100 Drohnen über Linz: Spaxelkunst auf der Ars Electronica

Die Ars Electronica zu besuchen heißt, entweder mit preußischer Disziplin ein Tagesprogramm zu entwerfen und diesem konsequent zu folgen oder sich im verwirrenden Getümmel der rund 550 Events treiben zu lassen. Meist wird es eine Mischung und es bleibt das Gefühl, vieles gesehen aber auch vieles verpasst zu haben.

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100 Drohnen über Linz: Spaxelkunst auf der Ars Electronica

(Bild: c't / Johannes Schacht)

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Von
  • Johannes Schacht
Inhaltsverzeichnis

In ihrem Kern ist die fünftägige Ars Electronica in Linz, die in diesem Jahr zum 37. Mal stattfand, eine Kunstausstellung – und zwar für Medienkunst; hier "Cyberart" genannt, denn die Veranstaltungssprache ist meist Englisch, ein Tribut an die Besucher aus allen Kontinenten. Schwerpunkt des flankierenden Konferenzprogramms war dieses Jahr die "Radical Atoms".

Zur digitalen Kunst zählt auch Digital Music, die in der großen Konzertnacht ihren Höhepunkt fand. Das Motto der Ars Electronica ist "Kunst, Technologie und Gesellschaft". Technologie schafft Möglichkeiten, Kunst setzt Impulse und die gesellschaftliche Verantwortung bestimmt die Richtung. So in etwa wird die Schnittstelle der drei Bereiche von den Verantwortlichen rund um den künstlerischen Leiter Gerfried Stocker verstanden. Doch die Veranstaltung hat mit über 85.000 Besuchern und 3159 Einreichungen aus 84 Ländern mittlerweile eine Größe erreicht, die sie über die österreichische nun auch für die europäische Politik bedeutend macht.

Die Festreden zum Prix Ars Electronica, auf dem die Goldenen Nicas verliehen werden, spiegeln dies. Vom Vizebürgermeister Bernhard Baier über Bürgermeister Klaus Luger, Landeshauptmann Josef Pühringer, Kulturminister Thomas Drozda bis zum österreichischen Bundeskanzler Christian Kern, wie auch vom EU-Kommissar Günther Oettinger wird die Wichtigkeit der Kunst für die Gesellschaft betont, sei es als Standortvorteil, sei es als Kooperationspartner für die Wirtschaft, sei es als Impulsgeber für die Gesellschaft.

Nun ist Cyberart nichts radikal Neues mehr. Mit der Goldenen Nica für die Kategorie "Visionary Pioneer of Media Art" werden seit kurzem Veteranen der Bewegung ausgezeichnet. In diesem Jahr war es die Britin Jasia Reichardt, die seit fast 40 Jahren Ausstellungen kuratiert und zur Computerkunst publiziert. Ihre Ausstellung "Cybernetic Serendipity" im Londoner Institute for Contemporary Arts von 1968 war ein Meilenstein, auf den unweigerlich stößt, der sich mit dem Thema befasst. Ganz im Geiste der späten Sechziger wurde damals das Neue begrüßt und mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten experimentiert. Eine Blume, die auf Ansprache reagiert, war eine Sensation und mit einen Magneten das Bild eines – natürlich schwarzweißen – Fernsehers zu verzerren, wurde als Performance zelebriert.

Auch heute noch strömen einige Exponate den Geist sinnfreier Spielerei aus. So fanden wir Blashörner von Thom Kubli die Seifenblasen produzieren, natürlich zusätzlich zu ihren majestätischen Brummtönen als raumfüllende Installation. Oder Dragan Ilic, der sich als menschlicher Pinsel an einen Roboterarm montieren lässt, um gemeinsam mit der Maschine eine tafelbildgroße Leinwand zu bemalen; eine moderne Version von Jackson Pollocks Tröpfeltechnik. Oder "Inferno" von Louis-Philippe Demer aus der Kategorie "Interactive Art", bei der die Zuschauer in Exoskelette gesteckt werden und zwangsbewegt die vordefinierte Performance abspulen, zu grellem Stroboskoplicht und lauter Technomusik und mit wachsender oder sinkender Begeisterung. Es fanden sich jedenfalls stets mehr als genügend Freiwillige für die Rolle als Cyborg. Oder auch fast schon mit Zen-Ruhe die Installation "Iller" von Prokop Bartoníček und Benjamin Maus, die mit einem mehrere Meter breiten, umgebauten Plotter Flusssteine von der Iller nach Alter sortiert und in ästhetische Muster anordnet.

"Can you hear me?" von Mathias Jud und Christoph Wachter

(Bild: c't / Johannes Schacht)

Andere Exponate künden vom gewachsenen Bewusstsein der gesellschaftlichen Relevanz der digitalen Techniken. Die Schweizer Mathias Jud und Christoph Wachter wurden mit einer Goldenen Nica für "Can you hear me?" geehrt. Im Zuge des NSA-Skandals waren sie auf das Dach der Schweizer Botschaft in Berlin gestiegen und hatten dort zwischen NSA und GCHQ ein offenes Kommunikationsnetz aufgebaut. Den Künstlern war bekannt, dass im Gebiet um den Reichstag durch ein Demonstrationsverbot das Recht der freien Meinungsäußerung eingeschränkt ist. Mit ihrem Projekt gaben sie den Bürgern die Möglichkeit, Botschaften auszusenden, von denen sie sicher annehmen konnten, dass sie (ab-)gehört wurden: "Hello world, hello Berlin, hello NSA, hello GCHQ".

Auch die dunkle Seite des Internets wurde aufgegriffen. Die schweizerisch-englische Mediengruppe Bitnik hat eine Software erstellt, die einem Algorithmus folgend jede Woche für eine bestimmte Summe Bitcoins einkauft und die Artikel direkt ins Museum liefern lässt. Sie werden dadurch Teil der Installation. Über die eine oder andere Lieferung war die eidgenössische Polizei allerdings "not amused".

Ein weiteres Thema, das die Szene bewegt, ist das schlechte Gewissen ob der Ausbeutung anderer Länder oder der Natur, die Stichworte lauten Seltene Erden und Elektroschrott. Die Künstlergruppe Unknown Fields Division (UK/AU) hat den Weg des Giftschlamms verfolgt und dokumentiert. Drei unterschiedlich große aus dem Schlamm gefertigte "Mingvasen" zeigen anschaulich, wie viel toxischer Abfall in welchem Endgerät steckt. Natürlich bleibt auch die Migrationskrise nicht unbeantwortet, eine Sprach-App für häufig benötigte Phrasen lädt im OK, dem Ausstellungsort für die prämierten Cyberarts-Werke, zum Mitmachen, sprich Erweitern ein.

Was mittlerweile seltener geworden scheint – oder besser weniger dominierend – sind "Transformationswerke", also solche, die irgendeinen Input aufnehmen und auf irgendeine Weise in irgendwas anderes umwandeln: Töne in fallende Wassertropfen oder Besucherbewegungen in sphärische Klänge. Aber es gibt sie natürlich immer noch, wie z.B. "Miserable Machines: Soot-o-mat von Špela Petrič. Sie spannt einen Muschelmuskel in eine kleine Vorrichtung und stimuliert ihn elektrisch. Die Kontraktionsbewegungen werden mechanisch übersetzt und auf eine rauchgeschwärzte Trommel geritzt. Der Prozess mag den einen oder anderen abstoßen, die aufgereihten Trommeln haben aber den Reiz des Geheimnisvollen.

Das Kongressthema wurde in diesem Jahr hauptsächlich von der Tangible Media Group des MIT Media Lab (US) bestritten. Professor Hiroshi Ishii (US/JP) leitete die Konferenz mit einem geschichtlichen Rückblick ein. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass ein zweidimensionaler Bildschirm, eine Maus als Zeigegerät und eine Tastatur durch die Technik bestimmt, aber nicht den menschlichen Fähigkeiten angemessen sind. Unter der Überschrift "Tangible Bits" wurden seit den 1990er Jahren andere Interaktionsmöglichkeiten entworfen und untersucht.

Manches erscheint heute als Spielerei, wie die drei Flaschen, die beim Öffnen je einen Ton entlassen: Je nach Flasche mal Klavier, mal Bass, mal Schlagzeug, zusammen eine seichte Jazzmusik. Der Pinsel, der seine Farben und Formen wie ein Photoshop-Stempelwerkzeug durch Draufdrücken definiert, ist da schon ernsthafter. Man hält ihn an einen Gegenstand, einen Apfel, oder ein Stück Zeitung, und malt mit dem aufgenommenen Muster auf dem Bildschirm. Eine der nachhaltigen Entwicklungen war "SandScape", eine Kiste, in der Objekte aus vorgeblichem Sand geformt werden können und deren Form im Computer als 3D-Objekt registriert und dargestellt wird.

Mittlerweile hat das Team um Professor Ishii sein Motto geändert. Mit "Radical Atoms" wird der Anspruch formuliert, die Materie auf der atomaren Ebene computergesteuert zu gestalten. Das ist nun Science-Fiction und sollte wohl nicht als direkt anzustrebendes Forschungsziel verstanden werden. Aber es drückt den Richtungswechsel aus: Direkte Manipulation von Objekten, oftmals ohne Computereinsatz. So wird an Materialen geforscht, die sich unter Feuchteeinfluss verformen und in Kleidung eingearbeitet werden können, die sich bei der Erhitzung des Körpers an definierten Stellen öffnet. Das wird sehr ansprechend von zwei Balletttänzern vorgeführt.

Daniel Leithinger

(Bild: c't / Johannes Schacht)

An SandScape anschließend entstand das Projekt InFORM, mit dessen Entwickler Daniel Leithinger wir sprechen konnten. Der "Tisch" besteht aus einer 30x30-Stiftematrix, wobei sich jeder Stift einzeln rechnergesteuert um etwa 15 cm heben und senken läßt. Mit diesem Tisch werden eine Vielzahl von Anwendungen erprobt: Telepräsenz, interaktives Verformen von Landschaften, intelligente Oberflächen, die zum Beispiel ein klingelndes Smartphone zum Benutzer apportieren oder auch schlichte Visualisierungen: Eine Excel-Tabelle, die auf den Tisch "geschoben" wird, erscheint nicht nur dreidimensional, sondern sie ist es tatsächlich.

Leithinger hebt im Gespräch hervor, dass es darum geht, die besonderen Fähigkeiten der menschlichen Hand als Eingabemöglichkeit zu nutzen. Warum mühselig ein Objekt als abstraktes Computermodell erschaffen, wenn es sich direkt mit der Hand formen lässt. Bei dieser Form von "hybrid Artesianship" registriert der Rechner das vom Menschen Gemachte, übersetzt es in Modelle, die wiederum in Objekte gerendert werden.

Im "Perfect Red" hat das Team diese Vision veranschaulicht. Der Benutzer nimmt ein Stück Knete, formt grob eine Kugel und heraus kommt die perfekte runde rote Kugel. Er deutet einen Schnitt an und die Kugel zerfällt in zwei exakt gleiche Hälften, und so weiter. Das ist nun keineswegs nur Vision, viele Tablettbenutzer erfreuen sich schon heute an der eingebauten Handschrifterkennung, die ähnliches leistet.

Die Forscher um Professor Ishii befassen sich mit vielen Aspekten des Tisches, beispielsweise mit der Frage, wie haptische Eindrücke simuliert werden können. Ob ein Material flüssig wie Wasser, zäh wie Honig, formbar die Knete oder elastisch wie Gummi ist, erfühlen wir mit der Hand. Eine der Fragestellungen ist, wie sich solche Eindrücke simulieren lassen.

Als ein Höhepunkt der Veranstaltung war der europaweit erste Formationsflug von 100 Drohnen angekündigt. Die Firma Intel und das Ars Electronica Future Lab hatten diesen Flug schon in Australien vorgeführt und sich im Guinnessbuch der Rekorde eintragen lassen. Nun wurde er kurz vor der Klangwolke, dem jährlichen Linzer Open-Air-Event, gezeigt und hatte damit mehr als 100.000 Zuschauer, die am Donauufer kurz vor Sonnenuntergang zusahen, wie 100 Lichtpunkte verschiedene Formen an den abendlichen Himmel zu der Musik Beethovens zauberten.

Anil Nanduri

(Bild: c't / Johannes Schacht)

Intel-Vizepräsident Anil Nanduri glaubt an das Geschäft mit Drohnen in den kommenden Jahren, weshalb sein Unternehmen kürzlich die Deutsche Firma Ascending Technologies übernommen hat. Ein Hindernis sieht Nanduri im schlechten Image der Drohnen durch ihre militärische Nutzung. Er betont die Vielzahl ziviler Einsatzmöglichkeiten, beispielsweise für Brückeninspektionen oder für Rettungseinsätze in unwegsamem Gelände. Die Kooperation mit dem Ars Electronica Future Lab soll zeigen, dass Drohnen keine Ungeheuer sind.

Auf die Frage nach den Herausforderungen eines solches Formationsflugs hebt Nanduri auf die Steuerungsprobleme ab. Jede Drohne ist durch Wind beeinflusst und wird zentral auf Kurs gehalten. Bei der Skalierung auf 100 Drohnen musste die Kommunikationstechnik neu gestaltet werden, denn letztlich werden alle Drohnen von einem zentralen Rechner gesteuert. Aus Sicherheitsgründen werden die Drohnen vom Boden aus überwacht und jede Drohne kann bei Gefahr manuell zur Basis zurückgeholt werden.

Horst Hörtner

(Bild: c't / Johannes Schacht)

Insgesamt arbeitet ein Team von 15 Personen an der Performance, sicherlich nichts, was man sich zum runden Geburtstag bestellt. Aber das Interesse ist groß, wie die Flüge in Dubai zum Nationalfeiertag der Vereinigten Arabischen Emirate oder Hannover zum Tag der Deutschen Einheit zeigen. Das Projekt finanziert sich selbst, betont der Leiter des Ars Electronica Future Labs, Horst Hörtner im Gespräch. Doch geht es Hörtner um wesentlich mehr als darum, ein paar Lichtformationen an den Himmel zu malen.

Die Repräsentation von Computermodellen durch Objekte im Raum nennt er Spaxels in Analogie zu Pixel und Voxel. Bei den Spaxels geht es aber nicht darum Dreidimensionalität als Illusion zu erschaffen beziehungsweise im Kopf des Betrachters entstehen zu lassen. Spaxels sind dreidimensional, sie sind reale Objekte.

Wenn mehrere Drohnen in einer Reihe fliegen, so bilden sie eine Linie. Hörtner erfasste eine der Drohnen und bewegt mit ihr die ganze Linie, wie ein Schwert kann er dann die Drohnen führen. Die Entstehung der Linie folgt der Gestalttheorie und Hörtner liebt es, über die Frage zu philosophieren, welcher Art von Realität die Formen haben, die die Drohnen erzeugen. Sie sind einerseits virtuell, andererseits real, weshalb er den Begriff Converged Reality benutzt.

Von all dem sah man wenig am Linzer Abendhimmel. Doch Hörtner verweist auf die Geschwindigkeit mit der die Miniaturisierung voranschreitet. Und wenn er von Drohnen im Sub-Millimeterbereich spricht und von den Möglichkeiten schwärmt, die sich aus Millionen gesteuerter Drohnen ergeben, sieht der Zuhörer schon die Avatare real durchs Zimmer laufen. Ob diese Vision ein positives Image der Drohnentechnik fördert, hängt wohl davon ab, wie technophil oder technophop man ist. Solange Hörtner im Raum ist, bleibt für Bedenkenträgerei wenig Platz. (anw)