Thüringen: Polizei zeichnet angeblich jahrelang Telefonate auf

Die Thüringer Polizei hat seit 1999 zehntausende von Gesprächen ohne Wissen und Zustimmung der Gesprächsteilnehmer automatisch aufgezeichnet, berichtet der MDR.

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Thüringen: Polizei zeichnet angeblich jahrelang Telefonate auf

(Bild: dpa, Martin Schutt)

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Die Thüringer Polizei hat offenbar seit 1999 zehntausende von Gesprächen an Diensttelefonen ohne Wissen und Zustimmung der Gesprächsteilnehmer automatisch aufgezeichnet, berichtet MDR Thüringen aus vertraulichen Unterlagen. Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittele bereits seit Frühjahr dazu, zwei Staatsanwälte hätten Anzeige erstattet, heißt es.

Der Verdacht richte sich gegen einen ehemaligen Verantwortlichen des Innenministeriums. Der Vorwurf laute auf Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, sagte Staatsanwältin Anette Schmitt-ter Hell am Mittwoch. Nach bisherigen Erkenntnissen sei aber nicht jedes Polizei-Telefonat mitgeschnitten worden, betroffen seien nur bestimmte Apparate. Hintergrund ist eine Dienstanweisung aus dem Jahr 1999, die nun ebenfalls Gegenstand von Ermittlungen ist.

Es seien Telefonate von internen Diensttelefonen aufgezeichnet worden, berichtet der Sender weiter. Betroffen sind die Landespolizeidirektion, das Landeskriminalamt, die sieben Landespolizeiinspektionen und alle Polizeiinspektionen. Außerdem sollen Gespräche von außerhalb in die Dienststellen mitgeschnitten worden sein, so unter anderem auch Anrufe von Staatsanwälten. Außerdem könnten Gespräche mit Rechtsanwälten, Justizbeamten, Sozialarbeitern, Journalisten oder anderen Personen mitgeschnitten worden sein, die dienstlich interne Nummern der Thüringer Polizei anriefen.

Im Frühjahr dieses Jahres habe ein Staatsanwalt festgestellt, dass dienstliche Telefonate, die er mit einer Ostthüringer Polizeidienststelle führte, mehrfach ohne sein Wissen und seine Zustimmung mitgeschnitten wurden. Er habe sich bei Thüringer Polizeiführung beschwert, die danach die Praxis Anfang Juli gestoppt haben soll.

Oliver Löhr, Sprecher des Innenministeriums, erläuterte, nach bisherigen Erkenntnissen seien Gespräche auf Telefonen von Dienstgruppenleitern mitgeschnitten worden, die rund um die Uhr besetzt seien. Dort wurden auch Notrufe entgegengenommen. Allerdings habe die Anlage nicht unterschieden, wenn von diesen Telefonen auch andere Gespräche geführt wurden und diese ebenfalls aufgezeichnet.

Auch nach der Umstrukturierung der Polizei samt Schaffung der Landeseinsatzzentrale in Erfurt wurden zudem Notrufe in die einzelnen Inspektionen weitergegeben, so dass sie weiterhin von der Speicherung von Telefonaten betroffen waren. Zugriff auf die aufgezeichneten Gespräche hätten nur Administratoren gehabt, erklärte Löhr.

Die Mitschnitte sollen routinemäßig nach 180 Tagen gelöscht worden sein. Nach Recherchen des MDR wurden allerdings auch Vermerke zu Telefonaten angefertigt und bestimmten Verfahren zugeordnet.

Grundsätzlich dürfen Telefone von der Polizei nur abgehört werden, wenn ein Richter das anordnet. In Notfällen wie bei einer schweren Straftat oder bei der Ortung von Vermissten, darf der Leiter einer Polizeibehörde anweisen, ein Telefons anzuzapfen; er muss sich das aber nachträglich von einem Richter bestätigen lassen. (anw)