Ausprobiert: Eine Wing-Wing-Situation

Die Plattform Wingly bringt Privatpiloten und Mitflieger zusammen und schließt so eine luftige Lücke der Sharing Economy.

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"Clear prop", ruft Robert aus dem Fensterspalt, bevor er den Motor der Cessna 172 anschmeißt. Auch wenn niemand in der Nähe ist, dem der Propeller gefährlich werden könnte – sicher ist sicher für "meinen" Piloten. Kurz darauf rollen wir vom "General Aviation Terminal" des Hannoveraner Flughafens Richtung Startbahn. Mein Flug geht mit zwei weiteren Gästen nach Bremerhaven.

Zusammengebracht hat uns Wingly, eine im Januar gestartete Mitflugzentrale im Internet (de.wingly.io). Rund 400 Privatpiloten haben sich bisher dort registriert. Der 33-jährige Robert ist einer von ihnen. Bei 40000 Privatpiloten in Deutschland ist im Angebot von Wingly somit buchstäblich noch Luft nach oben. Doch es finden sich bereits so einige Rund- und Streckenflüge im Angebot, etwa nach Helgoland oder Salzburg.

Die Benutzung der Plattform funktioniert nach demselben Prinzip wie Mitfahrzentralen. Das Anmeldeverfahren unterscheidet sich aber ein wenig: Man muss etwa sein Körpergewicht angeben und eine Kopie seines Personalausweises hochladen. Bezahlt wird über Kreditkarte, PayPal oder – nach Absprache – in bar. Für leidenschaftliche Piloten wie Robert kommt Wingly wie gerufen. "Es ist schwer, immer Freunde oder Bekannte zu finden, die mitfliegen wollen", sagt Robert, der im September 2015 seine Fluglizenz gemacht hat. Er freut sich daher über Passagiere, die sich an Spritkosten, Charter und Flughafengebühren beteiligen.

Für den circa 90-minütigen Mitflug nach Bremerhaven zahlen die Passagiere jeweils 60 Euro. Zum Vergleich: Eine Bahnfahrt für die Strecke kostet zwischen 35 und 44 Euro und dauert 1,5 bis 2,5 Stunden. Von der reinen Reisezeit ist der Flieger also konkurrenzfähig oder schneller. Doch so mancher Flugplatz liegt weitab vom Zentrum oder ist schlecht an den Nahverkehr angebunden. Dazu kommt noch die Zeit für die Sicherheitskontrolle und den Check der Maschine. Von Innenstadt zu Innenstadt waren wir deshalb insgesamt mehr als vier Stunden unterwegs.

Immerhin hatten wir bestes Wetter und sind pünktlich abgehoben. Das ist keineswegs selbstverständlich: Handelt es sich um Sichtflüge, ist eine kurzfristige Absage jederzeit möglich. Auch für einen großen Reisekoffer war zumindest in Roberts ausgebuchter Maschine kein Platz. Für einen Flug in den Urlaub oder zu einem wichtigen Termin ist Wingly deshalb nicht ganz so praktikabel.

Ohne Zeitdruck ist die Reise mit einem Privatflugzeug aber definitiv ein tolles Erlebnis: Man spürt die Flugbewegungen viel deutlicher als in einem großen Jet, hat eine bessere Aussicht und lernt etwas über die Fliegerei, denn Robert erklärt bereitwillig jeden Handgriff. Da kann die Bahn nicht mithalten.

Jennifer Lepies, TR-Redakteurin, würde jederzeit wieder mit Wingly fliegen. (jle)