Forscher: Internet gefährdet labile Menschen
Häufiges Surfen im Internet schadet besonders psychisch labilen Menschen, so das Ergebnis einer Studie der Münchner Universität.
Häufiges Surfen im Internet schadet besonders psychisch labilen Menschen. Nach einer am Montag veröffentlichten Studie der Münchner Universität hatten rund vier Prozent von 1000 Befragten ernste Probleme durch häufige Nutzung des Internets. Bei diesen Betroffenen habe bereits eine psychiatrische Erkrankung bestanden, sagte Professor Ulrich Hegerl. Sie hätten unter Depressionen, Angstneurosen und anderen Manien gelitten. Alle hätten eines gemeinsam: Sie seien nicht selbstbewusst und suchten im Internet nach Kommunikation, Partnerschaften oder neuen Freunden.
Als Beispiel nannte Hegerl Hausfrauen, die nachmittags stundenlang im Netz chatten, Anleger, die ständig die Entwicklung der Aktienkurse verfolgen oder Jugendliche, die bis morgens um fünf Uhr ihre Zeit mit Computerspielen verbringen. Sie suchten Geborgenheit und Sex im Internet, steigerten im Netz ihr Selbstwertgefühl und flüchteten aus ihrer Realität. Kennzeichen für eine krankhafte Nutzung des Internets sei unter anderem ein deutlicher Rückzug aus dem sozialen Leben. "Die Leute vereinsamen immer mehr", sagte Oliver Seemann, der die nicht repräsentative Studie erarbeitete und eine Ambulanz für Internet- Anhängige an der Ludwig-Maximilians-Universität leitet.
Tage und nächtelanges Surfen führt nach Angaben der staatlichen Beratung für Ernährung und Hauswirtschaft in Bayern auch zu Kalziummangel. Viel-Surfer bekämen zu wenig Sonne und bewegten sich nicht genug. Im Unterschied zu gesunden Menschen würden Internet-Kranke heimlich und in aller Abgeschiedenheit im Netz surfen. Es handelt sich zumeist um Männer, die im Durchschnitt 28 Jahre alt sind. Bei vielen hätte zuvor Drogen- oder Alkoholabhängigkeit sowie Spielsucht bestanden. Das Internet fördere suchtähnliches Verhalten, weil es "jeden Tastenklick sofort belohnt", sagte Hegerl. Die Anonymität des Internets gebe vielen sonst unsicheren Menschen große Sicherheit.
"Zu langes Surfen ist krankhaft, macht aber nicht süchtig", sagte Hegerl. Es seien teilweise ernste gesundheitliche Probleme aufgetreten. Die Frage sei aber, wie die mit der Befragung im Internet erforschten Krankheiten zusammenhängen. "Wir wissen nicht, ob langes Surfen zu Depressionen führt oder Depressionen zu langem Surfen", sagte Hegerl. Internet-Abhängigkeit sei wahrscheinlich keine eigenständige Krankheit, sondern eher Symptom von anderen psychiatrischen Störungen.
Es habe während der Studien kaum Hinweise auf körperliche Abhängigkeiten gegeben. In Ausnahmefällen sei es zu körperlichen Entzugserscheinungen wie Nervosität und Unruhe gekommen. Auch ein Verlangen nach einer immer währenden Steigerung der Dosis sei nicht aufgefallen. Den Internet-Kranken könne geholfen werden. Durch die Therapie würde das Selbstbewußtsein der Leute gestärkt und dann würde sich ganz von selbst wieder mehr soziale Kontakte ergeben.
Die am meisten angeklickten Webseiten der Betroffenen seien Chats und andere Kommunikationsadressen gewesen. An zweiter Stelle stünden Sexseiten. Das Internet sei ein Medium wie Fernsehen oder Radio. Bei Menschen, die viel fernsehen, werde auch nicht von Fernsehsüchtigen gesprochen. Der Unterschied des Internets zu herkömmlichen Medien liege aber in der Interaktivität. In den USA wird die Zahl der Internet-Kranken auf 300.000 geschätzt. Nach Einschätzung von Hegerl ist diese Zahl zu hoch. (dpa)/ (cp)