NSA-Ausschuss: "Snowden ist komplett von den Russen abgeschöpft worden"

Stefan Kaller, Abteilungsleiter im Innenressort, hat sich im NSA-Ausschuss mehr oder weniger hinter die These von Verfassungsschutzpräsident Maaßen gestellt, Snowden sei ein russischer Agent. XKeyscore ist beim Staatsschutz nun im "Wirkbetrieb".

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Der Skandal erreicht den Bundestag

(Bild: Deutscher Bundestag / Simone M. Neumann / NSA<br>)

Lesezeit: 6 Min.
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Im Juni hatte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen einige Abgeordnete im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags stark irritiert: Der Whistleblower Edward Snowden sei wohl mittlerweile ein russischer Spion. Stefan Kaller, Leiter der Abteilung "Öffentliche Sicherheit" im Bundesinnenministerium, versuchte die These am Donnerstag in dem Gremium verständlich zu machen und warf damit weitere Fragen auf.

Er kenne den Wortlaut der Darstellung Maaßens zwar nicht, erklärte der Jurist vor den Parlamentariern. Es gebe keine Hinweise, dass Snowden seit seiner Zeit bei der NSA "eine nachrichtendienstlich gesteuerte Person" gewesen sei. Angesichts dessen "Verhalten nach der Zufluchtnahme in Moskau" spreche alles nachrichtendienstliche Erfahrungswissen dafür, dass er sich "komplett, in toto" habe "abschöpfen lassen". Alles, was für russische Dienste interessant gewesen sei, dürften diese inzwischen in Erfahrung gebracht haben.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

"Ob ich eine solche Person als Spion bezeichnen darf oder möchte, soll jeder selbst entscheiden", setzte der als "Musterschüler" des früheren Innenministers und jetzigen Finanzministers Wolfgang Schäuble (CDU) geltende Zeuge hinzu. "Das ist eine kulturelle Bewertungsfrage." Generell sei Maaßen ein "außerordentlich erfolgreicher, sehr, sehr guter Präsident seiner Behörde". Er werde als Leiter der BfV-Fachaufsicht daher nicht wegen dieser oder anderer umstrittener Äußerungen mit Maaßen ein Kontrollgespräch führen.

Snowden selbst hatte immer wieder erklärt, alle von der NSA abgezogenen Dokumente an Journalisten als Vertrauensleute ausgehändigt und kein Material selbst behalten zu haben. Der grüne Obmann Konstantin von Notz wollte wissen, wieso die Bundesregierung dem Whistleblower nicht selbst Asyl geben oder ihn schon aus eigenem Interesse aus den Fängen russischer Geheimdienste befreien wolle. Ein Mann, der derart intensiv ausgeforscht worden sei, hat Kaller zufolge aber zumindest für die Spionageabwehr keinen Wert mehr.

Überraschend überbrachte der 57-Jährige die Nachricht, dass das BfV nach einer langen Testphase das Erfassungs- und Analysewerkzeug XKeyscore der NSA "seit einer Woche in Wirkbetrieb" genommen hat. Lange hatte sich die Abteilung für IT-Sicherheit beim Staatsschutz gegen diesen Schritt gesträubt, doch jetzt läuft das Programm, wie Kaller berichtete. Es werde aber nur eingesetzt, um rechtmäßig erhobene Daten auszuwerten, also etwa WhatsApp-Kommunikation zu durchsuchen.

XKeyscore befand sich seit Jahren beim BfV im Probebetrieb. Es werde natürlich erwartet, dass es aus der Software keine unerwünschten Informationsabflüsse gebe, unterstrich der Ministerialdirektor. Dies sei nun geschehen. Er habe einen Auftrag erteilt, intern nachzufassen, wieso das Genehmigungsverfahren so lange gedauert habe. Generell sei es Aufgabe des Amtes, möglichst die besten Programme zu beschaffen, um den eigenen Auftrag zu erfüllen.

Umstritten ist nach wie vor, ob es für XKeyscore eine eigene Dateianordnung mit den damit einhergehenden Genehmigungspflichten braucht. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff hält dies für nötig, wie aus einem Schreiben an die Obfrau der Linken Martina Renner hervorgeht. Das Innenressort und die Staatsschützer gehen dagegen davon aus, dass die NSA-Software trotz physikalischer Trennung an die bestehende Überwachungsanlage des Amtes gleichsam angedockt werde, mit dort gewonnen Daten arbeite und daher kein formelles Verfahren mehr durchgeführt werden müsse.

Dass Erkenntnisse, die das BfV über XKeyscore gewinnt, laut den Nutzungsbedingungen so weit wie möglich an die NSA weitergegeben werden sollen, ist für Kaller kein Stein des Anstoßes. Er kenne die "Terms of Reference" zwar nicht. Es müsse jedoch klar sein: "Wir teilen alle Informationen, die wir über islamistische Gefährder haben", mit den USA und europäischen Partnern. "Wehe, wir täten es nicht." Hoffentlich leiteten "uns die Amerikaner" auch ihrerseits nach wie vor werthaltige Daten weiter: "That's the deal, mit oder ohne Terms of Reference". Alle Verabredungen stünden "immer unter dem Vorbehalt unseres nationalen Rechts".

Die Ergebnisse der Sonderauswertung der Snowden-Enthüllungen (SAW) der Staatsschützer bezeichnete der Zeuge als "nicht mager, aber überschaubar". Die Analyse habe ergeben, dass "konkrete Spionagewürfe gegen Deutschland nicht belegt" seien, "aber plausibel scheinen". Generell gehe es um elektronische Aufklärung: "Das entgrenzte Internet begegnet uns hier auch", geografisch sei das Geschehen so kaum einzuzäunen. Es gebe aber einige Punkte, da finde die Überwachung statt, aber diese müssten nicht in Deutschland liegen.

Aus dem geheimen SAW-Abschlussbericht zog die Regierung laut Kaller etwa die Konsequenz, "künftig differenzierter und intensiver auf Nachrichtendienste auch befreundeter Staaten zu schauen" und die Cyberabwehr zu stärken. Im Blick zu behalten sei aber auch, dass es eine hohe Gemeinsamkeit an Werten mit Partnerstaaten gebe. "Wir spielen mit Freunden Fußball, aber trotzdem gibt es mal ein Foul", brachte der Rechtsexperte einen Vergleich. Dies müsse man "einfach zur Kenntnis nehmen", aber "nichts Riesiges daraus zimmern".

Für den rechtskonformen Transfer von Handydaten an US-Geheimdienste hält Kaller die "Selbstkontrolle im Amt" für ausreichend. Es müsse intern von den Sachbearbeitern und ihren Vorgesetzten geprüft werden, welche Informationen weitergeleitet werden dürften. Für solche Zwecke "fahre ich selbst nicht dorthin". Einen Nachweis für einen "unmittelbaren Kausalverlauf" zwischen der Weitergabe von Standortdaten und gezielten tödlichen Drohnenangriffen gebe es nicht.

[Update 08.07.2016 10:14]:

In der Formulierung der Aussagen von Kaller klargestellt, dass er nicht der Ansicht ist, Snowden sei schon in seiner Zeit bei der NSA vom russischen Geheimdienst abgeschöpft worden. (mho)