Sachverständigen-Anhörung im Microsoft-Prozess in der Kritik
Beide Parteien im Microsoftprozess kritisierten die geplante Anhörung eines Sachverständigen. Unterdessen wollen AOL und Industrievereinigungen die Position des Justizministeriums offiziell stützen.
Sowohl Microsoft als auch die im Kartellprozess als Kläger auftretenden 19 Bundesstaaten und das US-Justizministerium haben in Erklärungen Kritik an der geplanten Anhörung des Sachverständigen Hites vom Illinois Institute of Technology angemeldet. Das Berufungsgericht in Washington hatte eine solche Anhörung anberaumt, um sich einen allgemeinen Überblick über die Computertechnik geben zu lassen.
Als unabhängiger Sachverständiger darf er aber nicht auf im Prozess relevante Fragestellungen eingehen – diese wären Sachverständigen der Parteien vorbehalten. Die Anhörung hat insofern nur den Zweck, das Gericht über allgemeine Computerfragen aufzuklären, um ihm eine bessere Beurteilung der im Verfahren gestellten Fragen zu ermöglichen. Dennoch wird es sicherlich für Hites ein Balanceakt, die im Prozess aufgeworfenen Fragen nicht einmal ansatzweise zu berühren.
Beide Parteien dringen nun darauf, die Anhörung weiter zu reglementieren, als das Gericht dies bisher vorhatte. Microsoft fordert vor allem, eine vollständige Liste der von Hites zu behandelden Themen vorab einsehen zu können. Auch Hites' diesjährige Forschung für Sun bereitet den Redmondern Kopfschmerzen: Zumindest wolle man eine restlose Aufklärung der Beziehungen Hites' zu dem Erzrivalen Sun erhalten.
Justizministerium und Bundesstaaten verfolgen etwas andere Ziele. Der Vorschlag der Kläger an das Gericht geht dahin, dass beide Parteien sich im Vorhinein über die zu behandelden Themen der Anhörung einigen sollen und auch eventuelle Einwände während der Anhörung gemeinsam mit dem Sachverständigen ausräumen sollen. Auch sollen die Parteien keine Gelegenheit haben, ihrerseits Argumente vorzubringen. Ebenso solle Hites sein Material für die Anhörung den Parteien vorab zur Verfügung stellen, damit man sich gemeinsam auf von allen Beteiligten akzeptierte Bereiche einigen könne.
Mit einer Zuspitzung der Stellungnahmen der beiden Parteien wird Professor Bill Kovacic von der juristischen Fakultät der George Washington University zitiert: "Die sind eine höfliche Form für: Das klappt nie."
Eine weitere überraschende Wendung im Verfahren gegen Microsoft gab es zudem sowohl durch AOL als auch die beiden Industrievereinigungen Computer and Communications Industry Association (CCIA) und Software and Information Industry Association (SIIA). Alle drei beantragten bei dem Gericht, bei dem das Berufungsverfahren anhängig ist, eine amicus brief genannte Stellungnahme (von amicus curiae, lat. für "Freund des Gerichts"; brief: rechtliche Stellungnahme) zur Unterstützung der Regierungsposition einreichen zu dürfen. Die amicus briefs stellen im US-amerikanischen Rechtssystem Eingaben von nicht an einem bestimmten Prozess Beteiligten dar, die dem Gericht bei seiner Entscheidungsfindung helfen sollen. In der Regel werden sie zu Gunsten einer der streitenden Parteien eingereicht.
Ob das Gericht allerdings gleich so vielen amicus briefs zustimmt, steht noch in den Sternen. Bislang erklärten die Richter, sie wollten nur jeweils ein entsprechendes Dokument für jeden der Kampfhähne haben. Überraschend jedenfalls erscheint, dass der Online-Dienst AOL, der sich vor einiger Zeit Netscape einverleibt hat, sich zum ersten Mal offiziell in dem Verfahren äußern will. Die SIIA und die CCIA hatten dagegen schon früher Stellung für die Position des Justizministeriums bezogen. Welchen Inhalt die Stellungnahmen haben werden, ist bislang aber noch nicht klar: Momentan liegen nur die Anträge vor, sie einreichen zu dürfen. (pmo)