinierten und einseitigen Angriffe" auf Appelbaums Charakter und Arbeit aus. Die "Mainstream-Medien" seien unwillig, Fakten zu überprüfen und würden nur "zu gerne unbestätigte und nicht überprüfbare" Gerüchte verbreiten. Dem wolle man die eigenen, über Jahre gesammelten Erfahrungen entgegen stellen.

Die Unterzeichner/innen des Briefs gestehen ein, nicht zu wissen, was sich in bestimmten Situationen zugetragen hat. Außerdem wolle man keinen zugefügten Schmerz trivialisieren. Sie beobachteten jedoch "einen unerhörten Rufmord" – mit on- und offline vorgetragenen Anschuldigungen. Das sei nicht der Weg, um die Wahrheit herauszufinden. Ihre Erfahrungen mit Appelbaum jedenfalls seien andere und sie würden ihn als "nette, loyale und engagierte Person" kennen. Er könne zwar unverblümt und provokativ sein, aber so wie derzeit unterstellt, habe er sich ihnen gegenüber nie verhalten. Man entschuldige kein echtes Fehlverhalten, glaube aber an eine offene und auf Fakten basierende Diskussion.

Vor einer Woche hatte die Geschäftsführerin des Anonymisierungs-Netzwerks Tor erklärt, Appelbaum habe seine Arbeit an dem Projekt beendet, nachdem neue Missbrauchsvorwürfe bekannt geworden seien. Derartige Anschuldigungen gegen den Aktivisten seien nicht völlig neu. Sie sollten nun unabhängig und intern überprüft werden. Danach hatten sich auch die Hacker des Cult of the Dead Cow und die Freedom of the Press-Foundation von ihm getrennt. Zwar gibt es inzwischen erhebliche Zweifel an einer von Gizmodo verbreiteten Beschreibung eines angeblichen Fehlverhaltens von Appelbaum, andere wie etwa Nick Farr und Leigh Honeywell stehen aber öffentlich zu ihren Anschuldigungen gegen den Aktivisten. Der hatte bereits erklärt, die unbegründeten Angriffe entbehrten jeglicher Grundlage.

Auffällig ist, dass sich unter den erklärten Unterstützern kaum Personen aus der Hacker- und Infosec-Community finden – also der Szene, in der Applebaum hauptsächlich aktiv war. Insgesamt ist dort die Stimmung nicht gerade zu seinen Gunsten. Es dominiert plötzlich die aus vielen Richtungen bestätigte Einschätzung, dass Appelbaum ein rücksichtsloser Egomane sei, der mit den in der Community erwünschten und teilweise auch eingeforderten Werten nichts am Hut hatte. Insbesondere bestätigen viele Personen, dass er weit über ein sozial akzeptables Maß hinaus auf seinen persönlichen Vorteil erpicht war.

Viele zeigen sich überrascht und erschüttert, dass so jemand in "ihrer Szene" zum Star und Aushängeschild aufsteigen konnte. CCC-Ikone und Blogger Fefe etwa fragt sich erschrocken: "Sind wir gar die neue katholische Kirche?" Ob es tatsächlich zu strafbaren Missbrauchshandlungen gekommen ist, die Appelbaum ja explizit abstreitet, halten die meisten zwar weiterhin für unbewiesen – ist aber der allgemeinen Ansicht nach auch nicht wirklich entscheidend dafür, ob er weiter als Repräsentant der Community fungieren kann. (ju) / (mho)