China: Shopping für Fortgeschrittene

In Shenzhen werden 90 Prozent aller elektronischen Konsumgüter weltweit hergestellt. Aber die Stadt hat viel mehr zu bieten als nur Fabriken: zum Beispiel das ultimative Einkaufserlebnis für Hacker und Geeks.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Daniil Matzkuhn

Alles blinkt, flimmert und trötet. An jeder Ecke stehen Marktschreier, die ununterbrochen ihre Waren durch Megafone anpreisen: Xiaomi, Apple, Samsung, Huawei – alle sind hier gleich an Dutzenden Standorten vertreten.

Noch vor 35 Jahren war Shenzhen eine Kleinstadt mit 30000 Einwohnern, umgeben von unzähligen Reisfeldern. Heute schlägt hier das Herz der globalen Elektronikindustrie. Hier leben, arbeiten – und vor allem handeln – elf Millionen Menschen: Die elektronischen Straßenmärkte von Shenzhen sind ein Paradies für Gadget-Freaks, Hacker und Maker.

Wer mit offenen Augen durch die Straßen läuft, kann sehen, was nächstes oder übernächstes Jahr in Europa auf den Markt kommt: Hoverboards beispielsweise waren zuerst auf den Straßen von Shenzhen zu sehen. Abenteuerlustige Shopper probieren ihr Glück mit einem Original-"Shenzai"-Telefon – in Klein- und Kleinstbetrieben zusammengeschraubte Tablets und Smartphones, die zum Teil zu Spottpreisen angeboten werden. In kleinen Spezialgeschäften finden sich auch die exotischsten Bauteile.

Es gibt zwar auch die klassischen Einkaufszentren wie das Huaqiang Plaza. Aber viel interessanter sind die rund 20 großen, bis zu achtgeschossigen Märkte, die von Zwischenhändlern betrieben werden. Sie sitzen in manchmal nur zimmergroßen Boutiquen, oft nach Themenfeldern gegliedert.

Die von seinem Besitzer etwas großspurig genannte "YuanWang Digital Mall" beispielsweise hat sich vor allem auf Smartphones und Tablets spezialisiert. Hier findet man neben den üblichen Marken günstige und außergewöhnliche Produkte, die es nicht nach Europa schaffen. Handys so groß wie eine Streichholzschachtel oder in Form eines Rennwagens, goldene Smartphones oder riesige "Knochen" mit ausziehbarer Antenne und drei SIM-Karten-Einschüben, damit man auch wirklich überall erreichbar bleibt.

Die engen Gänge werden bis auf den letzten Zentimeter ausgenutzt. Gestapelte Kisten und Kartons sind eigentlich immer im Weg, das Geräusch von Paketband ist die allgegenwärtige Hintergrundmusik zu dieser Kulisse. Der beißende Geruch von Kunststoff und Gummi liegt in der Luft. Es wird viel geraucht, Fenster gibt es in den mehrgeschossigen Bauten nicht.

Fragt man nach dem Preis, bekommt man sofort ein "wie viele?" als Gegenfrage gestellt. Rabatte werden erst ab ein paar dutzend Stück gewährt. Großartig gefachsimpelt wird hier aber nicht – zumindest nicht, wenn man nur wenig Chinesisch spricht. Im Gegensatz zu Hongkong sind Englischkenntnisse nicht sehr weit verbreitet. Die Konversation beschränkt sich auf das Wesentliche: den Preis. Der wird im Zweifelsfall in einen Taschenrechner getippt, die Stückzahl mit Fingern angezeigt. Aber auch hier lauern Missverständnisse: Eine europäische Drei mit ausgestrecktem Daumen, Zeige- und Mittelfinger ist in China eine Acht.

Fälschungen – mehr oder weniger leicht zu erkennen – sind häufig zu sehen. Kopiert werden vor allem die Geräte von Xiaomi oder Huawei. Auch bei Komponenten sollte man kritisch prüfen. SD-Karten, die beim schnellen Test durch den Händler im Laden noch die angegebene Kapazität hatten, stellen sich beim Beschreiben im Hotel oft als deutlich kleiner dar. Auch angeblich originale Samsung-Akkus, die direkt im Laden mit neuen Etiketten beklebt werden, sieht man hier häufig.

Während man durch die engen Gänge der Märkte schlen-dert, fallen einem zudem zahlreiche kleine Werkstätten auf, die kaputte iPads ausbeulen, Displays und Akkus austauschen oder frisch importierte iPhones wieder einpacken und verschweißen. Denn auch wenn das Apple Smartphone sich in China hoher Beliebtheit erfreut, so ist der Verkaufspreis in Hongkong um bis zu 150 Euro niedriger. Daher lohnen sich illegale Importe.

Dafür kann man gerade bei Zubehör sehr viel Geld sparen. Über mehrere Stockwerke erstreckt sich zum Beispiel das "LongSheng Phone Accessories Center". Ob bunte Handy-Hüllen aus Holz, Plüschtiere mit eingebauter Powerbank oder voll ausgestattete Smartwatches für rund 40 Euro – hier gibt es alles, was man sich vorstellen kann.

Für Bauteile aller Art die wichtige Anlaufstelle: die SEG Plaza am südlichen Ende der Huaqiangbei Straße. Auf acht Stockwerken verteilt sich hier eine Vielzahl an kleinen Händlern, die sich auf elektronische Komponenten spezialisiert haben. Bei manchen Händlern liegen LEDs, Dioden, Widerstände, Schaltkreise, Regler und Chips in Glasvitrinen fein säuberlich nebeneinander. Bei anderen stapeln sich riesige Berge an farbigen Kabeln in den unterschiedlichen Dicken und mit diversen Steckern auf den Tischen. Dahinter endlose Reihen von Kartons, damit die Ware möglichst nie ausgeht.

Die lokalen Unternehmen und Händler sind mit den Entwicklern, Hackern und Makern gut vernetzt. Für den zugereisten Westler ist der Zugang in diese Szene nicht so einfach. Es empfiehlt sich, bei Interesse auf die Hilfe lokaler Pfadfinder zurückzugreifen, etwa auf das Seeedstudio, wo Maker eine Rundum-Unterstützung bekommen. Wer seinen Besuch vorher anmeldet, erhält sogar eine Führung durch die kleine Fertigungsanlage, die eine spätere Massenfertigung aktueller Prototypen simulieren soll.

Wem es aber gelingt, in das Netzwerk einzutauchen, der kann den wirklichen Puls von Shenzhen fühlen. Aus ihm entstanden ortsansässige Marken wie der Drohnenriese DJI oder das Telekommunikationsunternehmen Xiaomi. Er treibt die Stadt vorwärts und macht jede Reise zur Quelle unserer Elektronik-Wertschöpfungskette so einzigartig. (bsc)