Neuer Castro-Bildband: Jugendjahre einer Revolution

Über Fidel Castro ist schon viel geschrieben worden. Zu den frühen Schilderungen gehört das Buch des Amerikaners Lee Lockwood von 1967 mit einem langen Interview. Der Taschen-Verlag hat es jetzt als Bildband mit vielen noch unveröffentlichten Fotos herausgebracht.

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Von
  • Klaus Blume

Revolutionär in schwarzen Socken: Den Zigarrenstummel in der linken Hand hängt Fidel Castro lässig im Schaukelstuhl auf der Terrasse, die Schuhe, ein Paar Slipper, weit vor ihm auf dem Boden. Drei Meter weiter sitzt seine enge Vertraute Celia Sánchez (1920-1980) ganz in ihre Notizen versunken auf einem Bambussofa. Alltag auf der Isla de Pinos vor der Südwestküste Kubas im Jahr 1965.

Lee Lockwood. Castros Kuba. Ein Amerikaner in Kuba. Reportagen aus den Jahren 1959–1969 Lee Lockwood, Saul Landau Hardcover, 25,5 x 34 cm, 368 Seiten € 49,99

(Bild: Taschen-Verlag)

Aufgenommen hat die Szene der amerikanische Fotojournalist Lee Lockwood (1932-2010), der dem kubanischen Revolutionsführer vor einem halben Jahrhundert näher als kaum ein anderer westlicher Reporter vor und nach ihm kam. Er war dabei, als Castros Kämpfer 1959 in Havanna einzogen, kehrte dann mehrfach auf die Insel zurück und konnte 1965 ein siebentägiges Interview mit dem "Máximo líder" führen. 1967 publizierte er dazu ein Buch, das nun – mit mehr als 200 bisher unveröffentlichten Fotos – neu auf Deutsch vorliegt.

Unter dem Titel Castros Kuba hat der Taschen-Verlag Lockwoods Klassiker Castro's Cuba – Cuba's Fidel als prächtigen Bildband herausgebracht. Er führt in die Jugendjahre der kubanischen Revolution. Lockwood war damals losgezogen, seinen Landsleuten in den USA mitten im Kalten Krieg ein realistisches Bild von der sozialistischen Karibikinsel zu vermitteln.

Er lobt die sozialen Verbesserungen, die die Revolution der Landbevölkerung brachte und bekennt sich zu seiner "Faszination für die außergewöhnliche Person Fidel Castro". Zugleich beklagt er die Zensur und die Unterdrückung jeder Kritik, die Verdrängung der Mittelklasse sowie "Chaos und Misswirtschaft". Seiner Regierung empfiehlt er, die Revolution als "Fait accompli" zu akzeptieren und ihre Bemühungen einzustellen, das Castro-Regime zu stürzen. Schließlich stehe die große Mehrheit der Bevölkerung hinter Castro.

We Support Fidel,” 26th of July, Revolution Square, Havana, 1959

(Bild: © 2016 Lee Lockwood / TASCHEN)

Anscheinend fasste der kubanische Regierungschef schnell Vertrauen zu dem Nordamerikaner, denn dieser durfte ihn auf seinen Touren quer durch die Insel begleiten. Lockwood hat ihn abgelichtet, wie er mit Bauern über die Rente diskutiert und wie ihm eine alte Frau den Bart krault. Auf anderen Bildern sieht man Castro am Steuer einer Motorjacht, beim Pingpong-Spielen, auf der Jagd oder bei einem dreitägigen Dominomarathon mit Genossen.

Lockwood illustriert den kubanischen Alltag der 60er Jahre in Stadt und Land, und er zeigt die jubelnden Massen nach dem Sieg der Revolutionäre über den Diktator Fulgencio Batista 1959. Er darf aber auch mit politischen Gefangenen sprechen, von denen es damals etwa 20.000 auf Kuba gab. "Ich war der erste Journalist überhaupt, der die Gefängnisse und Rehabilitationszentren besuchen, fotografieren und mit den Gefangenen sprechen durfte", schreibt Lockwood.

Isle of Pines, 1965 “Days, when she [Celia Sánchez] was not away on some commission for Fidel, she would sit on the veranda, her feet tucked under her, making careful architectural drawings in an artist’s sketchbook for a new restaurant and recreation area that she was designing, to be built near Varadero.” —Lee Lockwood

(Bild: © 2016 Lee Lockwood / TASCHEN)

Man sieht Castro auch als Redner bei Massenveranstaltungen, aber das ist seine wohl bekannteste Pose. Ungewöhnlich dagegen die Aufnahmen, die Castro und den Schweizer Botschafter Emil Stadelhofer spätnachts am Tisch einer Pizzeria 1965 bei Verhandlungen über eine geplante Luftbrücke für ausreisewillige Kubaner in die USA zeigen.

Um die vielen Fotos unterzubringen, hat der Verlag Lockwoods Originaltext leicht gekürzt. Leider wurde der Text auch ziemlich klein gedruckt, was das Lesen in dem drei Kilo schweren Bildband etwas mühselig macht. Das Castro-Interview umfasst alleine 75 Seiten, kaum ein Thema wird ausgespart.

Lockwood hat die Fertigstellung des Bandes nicht mehr erlebt. Nach seinem Tod 2010 schrieb der Autor Saul Landau (1936-2013) das Vor- und Nachwort. Er beklagt darin, dass sich Castros Kuba zu einer "dysfunktionalen Gesellschaft" entwickelt habe, wo "eine ernsthaft überalterte Parteiführung" Werte predige, die sie selbst nicht lebe.

“Fidel, Cuba’s No. 1, nonstop orator,” Santiago de Cuba, Cuba’s second largest city, 1967

(Bild:  © 2016 Lee Lockwood / TASCHEN)

Fidel Castro hat schon 2006 nach einer schweren Erkrankung die Macht an seinen jüngeren Bruder Raúl abgegeben, der einen Kurs vorsichtiger Wirtschaftsreformen fährt. 50 Jahre nach Lockwoods Interview beendeten Washington und Havanna ihre Eiszeit und nahmen 2015 wieder diplomatische Beziehungen auf. Am Machtmonopol der Kommunisten lässt aber auch der jüngere Castro-Bruder nicht rütteln, Opposition und freie Presse bleiben verboten. Schon Lockwood warnte, wie Zensur als staatliches Instrument sich schnell verselbstständigen könne. Man fragt sich, warum sein kluges Buch nicht eher auf Deutsch erschien. (keh)