Ein Computer darf niemals ein Statussymbol sein – zum Tode von Seymour Papert

Im Alter von 88 Jahren ist der Mathematiker, Pädagoge und Informatiker Seymour Papert am Sonntag in Blue Hill im US-Bundestaat Maine gestorben.

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Ein Computer darf niemals ein Statussymbol sein – zum Tode von Seymour Papert

(Bild: MIT MEDIA LAB)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Die kleine Turtle weint. Seymour Papert, der Miterfinder der Programmiersprache Logo, der Bastelburg "Traumburg", der Anreger von Projekten wie Lego Mindstorms, der Unterstützer von One Laptop per Child ist tot. Zeit seines Lebens bemühte sich Papert, Lernende beim Lernen zu unterstützen. Computer sah er als universale Chance für den Ausbruch aus stumpfen Drill und Abfragerei.

Seymour Papert wurde am 1. März 1928 in Pretoria (Südafrika) geboren. Die Mutter war Malerin, der Vater Entomologe, der sein Forschungsleben der Tsetse-Fliege gewidmet hatte. Die Familie zog kreuz und quer durch Südafrika, der kleine Seymour lernte kaum eine Schule kennen, dafür viele Tricks von den einheimischen Stämmen und ihren Kindern. Als er mit 9 Jahren die erste richtige Schule in Johannesburg besuchte, organisierte er bald "Schulstunden" für die Kinder der schwarzen Dienstboten, ein schweres Vergehen zur Zeit des Apartheid-Regimes.

Später engagiert er sich in der Anti-Apartheid-Bewegung. Dies führte dazu, dass ihm 1949 nach seinem BA in Philosophie an der Universität Witwatersrand die angestrebte Einreise in die USA verwehrt wurde. Papert entschied sich daraufhin für die Mathematik, schloss 1952 an seiner Alma Mater mit der Promotion ab und konnte mit einem Commonwealth-Stipendium nach Großbritannien ziehen.

Am St. Johns College in Cambridge erwarb Papert einen zweiten Doktortitel in Mathematik (weil der südafrikanische nicht anerkannt wurde) und lernte die jungen US-amerikanischen Mathematiker Edward Feigenbaum und Marvin Minsky kennen, die mit einem Fullbright-Stipendium in London studierten. Mit ihnen diskutierte Papert als Mitarbieter der Socialist Review die zeitgenössischen Ideen der Kybernetik, ging jedoch 1957 ans Institute Henri Poincaré nach Paris, um seinen Doktor abzuschließen.

An der Sorbonne lernte er den Philosophen Jean Piaget kennen, der ihm eine Stelle am "Centre International d’Épistémologie Génétique" anbietet. Dort untersuchte Papert vier Jahre lang, wie Kinder mathematisches Denken erlernen.

1960 nahm Seymour Papert an einem mathematischen Kongress in London teil und wollte den Beweis eines mathematischen Theorems vorstellen. Schockiert erlebte er, wie sein Vorredner exakt das gleiche Theorem beweisen konnte, freilich auf anderem Wege. Der Redner war niemand anderes als sein Bekannter Marvin Minsky, der umstandslos dafür sorgte, dass Papert in die USA kommen und dort mit ihm zusammen am MIT arbeiten konnte.

Zunächst widmete sich Papert am MIT der Erforschung von Themen der künstlichen Intelligenz und, zusammen mit Minsky, der Programmierung eines Schachspiels. Den entscheidenden Anstoß zu seinem späteren Lebenswerk gab jedoch der junge Alan Kay mit der Bemerkung, ein jedes Kind, das kein Aquarium hat, müsse am Rechner Fische entwerfen können, die hin- und herschwimmen. Aus dieser Bemerkung entwickelte Papert zusammen mit Wally Feurzeig die Programmiersprache Logo und die sogenannte Turtle-Grafik, mit der eine Schildkröte über den Bildschirm bewegt werden kann.

Die unermüdliche Verbesserung dieses Ansatzes, Kindern mit Hilfe des Computers und der eigenständigen Programmierarbeit das "konstruktive" Lernen beizubringen, kulminierte im 1980 veröffentlichten Hauptwerk über Logo, "Mindstorms. Children, Computer and Powerful Ideas". Zur zweiten Auflage steuerte der damalige Apple-Chef John Sculley ein überschwängliches Vorwort bei und sah den nächsten Apple-Chef aus dieser Richtung kommen.

Mit dem Auftauchen und Anwachsen des Internets lieferte Papert sehr optimistisch nach. Sein Buch um die (längst wieder abgeschaltete) Website zur Connected Family (deutsch 1998: Die vernetzte Familie) enthält die im Titel zitierte Warnung vor dem Computer als Statussymbol. Wer einen Computer besitzt, wird glücklich, ätzte die Kritik zum Ansatz von Papert. Darauf antwortete dieser unbeirrt: "Wir sollten uns als Lobbyisten einer universellen Verfügbarkeit von Computern begreifen" und engagierte sich im OLPC-Projekt seines Freundes Nicholas Negroponte.

Als emeritierter Professor war Papert bis vor wenigen Wochen aktiv und unterrichtete straffällig gewordene Jugendliche im Umgang mit Computern – und der Gesellschaft.

(kbe)