Automatisierung in der Landwirtschaft: Bauern im Melkroboter-Dilemma

Die Digitalisierung hält Einzug in den Kuhstall. Eine wachsende Zahl von Milchbauern setzt auf Melkroboter. Die vollautomatischen Helfer sind praktisch – verstärken aber auch das Dilemma vieler Landwirte.

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Bauern im Melkroboter-Dilemma

(Bild: Delaval)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Carsten Hoefer
  • dpa
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Kein krummer Rücken mehr, kein Aufstehen zu nachtschlafender Zeit. Für viele Milchbauern bedeutet die Digitalisierung einen Gewinn an Lebensqualität. Denn computergesteuerte Melkroboter erleichtern die Arbeit ganz erheblich. Doch die vollautomatischen Helfer kosten viel Geld – und etliche Landwirte stehen vor der Wahl, ob sie sich die teure Investition in einen digitalen Kuhstall überhaupt noch leisten können oder wollen.

Der Melkroboter ist ein Multitalent: Die Kühe gehen allein in den Melkstand – angelockt vom Kraftfutter, das das Melksystem serviert. Der Roboterarm setzt das sensorgesteuerte Melkgeschirr automatisch an, er reinigt die Zitzen. Der Computer misst die Milchleistung der Kühe und stellt fest, wenn etwas nicht stimmt. Er merkt auch, wenn eine Kuh nicht zum Melken erscheint, und schickt eine Meldung zum Bauern.

Wer den Melkroboter hat, der hat in mehrfacher Hinsicht durchaus einen Vorteil. "Der Lebensrhythmus wird nicht mehr von den Melkzeiten diktiert", sagt Markus Peters vom Bayerischen Bauernverband. Er habe vor der Wahl gestanden, einen Roboter anzuschaffen oder jemanden einzustellen, sagt der Landwirt Hans Foldenauer aus dem Allgäu. Aber wegen der sehr niedrigen Arbeitslosigkeit in der Region sei es schwer, Arbeitskräfte zu finden. "Ich habe mich für den Roboter entschieden", berichtet der Sprecher des Bundesverbands deutscher Milchviehhalter (BDM). Allerdings funktionieren Melkroboter nicht immer einwandfrei, dann muss der Landwirt doch selbst eingreifen. Und der Roboter verlangt nach Wartungsarbeit, wie auf melkroboter.net dokumentiert wird.

Doch die deutsche Milchwirtschaft ist in einer existenziellen Krise. Die Erzeugerpreise sind in vielen Regionen Europas so tief gesunken, dass die Landwirte Verluste machen. Viele Milchbauern stellen sich die Frage, ob sie aufhören sollen. Anfang Mai gab es nach den Daten des Statistischen Bundesamts noch 4,3 Millionen Milchkühe in Deutschland, verteilt auf 71.302 Betriebe.

Ein Melkroboter als solcher kostet je nach Hersteller etwa 150.000 Euro oder mehr. Doch damit ist es in vielen Fällen nicht getan: Bevor der Roboter installiert werden kann, muss häufig der Stall um- oder sogar ganz neu gebaut werden. Das ist so teuer, dass sich die Investition erst ab einer Zahl von etwa 50 bis 60 Kühen lohnt. Doch ein bayerischer Milchbauer hält im Schnitt 40 Tiere, sagt Foldenauer.

Hat ein Bauer 80 Kühe, muss er überlegen, auf über 100 aufzustocken – damit sich zwei Melkroboter rechnen. Das Dilemma trifft vor allem kleine Höfe im Süden und in der Mitte Deutschlands, im Norden sind die Betriebe traditionell größer. Die meisten Milchbauern – derzeit noch fast 32.000 – gibt es in Bayern. Von der kurzfristigen Marktsituation mache allerdings kein Milchbauer die Entscheidung abhängig, betont Foldenauer. "Das sind langfristige Entscheidungen, das dauert oft ein bis zwei Jahre, bis die Finanzierung steht und alle erforderlichen Genehmigungen da sind."

Und noch einen Aspekt gibt es, der die Sache kompliziert macht: Will ein Bauer mehr Kühe halten, ist es mit der Vergrößerung des Stalls allein nicht getan – er braucht insgesamt größere Flächen. Mehr Kühe produzieren nämlich auch mehr Gülle. Die Bauern dürfen aber ihre Gülle nicht beliebig auf Felder und Weiden kippen, damit der Boden nicht mit einem Übermaß an Stickstoff belastet wird.

Deshalb muss ein Landwirt in der Regel auch mehr Boden pachten oder kaufen, wenn er mehr Tiere halten will. "Das führt zur extremen Knappheit der Flächen", erklärt Ulli Leiner, Biobauer im Allgäu und Grünen-Landtagsabgeordneter. Ein Güllehandel wie in Norddeutschland und den Niederlanden hat sich im Süden noch nicht etabliert.

Bayerns Agrarminister Helmut Brunner hält nichts von der in der Landwirtschaft verbreiteten Devise "Wachsen oder Weichen". Das sei ein "dümmlicher Satz", sagt der CSU-Politiker. "Ich glaube nicht, dass die Digitalisierung den Strukturwandel beschleunigt. In Mecklenburg-Vorpommern und in Niedersachsen sind es derzeit eher die größeren Betriebe, die zusperren."

Auch der Bauernverband geht davon aus, dass gerade kleine Höfe von der Digitaltechnik profitieren, weil sie so effizienter arbeiten können. "Das könnte sogar eine Chance sein", sagt Peters.

Doch wirtschaftliche Auswirkungen hat der Preisverfall bei Milch, Getreide und Schweinefleisch durchaus. So investieren die Bauern inzwischen spürbar weniger in neue Landtechnik, wie der Agrarhandelskonzern Baywa kürzlich berichtete. Und je länger die Milchkrise dauert, desto akuter wird für die Milchbauern die Frage, ob sie in Hightech auf ihrem Hof investieren oder aufhören. (anw)