Offene WLANs: Europäischer Gerichtshof konkretisiert Störerhaftung für Gewerbetreibende

Der EuGH hat in einem Urteil zur Störerhaftung bei WLANs die Position von WLAN-Betreibern gestärkt und die Abmahnindustrie möglicherweise geschwächt. Das ist aber unter Juristen nach ersten Analysen noch umstritten.

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Kaffee und WLAN

Die Störerhaftung kann vor dem Betrieb offener WLANs abschrecken, wird doch etwa ein Café-Besitzer möglicherweise für Rechtsverletzungen seiner Kunden über das WLAN mit zur Verantwortung gezogen.

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Jürgen Kuri
Inhaltsverzeichnis

Der Streit um die sogenannte Störerhaftung bei WLANs in Deutschland währt schon einige Jahre. Der Gesetzgeber versuchte mit mehr oder weniger Erfolg, die Risiken für Betreiber offener WLANs durch eine Gesetzesänderung zu verringern. Nun hat der Europäische Gerichtshof in einem Verfahren (Az. C-484/14) entschieden, dass Betreiber offener WLANs (auch in Einrichtungen wie etwa Cafés) zwar nicht haftbar gemacht werden können für Urheberrechtsverletzung durch User, dass aber Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Rechtsverstöße angemessen und verhältnismäßig sein können. Ersten Einschätzungen von juristischen Experten zufolge hat das Gericht aber entschieden, dass Unterlassungsansprüche gegen sogenannte "Störer" weiterhin zulässig sind. Ob dies auch bedeutet, dass kostenpflichtige Abmahnungen gegen WLAN-Betreiber wegen Urheberrechtsverstößen der User unzulässig sind, ist derzeit noch umstritten.

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Zur aktuellen deutschen Rechtslage bei WLAN-Störerhaftung:

Die deutsche Störerhaftung erschien schon wie so eine Art digitaler Hydra: Hackt man ihr einen (Paragraphen-)Kopf ab, wachsen ihr gleich neue (Abmahn-)Köpfe nach. Störerhaftung ist eine Regelung im deutschen Recht, nach der nicht nur der eigentliche Rechtsverletzer belangt werden kann, sondern alle an der "Störung" des Rechts in irgendeiner Weise Beteiligten verpflichtet werden können, zumindest ihre Mitwirkung an der Rechtsverletzung zu unterlassen.

Für offene WLANs bedeutet dies etwa, dass der Betreiber dafür verantwortlich gemacht werden kann, Rechtsverletzungen durch die WLAN-Nutzer zu unterbinden. Schon das Anbieten des WLAN-Zugangs zum Internet ist dann also eine "Mitstörung": Rechteinhaber haben dann gegen WLAN-Betreiber einen Unterlassungs-Anspruch, an zukünftigen Verletzungen des Urheberrechts nicht mehr mitzuwirken. Ein solcher Unterlassungs-Anspruch wiederum ist die Grundlage für teure Abmahnungen von Anwälten der Rechteinhaber – die letztlich vor allem kostenpflichtige Aufforderungen sind, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen.

Bereits im März dieses Jahres hatte der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof zur deutschen Störerhaftung erklärt, dass ein Unternehmer, der der Öffentlichkeit ein WLAN kostenlos zur Verfügung stellt, nicht für Urheberrechtsverletzungen eines Nutzers verantwortlich sein könne. Deren Konsequenzen könnten sonst zu einem Nachteil für die Gesellschaft werden, der durch Vorteile für Rechteinhaber nicht aufgewogen werde, schrieb Maciej Szpunar.

In dem Rechtsstreit geht es um ein Verfahren vor dem Münchner Landgericht, in dem sich der Freifunker und Pirat Tobias McFadden gegen Ansprüche von Sony Music wehrt. Der Medienkonzern fordert 800 Euro von McFadden, weil jemand über dessen offenes WLAN illegal ein Musikstück heruntergeladen haben soll. McFadden hatte gegen diese Forderung von Sony Music geklagt und konnte nun eine Grundsatzentscheidung zur deutschen Störerhaftung erreichen, nachdem die Richter das Verfahren nach Luxemburg verwiesen hatten.

Der Generalanwalt meinte, dass McFadden zwar gerichtlich dazu verpflichtet werden könne, die von Sony beanstandete Rechtsverletzung zu beenden oder zu verhindern. Doch dabei müssten Grundsätze wie die der Verhältnismäßigkeit und der Effektivität beachtet werden. Wenn die Unterbindung der Rechtsverletzung nur erreichen könne, indem er entweder das WLAN-Netz schließt, mit einem Passwort schützt oder sämtliche darüber laufende Kommunikation überwacht, würde das seine unternehmerische Freiheit zu stark einschränken.

Dem schloss sich das Gericht nicht vollständig an. Der Europäische Gerichtshof hielt fest, dass ein WLAN-Betreiber nicht schadensersatzpflichtig für Urheberrechtsverletzungen durch die User sein kann. Von den WLAN-Betreibern kann verlangt werden, künftige Rechtsverletzungen zu unterbinden – und dies kann nach Ansicht des Gerichts auch durch User-Registrierung und passwortgeschützten Zugang erreicht werden. Im Unterschied zum Generalanwalt hält das Gericht diese Maßnahmen für machbar und verhältnismäßig.

Allerdings betont das Gericht auch, dass eine Überwachung des Netzverkehrs und der einzelnen User nicht rechtmäßig sei. Das Gericht hielt zudem explizit fest, dass Schadensersatzansprüche dem WLAN-Betreiber nicht in Rechnung gestellt werden können.

In Deutschland hatte sich die Rechtslage bei offenen WLANs mittlerweile aber sowieso geändert, wenn auch nicht zur vollständigen Zufriedenheit von Rechtsexperten und Kritikern der Störerhaftung. Ende Juni dieses Jahres trat eine Änderung des Telemediengesetzes (TMG) in Kraft, mit der Betreiber von öffentlichen Funknetzen von der Haftung für Rechtsverstöße durch Nutzer freigestellt werden sollen.

Mit dem "Zweiten Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes" wird in Paragraph 8 ein Absatz eingefügt, dass das unter bestimmten Umständen geltende Haftungsprivileg für Festnetzbetreiber oder Hoster ausdrücklich auch solchen Anbietern gewährt, "die Nutzern einen Internetzugang über ein drahtloses lokales Netzwerk zur Verfügung stellen". Damit soll das aus der sogenannten "Störerhaftung" entstehende Haftungsrisiko für WLAN-Anbieter abgeschafft werden.

Der Gesetzesänderung ging ein jahrelanges Tauziehen voraus, an dessen Ende ein Kompromiss steht, den Juristen für nicht ausreichend halten, Rechtssicherheit werde nicht hergestellt. Auch die Experten im Bundesrat hatten diese Schwäche gesehen und warnten in einer Empfehlung, dass "Rechtsunsicherheit bestehen bleibt". Denn vor der zivilrechtlichen Inanspruchnahme durch Abmahnungen schützt das neuen TMG die WLAN-Betreiber nicht ausdrücklich. Die Koalition hält die Neuregelung hingegen für tragfähig. Die Bundesregierung will das Gesetz 2018 überprüfen.

[Update 15.09.2016 11:35]:

Entgegen einer ersten Analyse haben die Richter zwar Schadensersatzansprüche gegen die Betreiber von WLANs untersagt, umstritten ist aber noch die Interpretation, dass kostenpflichtige Abmahnungen dadurch grundsätzlich untersagt werden. Die ursprüngliche Meldung und der Titel wurden entsprechend geändert und korrigiert.

[Update 15.09.2016 13:14]:

Im mittlerweile vorliegenden vollständigen Urteilstext geht das Gericht noch genauer auf die Frage der kostenpflichtigen Abmahnungen ein. Demnach sind zwar Abmahn- und Gerichtskosten von den WLAN-Betreibern nicht zu zahlen, solange es um Ansprüche auf Schadensersatz geht. Anders sehe es aber aus, sobald es um die weitere Unterlassung der Rechtsverletzungen geht.

Der Gerichtshof hält hier fest, es sei zulässig, "dass der Geschädigte die Unterlassung dieser Rechtsverletzung sowie die Zahlung der Abmahnkosten und Gerichtskosten von einem Anbieter, der Zugang zu einem Kommunikationsnetz vermittelt und dessen Dienste für diese Rechtsverletzung genutzt worden sind, verlangt, sofern diese Ansprüche darauf abzielen oder daraus folgen, dass eine innerstaatliche Behörde oder ein innerstaatliches Gericht eine Anordnung erlässt, mit der dem Diensteanbieter untersagt wird, die Fortsetzung der Rechtsverletzung zu ermöglichen."

Insofern scheint die Abmahnindustrie zwar möglicherweise geschwächt, aber noch lange nicht am Ende zu sein.

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