Blockchain-Technik: Musikwirtschaft sucht Auswege aus der Datenflut

Wer Musik öffentlich aufführt, muss Rechteinhaber vergüten. Oftmals fehlen jedoch die dazu notwendigen Daten. Auf der SoundTrack_Cologne suchten Label, Verwertungsgesellschaften und Sendeanstalten nach Lösungen bei der Blockchain-Technologie.

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Musik hören

(Bild: dpa)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Kai Schwirzke
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Was zunächst banal klingt, ist tatsächlich hochkomplex. Denn bereits zu einem einzigen Song gehören unzählige Metadaten: Wer komponierte das Stück, welche Musiker haben mitgespielt, wer besitzt die Master-Rechte an der Aufnahme, wer war als Arrangeur tätig, und wo wurde das Werk verlegt? Wie lautet der Label-Code wie der ISRC (International Standard Recording Code)? Am einfachsten, so könnte man annehmen, werden diese Daten gleich bei der Produktion in einer zentralen Datenbank festgehalten. Doch die existiert nicht. Auch nehmen es Verantwortliche mit der Datenerfassung nicht immer so genau. Bei Aufnahmen aus den Sechzigern des letzten Jahrhunderts lässt sich häufig gar nicht mehr ermitteln, wem die gesetzlich verankerte Vergütung eigentlich zusteht.

In Folge haben beispielsweise die GEMA und viele Öffentlich-Rechtliche, aber auch Privatsender eigene Datenbanken entwickelt. Und das weltweit. Dabei nimmt das Datenvolumen, wie Dr. Markus Grimm von der GEMA anmerkt, pro Jahr um den Faktor 15 zu. Allein die Datenmengen stellen also eine erhebliche Herausforderung dar. Dazu addiert sich das „menschliche Problem‟: Beim Einpflegen von Datensätzen schleichen sich Fehler ein. Ulrich Geiger vom Hessischen Rundfunk spricht von typischen „Praktikantendatensätzen‟, denn mit Festangestellten lassen sich derartige Datenfluten kaum bewältigen. Doch wer Interpret und Komponist vertauscht, sorgt unter anderem für Chaos bei der Vergütung und der Klärung von Rechten. Eine gemeinsame, im Idealfall weltweite Lösung wäre wünschenswert, scheitert aber oft an Befindlichkeiten oder monetären Interessen.

Benji Rogers stellte in Köln sein dot-Blockchain-Modell vor.

(Bild: Kai Schwirzke)

Eine mögliche Lösung propagiert der Amerikaner Benji Rogers mit seinem dot-Blockchain-Codec, den er auf der diesjährigen SoundTrack_Cologne zur Diskussion stellte. Beim .bc Codec handelt es sich um ein auf Blockchain-Technologie basierendes Verfahren, bei dem ein spezieller Mediencontainer zum Einsatz kommt. Er enthält, neben der reinen Audioinformation, alle für die Rechteverwertung notwendigen Metadaten. Anders als die Metatags beispielsweise bei MP3-Dateien, lassen sich diese Informationen aus einem .bc-File nicht entfernen.

Das Verfahren funktioniert laut Rogers folgendermaßen: Ein Urheber respektive Produzent wandelt sein Werk in das .bc-Format und ergänzt alle notwendigen Metadaten. Dann lädt er es in die Blockchain, wobei zurzeit Bitcoin-Architektur zum Einsatz kommt. So entsteht nach und nach eine weltweite Datenbank mit allen urheberrechtlich geschützten Werken, die jedermann einsehen kann. Da die für die Vergütung notwendigen Daten integraler Bestandteil des .bc-Containers sind, lassen sich Lizenzierungen unmittelbar über die Blockchain abwickeln. Der Rechteinhaber kann etwa über intelligente Verträge, Smart Contracts genannt, anderen die vollständige, aber auch zeitlich begrenzte Nutzung seiner Werke gestatten. Diese Vereinbarungen werden Bestandteil des Containers, so dass auch die Offline-Nutzung möglich wird.

Da eine Blockchain ihre Daten auf mehrere tausend Rechner verteilt und die einzelnen Blöcke kryptografisch gesichert und miteinander verknüpft sind, ist eine Manipulation der Daten nur schwer möglich. Beim Bitcoin gibt es etwa das Szenario einer 51-Prozent-Attacke. Blockchains wurden bis zum heutigen Tag nicht erfolgreich gehackt. Da eine Blockchain außerdem nichts vergisst und alle Änderungen aufzeichnet, sind Transaktionen jederzeit nachvollziehbar. Zur Transparenz trägt ebenfalls bei, dass der .bc Codec, wie auch Bitcoin selbst, als Open Source vorliegt. Die Datensammlung gehört also niemandem.

Matthias Hornschuh (links) und Stephan Benn diskutieren auf der SoundTrack_Cologne über das Metadaten-Desaster.

(Bild: Kai Schwirzke)

Von Rogers' Idee profitieren besonders kleinere, nicht an Labels gebundene Künstler. Ihre Werke können, wenigstens theoretisch, leicht zugänglich gemacht, gefunden und lizensiert werden. Auch Plattenfirmen, Sender und Verwertungsgesellschaften haben, wie eingangs erörtert, großes Interesse an einer vollständigen Werkdatenbank. Dennoch lässt das Modell wichtige Fragen offen. „Es bleibt völlig unklar, wer die rechtliche Verantwortung trägt, wenn es etwa aufgrund fehlerhafter Daten zu urheberrechtlichen Verstößen kommt.‟, stellt Stephan Benn, Rechtsanwalt und Justiziar des Berufsverbandes mediamusic e.V. klar. „Wer garantiert die Einhaltung gesetzlich festgelegter Rahmenbedingungen?‟ Und Matthias Hornschuh, Komponist, Aktivist und Programmleiter der SoundTrack_Cologne, fragt sich: „Wer bestimmt die Spielregeln bei diesem Modell? Unsere Branche braucht klare Spielregeln, sonst wiederholt sich das Metadaten-Desaster, über das jetzt alle klagen.‟

Tatsächlich bleibt Rogers oft vage. Wer darf einen Eintrag erstellen bzw. ein Werk in die Blockchain hochladen: Der Urheber? Der Produzent? Und was passiert, wenn jemand das OEuvre der Rolling Stones sich selbst zuschreibt? Rogers will diesem Missbrauch durch ein Kontrollsystem aus akustischem Fingerabdruck (ähnlich wie Shazam) und Widerspruchsrecht lösen. Plattenfirmen könnten sich etwa durch einen digitalen Schlüssel ausweisen. Wie umständlich – und vor allem effektiv – dieses Verfahren tatsächlich ist, kann nur die Praxis zeigen, denn noch befindet sich der .bc Codec in der Alphaphase.

Man darf ferner zweifeln, ob alle Plattenfirmen gewillt sind, ihr komplettes Repertoire – oft Hunderttausende von Titeln, in das System einzupflegen. Und was passiert, wenn das Bitcoin-Netzwerk einmal zusammenbricht? Außerdem gibt es seriöse Zweifel, ob das Bitcoin-Netz überhaupt in der Lage ist, derart gewaltige Datenmengen zu erfassen. „Maybe Ethereum is better suited for our needs‟, räumt Rogers ein. Hinter Ethereum verbirgt sich, wen wundert's, ein weiterer Blockchain-Ansatz. Transparent sind die Szenarien im Fall eines Blockchain-GAUs jedenfalls nicht.

Dennoch: Ob dot Blockchain oder ein ähnliches System die Musikwirtschaft nachhaltig verändern kann, hängt nach Ansicht vieler Branchenteilnehmer nicht an der Blockchain-Technologie. „Eine aus der Praxis kommende, von allen Mitspielern akzeptierte Datenbankstruktur ist wesentlich wichtiger als die Technologie, mit der diese schließlich umgesetzt wird‟, fasst Matthias Hornschuh häufig geäußerte Bedenken zusammen. Über den Erfolg von dot Blockchain entscheidet also der raue Alltag, und der hat für Benji Rogers' Lösungsansatz noch lange nicht begonnen. (hag)