"Argumente für Bargeld sind wenig überzeugend"

Seit fast 20 Jahren ist der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff der Meinung, dass Bargeld in großen Scheinen abgeschafft gehört. Die technische Entwicklung und die Wirtschaftsflaute liefern ihm neue Munition.

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Von
  • Sascha Mattke
Inhaltsverzeichnis

Wenn das gesamte Bargeld, das nicht bei Banken liegt, brav als legaler Spargroschen in Keksdosen oder Matratzen aufgehoben würde, dann müsste jeder durchschnittliche Vier-Personen-Haushalt in den USA 13.600 Dollar allein in 100-Dollar-Scheinen zuhause haben, jede deutsche vierköpfige Familie ungefähr 12.800 Euro in Scheinen ab 50 Euro. Das klingt unwahrscheinlich? Dieser Meinung ist auch Kenneth Rogoff, ein bekannter Ökonom von der Harvard University. In seinem neuen Buch "Der Fluch des Geldes" legt er dar, dass Bargeld ganz überwiegend zu illegalen Zwecken verwendet wird – und spricht sich entschieden für seine allmähliche Abschaffung aus.

Erstmals vorgeschlagen hat Rogoff das schon 1998 in einem wissenschaftlichen Aufsatz, der aber nur wenig Echo fand. Seitdem hat sich einiges verändert. Das Internet und Smartphones haben eine ganze Reihe von neuen Zahlungsmöglichkeiten gebracht, die Bargeld-Nutzung weniger zwingend machen, neuerdings kommen noch reine Digitalwährungen wie Bitcoin hinzu. Tatsächlich wird beim überwältigenden Teil des stetig zunehmenden Online-Handels die Zahlung elektronisch abgewickelt. Aber trotzdem, so der Autor, "steigt die Nachfrage nach Geldscheinen in den meisten Industrienationen seit mehr als zwei Jahrzehnten kontinuierlich an".

Wo das ganze Bare bleibt, das für legale Zwecke doch eigentlich immer weniger gebraucht würde, lässt sich naturgemäß gar nicht so einfach herausfinden: "Finanzministerien und Zentralbanken verdienen regelmäßig Milliarden mit dem Drucken von Geldscheinen mit hohem Nennwert, doch niemand weiß so richtig, wo genau der Großteil davon bleibt und wofür er eingesetzt wird", schreibt Rogoff. Studien sprächen jedenfalls dafür, dass international nur 5 bis 10 Prozent davon bei normalen Endverbrauchern liegen.

Der Rest zirkuliere ganz überwiegend "in der Untergrund-Wirtschaft, wo er Steuerhinterziehung, Kriminalität und Korruption erleichtert". Dass Bargeld in großen Summen vor allem für solche finsteren Zwecke verwendet werde, sei in Film, Fernsehen und Literatur längst angekommen. "Die Politik aber lässt sich weitaus mehr Zeit damit, diese Realität anzuerkennen", so Rogoff.

Dabei könne sie relativ schnell und einfach beginnen, ihr entgegenzuwirken: mit der Abschaffung zunächst von Scheinen mit hohem Nennwert. Doch selbst nach dem geplanten Ende für die 500-Euro-Note, die vor allem in Deutschland auf viel Widerstand stieß, wird die Eurozone mit dem 200-er und dem 100-er noch große Scheine haben, mit denen man relativ leicht hohe Summen zusammenbekommt.

Dem Vorteil von Bargeld ist sich Rogoff durchaus bewusst. Es ist gerade bei kleinen Transaktionen unzweifelhaft schnell und praktisch. Ebenso funktioniert es auch dann noch, wenn Stromnetze und Rechenzentren ausfallen – aber batteriebetriebene Smartphones, so Rogoff, sind "die beste Katastrophen-Vorsorge" für solche Fälle, und würden noch weiter an Bedeutung gewinnen.

Seine Zusammenfassung: "Die Vorteile für die Gesellschaft dürften die Kosten deutlich überwiegen." Selbst wenn mit der schrittweisen Abschaffung von Bargeld nichts weiter gelinge, als nur eine leichte Verringerung der illegalen Aktivitäten zu erreichen, seien die zu erwartenden Vorteile enorm.

Hinzu kommt ein weiterer Faktor, der heute eine größere Rolle spielt als Ende des vergangenen Jahrtausends: Zur Ankurbelung der Konjunktur nach der Finanzkrise senken Zentralbanken weltweit die Zinsen immer weiter, bis in den negativen Bereich. Auf Bargeld aber kann man nicht so einfach Negativzinsen kassieren – ab einem gewissen Niveau besteht deshalb die Gefahr, dass Geld zunehmend von Konten abgeräumt und stattdessen in bar aufbewahrt wird, was die Wirkung der Zentralbankpolitik zunichte machen würde. Viele große Fonds und Finanzfirmen beschäftigen sich laut Rogoff schon mit dieser Möglichkeit.

Einen echten Zielkonflikt sieht er nur in Bezug auf Fragen von Privatsphäre und Anonymität: "Niemand möchte in einer Gesellschaft leben, in der jede kleine Regel und Vorschrift rigoros durchgesetzt wird." Dieses Problem allerdings betreffe nicht nur das Thema Geld, sondern das gesamte moderne Leben – das von staatlicher Überwachung von Mobiltelefon-Daten und Surf-Verhalten sowie mittels Kameras, und dazu von wildem Datensammeln durch private Unternehmen geprägt sei.

Um der Totalüberwachung entgegenzuwirken, spricht sich Rogoff dafür aus, kleine Transaktion für zunächst unbegrenzte Zeit weiterhin in bar zu ermöglichen, mit kleinen Scheinen und später nur noch Münzen. Das solle so lange so bleiben, bis bessere technische Lösungen für anonyme Kleingeschäfte entwickelt sind – wobei der Staat hier durchaus aufpassen müsse, dass nicht auch diese irgendwann im großen Stil missbraucht werden.

Das Buch ist umfassend, unterhaltsam und trotz der komplexen Thematik verständlich geschrieben und lässt Gegenpositionen nicht einfach unter den Tisch fallen. Nach der Lektüre ist man geneigt, sich Rogoffs Meinung anzuschließen: "Viele der Argumente für die Beibehaltung von Bargeld in seiner heutigen Form sind oberflächlicher und weniger überzeugend, als sie scheinen."

(sma)