Neues IPTV-Angebot waipu.tv: ohne Settop-Box und Providerzwang

Am heutigen Freitag öffnet ein neues TV-Angebot, das nach Angaben des Anbieters die Flexibilität und den Komfort einer App mit der Verlässlichkeit und Qualität eines Kabelanschlusses vereint. Auf einen ersten Blick wirkt es vielversprechend.

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Neues IPTV-Angebot waipu.tv: ohne Settop-Box und Providerzwang
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Nico Jurran
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Dass Fernsehprogramme als IP-Datenstrom ins Haus kommen, ist an sich nichts Neues: Hierzulande bieten die Deutsche Telekom und Vodafone Fernsehen aus der DSL-Dose an, hinzu kommen TV-Streamindienste wie Zattoo und Magine TV.

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Doch als perfekt empfanden viele Anwender diese Lösungen bislang nicht: Bei den Telekommunikationsunternehmen ist man nicht nur an das Netz gebunden, sondern auch nicht völlig frei hinsichtlich der Wahl des Routers und der Settop-Box. Doch nur so sehen sich die Anbieter in der Lage, einen störungsfreien Empfang zu gewährleisten. Streamingdienste sind flexibler, weisen dafür aber darauf hin, dass es bei der Bildübertragung zu Aussetzern kommen kann – da sie ja nun einmal nicht die komplette Übertragungskette unter ihrer Kontrolle haben.

Mit "waipu.tv" kommt nun jedoch ein neues IPTV-Angebot auf den deutschen Markt, das mit einem beliebigen Breitband-Internet-Anschluss funktionieren soll und dennoch die Verlässlichkeit und Qualität eines Kabelanschlusses bieten will. Eine eigene Settop-Box bietet die hinter dem Dienst stehende Exaring AG gar nicht an: Das Smartphone ist hier Media-Hub, Fernbedienung und Programmzeitschrift in einem.

Die Exaring AG nutzt nach eigenen Angaben eine eigenen Infrastruktur, die über 12.000 km Glaserfaser umfasst.

(Bild: Exaring-Präsentation)

Technisch möglich wird dies, weil das hinter waipu.tv stehende Startup, an dem Freenet mit rund 25 Prozent beteiligt ist, Zugriff auf einen nach eigenen Angaben mehr als 12.000 km langen Glasfaser-Ring hat. Der zieht sich durch weite Teile Deutschlands – und über diesen sollen zum Start bereits 23 Millionen Haushalte erreichbar sein. Darüber laufen die TV-Daten laut Exaring vorbei an den Engpässen der Internet-Knoten und werden erst in der Nähe des Haushalts in den bestehenden Breitband-Anschluss der Nutzer eingespeist.

Der Zugang lässt sich weiterhin für andere Internet-Dienste nutzen, wobei dieser Teil wie üblich über das Netz des gewählten Internet-Providers läuft. Exaring speist nur TV-Daten ein. Insofern könnte sich eine intensive parallele Internet-Nutzung durchaus auf den TV-Empfang auswirken. Exaring selbst gibt einen Mindest-Datendurchsatz von 6 MBit/s für Fernsehen in Standardauflösung beziehungsweise 16 MBit/s für HDTV an. Bei Problemen mit dem Durchsatz passt der Dienst notfalls die Datenrate des TV-Signals – was natürlich zu Lasten der Bildqualität geht.

Erstes TV-Empfangsgerät ist beim Kunden dann das Smartphone mit der darauf installierten waipu.tv-App, an die das Fernsehbild samt EPG übertragen wird. Mit einer Wischbewegung wird dann das Bild von dort an den Fernseher übertragen – oder genauer gesagt an einen Google Chromecast, da Exaring die Cast-Technik von Google benutzt. Daher hat waipu.tv laut Exaring auch seinen Namen: waipu ist japanisch und steht für wischen.

An sich könnte man die App nach der Übergabe beenden, da der Datenstrom nun direkt über das (per WLAN angebunden) Google-Gerät läuft. Allerdings erfolgt die Bedienung von waipu.tv weiter über das Smartphone.

Die komplette Bedienung läuft bei waipu.tv über die Smartphone-App mit integriertem elektronischem Programmführer.

(Bild: Exaring)

Während beim typischen DSL-Fernsehen auf die Multicast-Übertragung gesetzt wird, setzt Exaring bei seinem IPTV-Angebot auf Unicast-Verbindungen. Insofern erhält tatsächlich jeder waipu.tv-Nutzer seinen eigenen TV-Datenstrom. Timeshifting-Funktionen ist somit möglich, ohne dass eine Festplatte in einer Settop-Box mitlaufen muss. Stößt der Nutzer eine Aufnahme an, so wird die Aufzeichnung laut Anbieter auf den Servern in einem der beiden Rechenzentren des Unternehmens abgelegt.

Laut Exaring reicht die Kapazität des Glasfasernetzes dafür locker aus: Momentan ließen sich 100 Millionen parallele HD-Streams ausliefern. Der Ring sei auch für die Übertragung von TV-Kanälen in 4K-Auflösungen ausgelegt, momentan warte man nur auf passende Angebote – und auf einen 4K-fähigen Google Cast. Letzter soll aber ja bereits in Kürze offiziell angekündigt werden.

Unicast bedeutet natürlich auch, dass jeder Fernseher (beziehungsweise das daran angeschlossene Google Chromecast) seinen eigenen Stream erhält -- selbst wenn alle Nutzer im Haus das selbe Programm schauen. Bis zu 4 parallele Streams sind bei waipu.tv möglich. Da Aufnahmen wie angesprochen direkt auf den Exaring-Servern und nicht auf einer Settop-Box ausgeführt werden, muss dafür bei waipu.tv aber keine Bandbreite reserviert werden.

Apropos Aufnahmen: Am Ende des Tages muss sich natürlich auch Exaring an die Spielregeln halten, die die TV-Sender ihren Vertragspartnern stellen. Daher wird es beispielsweise auch bei waipu.tv nicht möglich sein, die Sender der RTL-Gruppe in HD-Qualität aufzuzeichnen. Die App soll bei einem Aufnahmeversuch künftig die mögliche Aufnahme in SD vorschlagen.

Aufnahmen lassen sich von unterwegs anstoßen. Sie landen im Cloud-Speicher von waipu.tv und stehen dann jederzeit zum Abruf durch den Kunden bereit.

(Bild: Exaring)

Immerhin muss man sich bei waipu.tv nicht mit Jugendschutz-Sicherungen herumärgern: Exaring schließt nach eigenen Angaben nur Verträge mit Volljährigen und verzichtet daher vollständig auf eine PIN-Eingabe. Für ein geplantes Programm mit Erwachsenen-Unterhaltung soll es allerdings die Möglichkeit einer zusätzlichen Sicherung geben.

Zum Start sollen sich über 50 Fernsehsender über waipu.tv live empfangen lassen, viele davon in HD. Anfang 2017 soll das Angebot auf über 100 Sender steigen.

Die waipu.tv-App ist kostenlos für iOS (ab 8) und Android (ab 4.4) erhältlich; die öffentlich-rechtlichen Sender sind hier in SD verfügbar. Das "Comfort"-Paket enthält öffentlich-rechtliche und Privatsender in SD sowie 10 Stunden Aufnahmespeicher in der Cloud. Es kann im ersten Monat kostenlos getestet werden, danach werden monatlich 4,99 Euro fällig. HD-Sender und Fernsehen unterwegs aus Mobiltelefon sind für 5 Euro zubuchbar. Das "Perfect"-Paket für 14,99 Euro monatlich enthält bereits alle "Top-Sender" in HD-Qualität, sowie einen Aufnahmespeicher in der Cloud von 50 Stunden.

Buchbar sollen die Angebote bundesweit in über 500 mobilcom-debitel-Shops sein, zudem in allen Gravis-Shops. Freenet sieht es als tragende Säule seines neuen TV-Geschäftsfeldes, zu dem auch DVB-T2 gehört.

IPTV soll nach Vorstellung der Exaring nur die erste Nutzungsform für die Glasfaser-Infrastruktur sein. Nach 4K- beziehungsweise 8K-Video will das Startup Cloud Gaming und Virtual Reality ins Visier nehmen. Die dafür notwendige niedrige Latenz weist das Netz laut Exaring bereits auf.

heise online hatte bereits die Möglichkeit, einen kurzen Blick auf waipu.tv zu werfen. Exaring hatte dazu in eine Privatwohnung in Hamburg eingeladen. Das TV-Programm wurde dabei aus einem Rechenzentrum in Karlsruhe in HD auf zwei TVs (jeweils mit Google Chromecast) gestreamt. Das Bild sah einwandfrei aus, digitalen Mehrkanalton gibt es zum Start des Angebots allerdings nicht. Dieser soll aber künftig auch geboten werden.

Das System zeigte sich bei der Demonstration äußerst flink, Eingaben auf dem Smartphone wurden unverzüglich umgesetzt. Auch die Nutzung von Timeshift-Funktionen klappte problemlos. Nun wird sich zeigen müssen, ob sich Anwender tatsächlich für den alltäglichen Gebrauch der Smartphone-Chromecast-Lösung begeistern können.

Update:
Mittlerweile hat sich herausgestellt, dasses sich bei den "Top-Sendern in HD-Qualität" im "Perfect"-Paket für 14,99 Euro monatlich (aktuell) lediglich um öffentlich-rechtliche Kanäle handelt. Welche Sender in den Paketen jeweils enthalten sind, lässt sich auf der offiziellen Website nachlesen.

Update 2 (20:40 Uhr)
Eaxring hat heise online mitgeteilt, dass die Sendeliste des "Perfect"-Pakets nicht in Stein gemeißelt ist. Das Angebot werde innerhalb des 4. Quartals sukzessive auch um HD-Inhalte erweitert. (nij)