Kommentar: Siri gibt es gar nicht

Es ist kein schöner Anblick, wenn Leute mit ihren Sprachassistenten sprechen. Geradezu gruselig wird es, wenn sich die stolzen Diktierer über das Ergebnis aufregen, obwohl da doch gar niemand ist, über den man sich aufregen könnte: nur Code.

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Kommentar: Siri gibt es gar nicht
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Gerald Himmelein

Wenn Kollegen über Sprachassistenten schreiben, entgleitet ihr Wortschatz in Richtung "sie" und "ihr". Nur weil die Stimme weiblich klingt, wird der Assistent ganz subtil zur Assistentin. Dabei handelt es sich immer noch um ein geschlechtsneutrales Programm; dessen Weiblichkeit ist reine Augenwischerei.

Vor einigen Monaten wurde ich unfreiwillig Zeuge, wie ein Kollege im Büro nebenan versuchte, den Alexa-Assistenten von Amazon zu bändigen. Es war kein produktiver Austausch. Schnell wurde der Kollege gereizt und schrie seine Anweisungen so laut, dass man schon ein emotionsloser Lautsprecher sein musste, um nicht zurückzubrüllen.

Ein Kommentar von Gerald Himmelein

Gerald Himmelein schreibt seit 1998 für die c't und heise online. Er beschäftigt sich mit Dingen, die einem auf den Fuß (Hardware) ebenso wie mit Dingen, die einem auf die Nerven fallen können (Software). Also von Grafiktabletts und Tastaturen über Malprogramme und 3D-Grafik bis hin zu Windows-Troubleshooting.

Es knisterte genauso in der Luft, wie wenn im dünnwandigen Mehrfamilienhaus das Nachbarehepaar zu streiten beginnt. Nur, dass der Streit im Nachbarbüro komplett einseitig blieb. Mit honigsüßer Frauenstimme entschuldigte sich der Echo-Lautsprecher für falsch verstandene Anweisungen und blieb vom scharfen Ton des Gegenübers völlig unbeeindruckt.

Nach einer halben Stunde Geblöke fragte ich mich, in welchem Ton der Kollege mit seiner real existierenden Frau diskutieren mag – und erschrak über meine Dummheit. Ich war voll in die Falle getappt. Der Kollege war in seinem Büro alleine. Alexa, Cortana, Siri... das sind keine Frauen, keine Assistentinnen. Das ist nicht einmal künstliche Intelligenz, sondern ein einfaches lokales Frontend für eine Bank von Riesenrechnern. Die analysieren die empfangenen Sprachfetzen irgendwo in Seattle, Redmond oder Cupertino, errechnen Antworten und schicken sie an die Sprachausgabe zurück.

Mehrere Studien haben empirisch festgehalten, dass weibliche Stimmen besser akzeptiert werden als männliche. Und so folgen alle Sprachassistenten unabhängig vom Hersteller demselben Muster: mittelhohe weiche Stimme, betont freundlich, einschmeichelnd, mit einem Hauch von Unterwürfigkeit.

Entsprechend behandeln die Sprecher ihre Assistenten auch. In der Straßenbahn sah ich einem in Erdfarben gekleideten Studi dabei zu, wie er seiner Siri einen Termin diktierte. Er sprach mit seinem Smartphone, als telefoniere er mit einer geistig zurückgebliebenen Sekretärin. Als der Assistent den Termin falsch verstand, wiederholte der Student sein Diktat in einem Tonfall, bei dem ich plötzlich das Wort "Mansplaining" im Kopf hatte. Falls Sie von diesem Kunstwort bisher verschont geblieben sind: Es beschreibt die Situation, in der ein Mann einer Frau etwas so herablassend erklärt, als sei sie ein Depp.

Sprachassistenten sind, machen wir uns nichts vor, tatsächlich Deppen. Für die meisten von uns sind sie zudem reines Spielzeug. Sparen Sie es sich, jetzt die Accessibility-Karte zu zücken: Geschenkt. Wenn mir ein humorloser Forentroll alle Finger bricht und danach beide Hände im Gips stecken, schlage ich mich garantiert lieber mit einem verdepperten Assistenten herum als sechs Wochen lang komplett auf das Smartphone zu verzichten.

Aber solange ich zehn gesunde Finger habe, ist ein Sprachassistent überflüssige Spielerei. "Aber ich kann mit Siri im Auto so bequem eine SMS diktieren", wendet ein Kollege ein. Vielleicht solltest Du Dich im Auto auf den verdammten Verkehr konzentrieren.

"Cortana kann mir unterwegs Mails vorlesen!" Großartig. Bitte sehr: "Meine Liebste, Hoffen, dass diese E-Mail erfüllt Sie gut. Ich suche für Ihre Hilfe, mir zu helfen die Summe von Dollar übertragen, die ich geerbt von meinem verstorbenen Vater auf Ihr Bankkonto." Solche Infos braucht man natürlich sofort.

"Alexa hilft mir beim Einkaufen!" Dieser schwerhörige Lautsprecher will seine Käufer in erster Linie dazu bewegen, Amazon noch mehr Geld zu geben. Nicht nur Alexa, alle Sprachassistenten sind in erster Linie Datensammelstationen. Sie merken sich jede Suchanfrage, jeden besuchten Ort. Natürlich nur, um ihrem Herrn und Gebieter besser dienen zu können.

Zeit für ein Geständnis: Auch ich nutze einen Sprachassistenten, mein Navi. Dessen weibliche Standardstimme hatte allerdings eine derart unerträgliche Leier, dass Ehefrau und ich nach zehn Minuten rechts ran fuhren, um eine Alternative zu suchen. Wir blieben bei "Yannick" hängen. Der nutzt zwar zweifelhafte Grammatik ("Nach 80 Metern Sie haben Ihren Zielort erreicht"), ist ansonsten aber brauchbar.

Was an Yannick jedoch kaum zu ertragen ist, ist seine Sprachsteuerung. Der einzige Befehl, den das dumme Ding auf Anhieb versteht, ist "Ton aus". Egal, wie brav ich "Navigiere zum Heimatort" aufsage, beim ersten Versuch kommt stets als Rückfrage "Navigiere zum nächsten Arzt. Ist das richtig?" Erst der zweite oder dritte Anlauf klappt. Dann betone ich aber, als erklärte ich einem geistig zurückgebliebenen Praktikanten gerade die einfachste Kommaregel. Danach sieht meine Frau mich an und sagt: "Solltest Du mich auch nur einmal in diesem Ton ansprechen, sind wir geschiedene Leute."

Ich glaube, Sprachsteuerung ist nur was für ewige Singles. (ghi)