Was Pokémon Go von Ingress und Shadow Cities lernen könnte

Der weltweite Pokemon-Go-Hype ist ungebrochen – noch. Es langweilen sich bereits die ersten Spieler. Doch wie ein Blick auf Ingress & Co. zeigt, steckt in Pokémon Go viel mehr, als nur Monster zu fangen.

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Was Pokémon Go von Ingress und Shadow Cities lernen könnte
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Pokémon Go hat eingeschlagen wie eine Bombe, nach wenigen Tagen spielen es Millionen Menschen auf ihren Smartphones. Doch die ersten zeigen sich auch schon enttäuscht und gelangweilt, weil das Spiel außer den süßen Knuddel-Monstern nicht wirklich viel zu bieten hat. Wenn man das Spiel jedoch im Kontext anderer Location Based Games betrachtet, wird klar, dass Pokémon Go noch enormes Potenzial hat.

Der direkte Vorgänger von Pokémon Go war Ingress. Aus diesem ebenfalls von Niantic entwickelten Kult-Spiel stammen auch die Poké-Stops und Arenen, die in Ingress als Portale sichtbar sind. Über mehrere Jahre haben Ingress-Spieler neue Portale an markanten Orten eingereicht; erst vor etwas über einem Jahr hat Niantic das allerdings eingestellt. Man darf gespannt sein, ob sie es in Pokémon Go irgendwann wieder einführen, um die dünn mit Poké-Stops bestückten Gegenden besser zu versorgen.

Zwar gibt es in der Ingress-Welt keine aktiven AI-Figuren wie die Pokémon – alles was in Ingress agiert, sind echte Spieler (von den zeitweise grassierenden Bots der Cheater mal abgesehen). Doch dafür gibt es viel mehr unterschiedliche Aktivitäten, die ein Ingresser innerhalb des Spiels entfalten kann. So haben sich Spieler etwa auf das Farmen, das Attackieren generischer Portale und Hochburgen oder auf den Bau von Feldern spezialisiert. Der Aufbau hochwertiger Portale und noch sehr große Felder, die ganze Städte, manchmal sogar Länder oder Kontinente überspannen, erfordern die Zusammenarbeit in Teams.

Ingres, Shadow City & Co (7 Bilder)

Der Aufbau solcher Felder in Ingress erfordert viel Vorbereitung und Teamwork.

Überhaupt ist Ingress sehr stark auf Team-Aktivitäten ausgerichtet. Das unterstützt auch der ins Spiel eingebaute Chat, der regionale Kommunikation aller Spieler und auch Team-interne Absprachen ermöglicht. Darüber hinaus organsierten sich die beiden Fraktionen auch außerhalb des Spiels und kommunizieren zusätzlich etwa über Hangouts und Slack.

Bei Pokémon Go bieten derzeit lediglich die Arenen recht kärgliche Ansätze für Team-Play. Arenen des eigenen Teams kann man durch Trainingskämpfe und eigene Pokémon verstärken; gegnerische optional auch mit mehreren Spielern attackieren und übernehmen. In-Game-Kommunikation ist erst gar nicht vorgesehen. Man darf gespannt sein, ob Niantic da noch mehr plant oder voll auf die Anziehungskraft seine süßen Poké-Monster setzt.

Der andere wegweisende Pokémon-Go-Vorfahr war das iPhone-Spiel Shadow Cities, das ebenfalls in einer von Monstern bevölkerten Parallelwelt spielte. Ähnlich wie bei Pokémon Go war auch die Schattenwelt von Monstern bevölkert, die der Spieler jagen und erlegen musste. Allerdings setzten die sich auch zur Wehr und konnten Spieler sogar zeitweise aus dem Spiel werfen.

Die Axa-Versicherung wirbt in Ingress mit Portalen an ihren lokalen Büros und mit hochwertigen Schilden.

Anders als bei Pokémon Go und Ingress war man in der Schattenwelt nicht an seinen realen Aufenthaltsort gebunden sondern konnte innerhalb des Sichtbereichs bestimmte Punkte anspringen. Außerdem war es möglich, sogar weltweit zu sogenannten Beacons zu teleportieren, die andere Spieler des eigenen Teams aufgestellt hatten. So konnte man von der Couch aus etwa durch New York streifen.

Der wichtigste Unterschied zu den neueren Spielen war jedoch die Tatsache, dass man in Shadow Cities mit den anderen Spielern direkt interagieren konnte. Wenn zwei Spieler am gleichen Ort in die Schatten eintauchten, sahen sie sich dort gegenseitig. Sprang man über ein Beacon nach New York, sah man alle dort befindlichen Spieler –- also sowohl Spieler in New York als auch deren nur virtuell präsente Besucher.

So konnte man im Team auf die Jagd gehen, zum Beispiel um die sonst quasi unbesiegbaren Monsterspinnen zu erlegen. Das erforderte dutzende, manchmal sogar hunderte von Spielern, die koordiniert attackierten. Darüber hinaus konnten sich Spieler der zwei feindlichen Teams gegenseitig attackieren. In der Folge gab es es improvisierte Arenen mit Player-versus-Player-Duellen und epische Schlachten, bei denen tausende von Spielern oft über viele Stunden hinweg versuchten, die Vorherrschaft in einer Stadt zu erringen.

Direkte Interaktion zwischen den Spielern in einer durch das Smartphone erlebten Parallelwelt wäre die logische nächste Stufe von Augmented Reality Games. Doch die Herausforderung ist gewaltig. Schließlich müssen die Aktionen aller Spieler möglichst ohne spürbaren Zeitversatz auf allen Smartphones synchron dargestellt werden.

Dass das prinzipiell machbar ist, bewies Grey Area mit Shadow Cities: Auch wenn es etwa bei den Spinnenkämpfen und Schlachten mit vielen hundert Akteuren oft deutlich hakelte, funktionierte das bereits mit den Smartphones von vor einigen Jahren erstaunlich gut. Darüber hinaus besteht natürlich auch die Gefahr von Stalking, wenn Spieler innerhalb der virtuellen Welt ihren realen Aufenthaltsort verraten. Dieses Problem könnte man aber durch selektive Freigaben an befreundete Spieler entschärfen.

Derzeit ist Pokémon Go eine letztlich tote Welt, in der die Spieler weitgehend allein Knuddelmonster einsammeln. Wenn das Spiel mehr als nur ein Sommer-Hit werden soll, wird Niantic beim Gameplay nachlegen müssen. Es ist nicht unüblich, dass bei solchen Spielen im Rahmen von Updates neue Funktionen nachgelegt werden. Wir dürfen gespannt sein, ob Niantic den Ingress-Weg weiter verfolgt und etwa über einen eingebauten Chat und mehr Anreize Team-Play fördert. Oder ob sie sogar den großen Schritt zur Spieler-zu-Spieler-Interaktion innerhalb der AR-Welt wagen. (ju)