Sauberer, aber schmutzig

Digitale Steuerung kann alte Kohlekraftwerke effizienter und umweltfreundlicher machen. Doch wenn sie dadurch länger in Betrieb bleiben, ist das für das Klima nicht unbedingt eine gute Nachricht.

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Von
  • Richard Martin
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Wegen eines Überangebots an Strom und fallender Großhandelspreise schaltete der italienische Versorger A2A im Jahr 2014 sein Gaskraftwerk Chivasso in der Nähe von Turin ab. In diesem Jahr aber wurde es wieder in Betrieb genommen. Das Marktumfeld hat sich verbessert, doch der Hauptgrund dafür war neue Cloud-Technologie, die einen effizienteren Betrieb ermöglicht, erklärt Massimiliano Masi, Vice-President für Stromerzeugung und -handel bei A2A.

Mit Hard- und Software von GE, so Masi, kann das Kraftwerk innerhalb von maximal zwei statt früher drei Stunden vom Ruhezustand auf volle Leistung hochgefahren werden. Dadurch kann es schneller auf Veränderungen der Nachfrage reagieren, die sich unter anderem durch die schwankende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen ergibt. Laut Masi ist das ein bedeutender Vorteil, denn "die Betreiber der Übertragungsnetze arbeiten lieber mit Kraftwerken, die in weniger Zeit die volle Produktion erreichen."

Das digitale GE-Steuersystem für Gaskraftwerke ist im vergangenen Herbst, das für Kohlekraftwerke im Juni auf den Markt gekommen. Bei alten Kohlekraftwerken lässt sich die Effizienz (gemessen am Anteil der Energie im Brennstoff, der tatsächlich zur Stromerzeugung dient) damit nach Angaben des Unternehmens von durchschnittlich 33 Prozent auf 49 Prozent steigern, was einer Verringerung der Treibhausgasemissionen um 3 Prozent entspricht. Dies geschieht mit Hilfe von optimierter Verbrennung, einer Feinabstimmung auf die verbrannte Kohle und einer Anpassung der Sauerstoff-Zufuhr in den Brennraum sowie mit einer Verringerung der Ausfallzeiten durch technische Probleme. Neben GE bieten inzwischen auch andere Großunternehmen wie IBM, Siemens und Schneider Electric verschiedene Arten der Digitalisierung für Großkraftwerke an, auch solche auf der Basis erneuerbarer Energien.

Versorger versuchen seit mehr als einem Jahrzehnt, das "Internet der Dinge" für sich zu nutzen, sagt Tim Riordan, Vice-President für Ingenieursdienstleistungen bei American Electric Power. Erst seit kurzem aber sei die Technologie weit genug fortgeschritten, um die Investitionen zu rechtfertigen. "Das Potenzial ist riesig", sagt Riordan, dessen Unternehmen die Anlagenmanagement-Plattform Maximo von IBM sowie das Siemens-System Prism einsetzt, um die Performance seiner fossilen Kraftwerke nachzuverfolgen. "All das wirklich zu integrieren und im großen Maßstab zu machen, wird kein unbedeutender Aufwand sein", schränkt er aber ein.

Wie bei Chivasso könnte solche Technologie mit darüber bestimmen, wie lang alte fossile Kraftwerke in Betrieb bleiben. Entscheidungen, ob und wann Kraftwerke endgültig stillgelegt werden, "fallen auf oberster Führungsebene", sagt Michael Reid, General Manager für technische Programme für fossile Brennstoffe und Wasserkraft bei Duke Energy. Seit 2016 hat das Unternehmen 16 Kohlekraftwerke stillgelegt oder auf Erdgas umgestellt, bis 2020 sollen noch 9 weitere folgen. Digitaltechnologie kann die Effizienz, Flexibilität und das Emissionsprofil alternder Kraftwerke verbessern, fügt Reid hinzu. "Aber um bedeutende Fortschritte in diesem Bereich zu machen, sind erhebliche Design-Änderungen erforderlich."

Die Digitalisierung von Kraftwerken kann dabei helfen, erneuerbare Energien ins Stromnetz zu integrieren, weil sie bestehende Anlagen flexibler macht und in die Lage versetzt, besser auf Schwankungen in der Stromproduktion aus unstetigen Quellen wie Wind und Sonne zu reagieren. Wenn die Kraftwerke sauberer und effizienter laufen, verringern sich auch ihre Treibhausgas-Emissionen. Andererseits aber kann die Leistungsverbesserung bei alten Kohlekraftwerken auch den gegenteiligen Effekt haben, wenn die Versorger deshalb beschließen, sie länger laufen zu lassen statt sie stillzulegen. Tatsächlich hebt GE als einen der Vorteile seines Systems "verlängerte Lebensdauer bei minimalen Investitionen" hervor.

Für den Planeten sind das eher keine guten Nachrichten. Laut der Kampagne Beyond Coal wurde in den vergangenen Jahren für 236 Kohlekraftwerke mit zusammen 104.672 Megawatt Leistung die Schließung oder ein definitives Datum dafür verkündet. Solche Stilllegungen zu verzögern, würde schlicht mehr Treibhausgase in der Atmosphäre bedeuten. Ein durchschnittliches Kohlekraftwerk mit einer Kapazität von 500 Megawatt produziert pro Jahr etwa 3,7 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Eine um fünf Jahre verlängerte Lebensdauer würde also die Gesamtemissionen um 18,5 Millionen Tonnen steigen lassen; 3 Prozent geringere Emissionen pro Jahr, wie sie GE verspricht, entsprechen demgegenüber nur einer Verringerung um 0,5 Millionen Tonnen.

(sma)