Deus Ex Mankind Divided im Test: Cyberpunk-Stealth im Prager Ghetto

Fünf Jahre nahm sich Square Enix für eine Fortsetzung seiner dystopischen Stealth-Action-Reihe Zeit und feilte an Missionen und Spielbalance. Herausgekommen ist ein spannendes Cyberpunk-Rollenspiel, bei dem man besser hackt statt ballert.

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Deus Ex Mankind Divided im Test: Cyberpunk-Stealth im Prager Ghetto

(Bild: Square Enix)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Stephan Greitemeier
Inhaltsverzeichnis

Heute erscheint die von Fans lang erwartete Fortsetzung der Deus-Ex-Serie. Vor fünf Jahren hatte Square Enix den Cyberpunk-Kult mit "Human Revolution" wiederbelebt. Jetzt soll die äußerst düstere wie auch komplexe Story mit "Mankind Divided" fortgesetzt werden.

Wer den Vorgänger nicht gespielt hat, ist erst einmal aufgeschmissen: Augmentationen, Illuminaten, erst tote, dann wiederbelebte Mitstreiter, Intrigen et cetera ... selbst wer in der 12-minütigen Zusammenfassung sein Gedächtlnis auffrischt, blickt reichlich ratlos auf die erste Tutorial-Mission. Wer kämpft hier eigentlich gegen wen? Wer ist Freund, wer ist Feind? Diese Fronten wechseln auch in Mankind Divided immer wieder.

Die Geschichte setzt dort an, wo (ein möglicher Ausgang von) "Human Revolution" aufhörte: Im Jahr 2027 hatte die verbesserte Prothesen-Technologie die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verwischt. Sogenannte "Augmentierte" wurden mit künstlichen Armen, Augen und Nervenbahnen als die Zukunft der Menschheit gepriesen. Doch die schöne neue Welt unendlicher Möglichkeiten brachte auch neue Gefahren. Die Illuminaten wollten mit Hilfe der Augmentierungen die Kontrolle über die Gesellschaft übernehmen.

Um das zu verhindern, verfiel Hugh Darrows, einer der Väter der Augmentierungstechnologie, auf einen verzweifelten Plan, um sein eigenes Werk zu diskreditieren. Ein Signal ließ alle augmentierten Menschen Amok laufen, Chaos und Zerstörung waren die Folge. Zwei Jahre später leben die übrigen Augmentierten weltweit nur noch in Ghettos, abgeschoben von der nicht-augmentierten Mehrheitsgesellschaft.

In Mankind Divided ist eine neue Art von Apartheid in Kraft, die Augmentierten Bürgerrechte abspricht und sie in streng bewachten Ghettos zusammen pfercht. Umgekehrt führen augmentierte Terroristen einen geheimen Krieg gegen die "Natürlichen", die sie unterdrücken. Und auch die Illuminaten verfolgen noch ihren großen Plan...

In dieser gespannten Lage steht Adam Jensen, der Held des Spiels, zwischen den Fronten. Mit vielerlei künstlichen Gliedmaßen und Organen versehen, ist er einer der Zwangsbewohner des Prager Ghettos für Augmentierte. Andererseits ist er einer der Privilegierten, die das Ghetto verlassen dürfen. Jensen arbeitet für Interpol, und nach einem verheerenden Bombenanschlag gilt es, die Drahtzieher zu finden. Gleichzeitig ist Adam Doppelagent für das Hacker-Kollektiv "Juggernaut", das die Illuminaten verdächtigt, die Polizeibehörde unterwandert zu haben.

Doch damit nicht genug: als Adam bei einem Routine-Check sieben geheime Augmentierungen an sich entdeckt, stellt sich die Frage, wer sie ihm eingepflanzt hat – und zu welchem Zweck.

Deus Ex Mankind Divided (10 Bilder)

In Prag patrouillieren Polizeiwachen und prüfen die Papiere der Cyborgs. Die Atmosphäre erinnert an die "City 17" aus Half-Life 2.
(Bild: Square Enix)

Der neue Teil der dunklen Science-Fiction-Reihe brilliert wieder durch seine faszinierende Atmosphäre und komplexe Spielmechaniken. In den engen Straßen von Prag treffen Vorgestern und Übermorgen aufeinander. Durch die künstlichen Augen Adams erlebt man eine paranoide Gesellschaft, die im Wunsch nach Sicherheit ihre Minderheiten kriminalisiert. Bei den ständigen Kontrollen durch ruppige Polizisten kommt, ähnlich wie in der City 17 aus Half-Life 2 schnell ein Gefühl der hilflosen Wut auf.

Obwohl "Mankind Divided" kein echtes Open-World-Spiel ist, fühlt es sich oft so an. Die Bezirke von Prag sind frei erkundbar, nur beim Wechsel muss man die U-Bahn nehmen – aber nur die Sonderabteile für Augmentierte, sonst gibt es Ärger. Viele optionale Nebenmissionen und kleine Geschichten lassen die Welt lebendig werden, die voll spannender Charaktere und kleiner Dramen steckt. In der Fülle der Informationen und Missionen kann man allerdings schon mal den Überblick verlieren. Das Missionsmenü gibt zwar einzelne Schritte grob vor, doch kann man dennoch schnell in eine Sackgasse geraten, aus der man nur durch Rumprobieren kommt. Meist führen eh sehr viele Wege zum Ziel.

Sobald Adam seine geheimen Augmentierungen entdeckt, gewinnt der Spielablauf merklich an Fahrt. Sieben neue Fähigkeiten kommen hinzu, von kurzen Boosts über abzufeuernde Armklingen bis zu einer flüssigen Titan-Haut. Die Effizienz der neuen Talente wird von ihrem Energieverbrauch gedeckelt. Mächtige Fähigkeiten verbrauchen auch mächtig viel Strom. Und jede aktivierte Augmentierung saugt Adam langsam leer.

Darum sollte man immer die Batterieanzeige unten links im Auge behalten. Selbst scheinbar banale Aktionen wie das Ausknocken eines Gegners oder das Verschieben einer Barrikade fressen Energie auf, die sich nur langsam und unvollständig regeneriert. Biozellen sollte man daher immer im Inventar haben, sonst versagt der Tarnmodus im ungünstigsten Moment.

Auffällig ist, dass passive und nichttödliche Optionen im Vordergrund stehen – diese Linie hat das Entwicklerteam von Eidos Montréal beim ganzen Spiel verfolgt. Die unausgewogenen Bosskämpfe des Vorgängers wurden kurzerhand bis auf einen gestrichen. Nirgends muss man Gegner tatsächlich töten. Es genügt, sie bewusstlos zu schlagen, oder sie zu betäuben. Durch Gespräche, Hacking und Fassadenkletterei erreicht der Held sein Ziel meist sowieso besser als durch Gewalt.

Tatsächlich hat man bei der Tutorial-Mission im sonnigen Dubai und in den ersten Scharmützeln mit der bulgarischen Mafia den Eindruck, das Spiel wolle bewusst von aggressivem, direktem Kampf abraten. Schwache Panzerung, unübersichtliche Umgebungen und eine Vielzahl beweglicher Gegner lassen den Spieler sehr schnell ins Gras beißen. Selbst im leichtesten Modus sind die ersten Kämpfe kein Spaß. Die beste Taktik besteht in Infiltration und stillem Nahkampf. Bei dem wiederum hat man stets die Wahl, ob man den Kontrahenten eliminieren oder nur betäuben will.

Zwischen den Kampf- und Infiltrationsmissionen nimmt das Rollenspiel-Element wieder einen großen Raum ein. Die reiche Welt scheint manchmal etwas zu dialog- und ermittlungslastig zu sein für ein nominelles Stealth-Action-Spiel.

Daher kommt der neue eigenständige Zusatzmodus "Breach" gerade recht. Mit minimaler Story führt man hier Mission auf Mission im Cyberspace aus, als virtueller Hacker. Beim Eindringen in fremde Systeme werden diese als leicht abstrakte 3D-Umgebung dargestellt. Firewalls und Schutzprogramme erscheinen als Selbstschussanlagen und mobile Wächter, die man umgehen oder zerstören kann.

Hier kommt das Basis-Gameplay von "Deus Ex" noch einmal voll zur Geltung. Mit seinem geradlinigen Drauflosagieren bietet "Breach" ein willkommenes Gegengewicht zum komplexen, im guten Sinne Story-orientierten Hauptspiel.

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Technisch und spielerisch hat sich seit dem fünf Jahre alten Vorgänger wenig geändert. Die Figuren sehen noch immer etwas steif aus und bewegen ihre Lippen in den Gesprächen nicht lippensychron. Die ausrangierten Bosskämpfe sorgen für einen angenehmen Spielfluss. Doch im dichten Geflecht der parallel stattfindenden Missionen verliert man leicht den Überblick. Konfrontationen geht man meist besser aus dem Weg. Denn wird man von Wachen entdeckt, heißt es wenige Sekunden später meist Game Over – selbst auf dem leichtesten Schwierigkeitsgrad. Stealth und Hacking stehen hier im Fokus statt wilder Ballereien.

Mankind Devided erzählt mit seinen gut 25 Haupt- und zusätzlichen Neben-Missionen zwar keine so umfangreiche Story wie "Human Revolution", beschäftigt Spieler aber trotzdem mehr als 20 Stunden. Fans fühlen sich wie zuhause. Einsteiger sollten aufgrund der komplexen Story zunächst die überarbeitete "Game of the Year"-Edition von "Human Revolution" anspielen, damit sie in den Ghettos von Prag und Golem City den Durchblick behalten. Dann erwartet sie ein wunderbar komplexes Cyberpunk-Rollenspiel mit viel dystopischer Gesellschaftskritik.

(hag)