Italien: Ablaufdatum für Online-News wegen Recht auf Vergessen

Das oberste italienische Gericht hat ein Urteil bestätigt, mit dem das Recht auf Vergessen massiv ausgeweitet und die Pressefreiheit bedroht wird. Derweil diskutiert das Land wegen eines anderen Falls, ob die Löschpflicht überhaupt effektiv genug ist.

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Recht auf Vergessen
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Inhaltsverzeichnis

Nach einem kontroversen Urteil des höchsten italienischen Gerichts, mit dem das "Recht auf Vergessen" erheblich ausgeweitet wurde, gibt es in dem Land eine Debatte über die Konsequenzen. Befeuert wird die durch den Suizid einer jungen Frau, die zuvor versucht hatte, Sex-Videos von sich aus dem Internet zu bekommen und dafür gerichtliche Unterstützung bekommen hatte. Wie der Telegraph berichtet, hat Premierminister Renzi in dem Fall der inzwischen beerdigten Frau erklärt, es gebe nicht viel, was seine Regierung tun könne. Die beiden unzusammenhängenden Fälle beleuchten derweil die Spannweite, in der das noch junge "Recht auf Vergessen" nun diskutiert wird.

Bereits Ende Juni hatte das höchste italienische Gericht eine augenscheinlich erhebliche Ausweitung des Rechts auf Vergessen vorgenommen, was aber außerhalb Italiens weitgehend unbeachtet blieb. Wie das Wochenmagazin L'Espresso zusammenfasst, ging es in der Entscheidung um Primadanoi.it und ein Gerichtsverfahren, worüber die die lokale Nachrichtenseite berichtet hatte. Noch als das Verfahren lief, hatte der vor Gericht stehende Restaurantbesitzer die Löschung der Artikel gefordert. Der fragliche Sachverhalt wurde da noch vor Gericht behandelt und lag erst zwei Jahre zurück. Trotzdem leistete Primadanoi.it der Forderung sechs Monaten später Folge. Das reichte dem Kläger nicht und er forderte Entschädigung für die Verzögerung.

"Recht auf Vergessen": Das EuGH-Urteil gegen Google

Der Europäische Gerichthshof hat im Mai 2014 entschieden, dass Suchmaschinenbetreiber Verweise auf Webseiten mit sensiblen persönlichen Daten auf Verlangen aus ihren Ergebnislisten streichen müssen. Allerdings müssen die Artikel, Dokumente oder Seiten mit den inkriminierten Informationen keineswegs aus dem Netz verschwinden, die Informationen bleiben im Netz erhalten. Die Meinungen über das Urtell sind gespalten.

Der Betreiber von Primadanoi.it wurde von dem Gericht in Ortona an der Adriaküste dazu verdonnert, dem Restaurantbesitzer 5000 Euro Entschädigung zu bezahlen und zur Sicherheit wurde sogar sein Auto beschlagnahmt. Dieses Urteil wurde in zweiter Instanz in Chieti bestätigt, wie dann auch vom Corte Suprema di Cassazione in Rom. Das Recht darauf, Informationen zu verbreiten, habe also ein Ablaufdatum wie Milch oder Joghurt, fasste L'Espresso zusammen. Dieses Haltbarkeitsdatum sei in dem Fall vom Richter festgelegt worden, ohne dass es dafür irgendeine gesetzliche Grundlage gebe. Laut dem obersten italienische Gericht hätten die zwei Jahre zwischen der Veröffentlichung der ersten Artikel und der Bitte um Löschung ausgereicht, um das öffentliche Interesse zu befriedigen.

Die Redaktion von Primadanoi.it protestiert nun gegen das Urteil und fordert, dass Nachrichtenseiten per Gesetz von der Löschpflicht des Rechts auf Vergessen ausgenommen werden. Derweil diskutiert Italien den Fall einer jungen Frau, die vergangenes Jahr ein Sex-Video von sich an mehrere Personen geschickt hatte, das danach im Internet landete. Den folgenden Erniedrigungen habe sie durch die Kündigung ihres Jobs und einen Umzug zu entkommen versucht.

Vor Gericht hatte sie auf Basis des Rechts auf Vergessen eine Löschpflicht durchgesetzt – musste aber in einer "finalen Beleidigung" (so italienische Zeitungen) 20.000 Euro in juristischen Kosten akzeptieren. Der Film blieb trotzdem im Netz und vergangene Woche wurde die 31-Jährige tot aufgefunden. "Warum sind diese Bilder immer noch da? Warum können Menschen sich immer noch über diese junge Frau lustig machen und sie beleidigen, nachdem sie sich wegen der Erniedrigungen das Leben genommen hat?", fragte daraufhin die neapolitanische Tageszeitung Il Mattino.

Beide Fälle beleuchten unterschiedliche Facetten des Rechts auf Vergessen, das im Frühjahr 2014 vom Europäischen Gerichtshof formuliert worden war. Der Suchmaschinenbetreiber Google kann demnach dazu verpflichtet werden, Verweise auf Webseiten mit sensiblen persönlichen Daten aus seiner Ergebnisliste zu streichen. Damit sollten Persönlichkeitsrechte gestärkt werden, wie sie die junge Italienerin beanspruchte. Vor dem EuGH ging es damals aber nur um die Ergebnisliste von Google, kein Archiv einer Nachrichtenseite wie Primadanoi.it. Die World Association of Newspapers hält das Urteil des obersten italienischen Gerichts gegen die Lokalseite deswegen für verstörend und befürchtet eine wachsende Selbstzensur italienischer Medien. (mho)