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Gamescom-Congress: Was tun mit VR und Hate Speech?

Während auf der Gamescom VR-Spiele die Halle füllen, erkunden Industrie, Jugendschützer und Kulturinstitutionen die Möglichkeiten der Technik.

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Noch ist nicht erforscht, wie die Virtuellen Welten auf den Spieler wirken.

(Bild: heise online / Torsten Kleinz)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Virtual Reality hat ein großes Potenzial – darin waren sich die meisten der 700 Teilnehmer des Gamescom Kongress am Rande der Kölner Spielemesse einig. Doch während die Spiele-Entwickler Nägel mit Köpfen machen und neue Spielkonzepte wie Speed-Teleporting demonstrieren, wagen sich andere Branchen und Institutionen eher langsam an die Technik.

Welche Effekte die Immersion auf die Spieler hat, also das Eintauchen in die computergenerierten Welten, ist zur Zeit Thema bei den Jugendschützern. So erhielt die Unterwasser-Simulation "The Deep" von Sonys Studio London, bei dem sich der Spieler in einem virtuellen Unterwasserkäfig befindet, in der normalen PC-Version eine USK-Freigabe von 12 Jahren. Die Version für VR-Brillen wurde aber erst ab 16 Jahren zugelassen.

Die Szene, in der ein Hai versucht, dem Spieler ins Bein zu beißen, könnte bei jüngeren Spielern zu viel Stress verursachen, begründete Lidia Grashof, ständige Vertreterin der Obersten Landesjugendberhörden bei der Freiwilligen Selbstkontrolle USK, die Einstufung. "Unsere Urteile beruhen auf einer Wirkungsvermutung aus Berufserfahrung und wissenschaftlichen Erkenntnissen", sagte die Behördenvertreterin.

Da bisher kaum gesicherte wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Virtual-Reality-Techniken vorliegen, mĂĽssen die Gremien sich vorerst auf ihre Kriterienkataloge verlassen, die fĂĽr klassische Computerspiele entwickelt wurden. Spezifische Probleme wie Motion Sickness sind fĂĽr die JugendschĂĽtzer daher kein Faktor.

Wo keine Raubtiere oder Aliens den Spieler angreifen, bleibt so mehr Raum für die Jugendschützer. So erhielt Cryteks Kletter-Simulation "The Climb" die Freigabe für alle Altersgruppen. Obwohl man bei dem Spiel abstürzen kann, konnten die Tester keine spezifischen Probleme sehen. Dabei sei eine Freigabe aber keineswegs mit einer pädagogischen Empfehlung zu verwechseln, betonten die Vertreter der Jugendschutzinstitutionen in Köln. Eine Freigabe ab Null Jahren bedeute nicht, dass das Spiel Kleinkindern angeboten werden soll.

Mit "Counterspeech" sollen Teilnehmer von Online-Plattformen klarmachen, dass Hassbotschaften nicht mehrheitsfähig sind. Das "No hate speech movement" liefert Vorlagen.

Auch auf der anderen Seite des Spektrums müssen die Institutionen noch Erfahrung sammeln. Mit Porno-Filmen im VR-Format mussten sich die Jugendschützer noch nicht beschäftigen. Da die Produzenten solcher Materialien ohnehin keine Jugendfreigabe erwarten können, reichen sie ihre Produkte gar nicht zur Prüfung ein. Auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien musste sich noch nicht mit dem Thema beschäftigen.

Wie es insgesamt bei den Gesetzen zum Jugendschutz weitergeht, bleibt weiterhin unklar. Zwar hatte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit viel Aufwand Empfehlungen zur Neuregelung der Kompetenzen beim Jugendschutz erarbeitet. In Köln zeigten sich Vertreter von Bund und Länder aber nicht allzu optimistisch. Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, gab immerhin bekannt, dass derzeit innerhalb der Bundesregierung ein Referentenentwurf abgestimmt werde, der den Empfehlungen der Arbeitsgruppe Rechnung tragen soll. Zum Inhalt wollte sich Kleindieck aber noch nicht äußern.

Auch das von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen im Frühjahr angekündigte Projekt eines Netzkodex NRW gegen Hassbotschaften scheint noch wenig Fortschritte gemacht zu haben. So lobte der Chef der Staatskanzlei des Landes Franz-Josef Lersch-Mense zwar die Anstrengungen der Spiele-Industrie, Spieler zu einem respektvollen Umgang miteinander anzuhalten. "Aber man muss auch selbstkritisch fragen, ob nicht mehr getan werden kann", ergänzte der Politiker. Auf dem Kongress wurde unter anderem das No Hate Speech Movement vorgestellt, das Nutzern im Netz Mittel zur Verfügung stellt, um sich pointiert gegen Diskriminierung auszusprechen.

Inzwischen haben auch kulturelle Institutionen ein Auge auf die VR-Brille als neues Medium geworfen. "Virtuelle Realität hat ein großes Potenzial – weit über Spiele hinaus", sagte Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Der Spieleindustrie warf er vor, sich zu sehr am Kommerz zu orientieren und keinen künstlerischen Anspruch entwickelt zu haben – womit er bei den Vertretern der Spieleindustrie auf heftigen Widerspruch stieß.

Um das Potenzial der neuen Technik für klassische Kunstformen wie das Theater zu erschließen, ist aber noch viel Arbeit nötig. So sei es unsinnig ein klassisches Theaterstück Eins zu Eins in eine virtuelle Realität zu übertragen, betonten mehrere Kongressteilnehmer – hier müssten die Techniken des experimentellen Theaters adaptiert werden, die zum Beispiel das Publikum einbeziehen um eine Geschichte zu erzählen. Hoffnung machte auch das Spiel "Dear Maestro", bei dem der Spieler die Rolle eines Dirigenten übernehmen können soll. Doch auf der Gamescom war hiervon nur ein früher Prototyp zu sehen. (anw)