Free Software Summit: "Reinheitsgebot" für Online-Dienste

Der Open-Source-Experte Rafael Laguna hat auf einem Free Software Summit dafür plädiert, die "vier Freiheiten" von offener Software auf Internet-Services wie soziale Netzwerke oder Chat-Apps zu übertragen. Quellcode der Dienste müsse verfügbar sein.

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Ozapftis, Bier
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Die digitale Welt von sozialen Netzwerken, Suchmaschinen, Clouds oder Kommunikations-Apps wird dominiert von "Datenkraken" wie Facebook/WhatsApp, Google oder Amazon. "An jeder Ecke wollen Technikfirmen, Regierungen und Wagniskapitalgeber unsere Daten für ihre Vorteile zweckentfremden", kritisiert Rafael Laguna, Geschäftsführer der IT-Firma Open-Xchange, am Freitag bei einem Treffen der Free Software Foundation Europe (FSFE) am Rande der "QtCon" in Berlin. Dies sei sicher nicht der Cyberraum, den man guten Gewissens seinen Kindern überlassen wolle.

Laguna fordert ein "Reinheitsgebot für ehrliche und vertrauenswürdige Internetdienste". Damit will er die vier Grundprinzipien freier Software auf den Bereich der Online-Services übertragen. Die Freiheiten bei offener Software bestehen darin, Programme beliebig ausführen, untersuchen, anpassen, teilen und verbessern zu können. Übersetzt auf die Welt der Dienste heißt das für Laguna zunächst, dass ein Service "von vielen Providern bezogen werden können muss". Zudem müsse es möglich sein, Daten auf einen anderen Service zu übertragen. Eine solche Portabilitätspflicht sieht die neue EU-Datenschutzverordnung bereits vor.

Schon gemessen an diesen zwei Prinzipien seien "90 Prozent der derzeit benutzten Dienste raus", rechnet Laguna vor. Facebook oder WhatsApp etwa würden diesen Ansprüchen nicht gerecht. Seine Forderungen gehen aber weiter. Services müssten auch als quelloffene Software verfügbar sein wie etwa bei der Wikipedia, fordert Laguna. Alles andere sei spätestens nach den Snowden-Enthüllungen nicht mehr akzeptabel: "Wir wissen jetzt, was da alles drinstecken kann."

Eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung mache Programme und Dienste aber schwer nutzbar, räumte Laguna ein. Besser sei es daher, einen "vertrauenswürdigen Provider" zu finden, der das Schlüsselmanagement übernehme. Entscheidend sei es, Dienste möglichst einfach und nutzerfreundlich zu halten. Gesetzlich verankert brauche das Reinheitsgebot daher nicht werden: der Markt müsse das selbst richten. Es dürfe keinen Grund mehr geben, "warum das nächste Snapchat nicht offen sein sollte".

Mit dem Ansatz will der Unternehmer globale Dienste verhindern, die ihre Regeln der ganzen Welt aufdrängen. Zudem könnte das Verfahren dabei helfen, die Flut an Apps für ein- und denselben Zweck zu verkleinern. Kommuniziert werden sollte über offene Protokolle und Implementierungen, ähnlich wie bei E-Mail. Die gleichen Regeln wie dort müssten auf die weiter ausufernde Applikationsebene gehoben werden. Das Copyleft-Prinzip der freien Software, wonach Code-Verbesserungen der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden müssen, hat Laguna aber zunächst bewusst nicht mit einbezogen. Damit würden Geschäftsmodelle zu sehr eingeschränkt, meint er.

Stefan Richter, Gründer der Open-Source-Firma Freiheit.com, räumte ein, früher viel mehr über die "vier Freiheiten" gesprochen zu haben. Er habe aber herausgefunden, dass sich die Wirtschaftswelt dafür in der Regel nicht interessierte. Wichtiger sei es daher, Freie-Software-Entwickler direkt in die Unternehmen zu bringen. Begrüßenswert sei es daher, dass der frühere FSFE-Chef Karsten Gerloff inzwischen direkt bei Siemens für Open-Source-Fragen verantwortlich sei.

Spätestens mit dem Trend zu Cloud Computing hätten viele Freie-Software-Hacker auch ihre eigenen IT-Firmen gegründet, bauten nun offene Lösungen für Dritte und befeuerten so die "digitale Transformation". Nach und nach seien die Programmierer zu "Rockstars" geworden dank freier Entwicklersprachen, freier Software sowie günstiger Hardware und Bandbreite. Konzerne wie Metro hätten technische Architektur-Richtlinien, Open Source zu bevorzugen. Er selbst habe noch "zwei Jahrzehnte unter Microsoft gelitten". Als ein junger Programmierer in seiner Firma mit einem Windows-Smartphone angekommen sei, habe er daher zunächst die Augen verdreht. Die Lobbyschlachten der Vergangenheit seien diesem aber gar nicht mehr bekannt gewesen. (vbr)