Kommentar: Türkische Verhältnisse bei Twitter

Milo Yiannopoulos ist Vorreiter der jungen Erzkonservativen in den USA und in England und ein Troll erster Ordnung. Jetzt hat Twitter sein Konto gelöscht. Das ist Symptom einer gefährlichen Doppelmoral, findet c't-Redakteur Fabian Scherschel.

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Kommentar: Türkische Verhältnisse bei Twitter

Milo Yiannopoulos provoziert gerne und oft. Nun hat Twitter sein Konto dicht gemacht.

(Bild: Milo Yiannopoulos)

Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel

Twitter sperrt nicht besonders konsequent Trolle, aber wenn es passiert, dann gerne, weil deren Äußerungen nicht in die Weltsicht der Betreiber passen. Damit ist die Firma auf ihrer eigenen Plattform völlig im Recht. Trotzdem wird es höchste Zeit, dass die Öffentlichkeit sie hierfür zur Verantwortung zieht, denn die hier etablierte Doppelmoral schadet der Gesellschaft im Ganzen.

Ein Kommentar von Fabian A. Scherschel

Fabian A. Scherschel schrieb von 2012 bis 2018 als Redakteur täglich für heise online und c't, zuerst in London auf Englisch, später auf Deutsch aus Hannover. Seit 2019 berichtet er als freier Autor und unabhängiger Podcaster über IT-Sicherheit, Betriebssysteme, Open-Source-Software und Videospiele.

Jüngstes Opfer ist der konservative britische Kolumnist und Anführer der Bewegung "Schwule für Trump" Milo Yiannopoulos (@nero), der nach langer Fehde mit dem sozialen Netz nun permanent gesperrt wurde. Twitter sagt, Milo habe Twitter-Nutzer "gezielt geschmäht". Entsprechende Tweets, die das belegen, lassen sich allerdings nicht mehr finden. Eindeutig ist, dass Milo ein ziemlich ekliger Geselle und Troll erster Ordnung ist. Aber wenn Twitter die Konten aller egozentrischen Rüpel sperrt, die sich dort herumtreiben, würden wohl auf einen Schlag zwei Drittel aller Accounts verschwinden.

Auch das Argument, dass Milo mit seinen Tweets tausende Nutzer angestachelt und so in der Welt Schaden angerichtet habe, zieht nicht. Schließlich haben sowohl Terrorgruppen, Sekten, Quacksalber, Betrüger und auch rechts-populistische Politiker in den USA und auch hierzulande bekannte Twitter-Accounts, die seit Jahren nicht gelöscht werden. Zusätzlich käme es einer Art digitalen Sippenhaft gleich, jemanden für die Taten seiner Twitter-Follower zu bestrafen.

Jahrelange Twitter-Erfahrung zeigt: Das soziale Netz entfernt Konten mit vielen Followern fast immer, wenn sie nicht in die eigene Weltsicht passen oder wenn Druck aus den Medien kommt. Vor allem die Konten weißer Männer werden gesperrt. Rassisten dunkler Hautfarbe, Hate Speech von bekannten Feministen und die Verirrungen von liberalen und sogar linksextremen Politikern werden gerne übersehen. Vor allem konservative Ansichten werden unterdrückt, oft unter fadenscheinigen Begründungen.

Meinungsfreiheit sieht anders aus. Und auch der Kampf gegen sogenannte Hate Speech bringt die Gesellschaft nur weiter, wenn Hate Speech unabhängig von ihrer politischen oder moralischen Ausrichtung bekämpft wird. Was Twitter da macht, ist Zensur, die vielleicht einem Recep Tayyip Erdoğan zu Gesicht steht, nicht aber einer Firma aus dem Silicon Valley. Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden. (fab)