Lokalisten und die Crux mit dem Netzwerkeffekt

Mit Lokalisten knickt heute ein weiteres soziales Netzwerk endgültig vor der Übermacht von Facebook ein. Verdrängungseffekte bei Communities müssen allerdings nicht zwangsläufig sein, wie das Beispiel von Xing zeigt.

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Lokalisten.de

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Stefan Mey
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Eine kurze Mail mit dem Betreff "Die lokalisten sagen Servus" erreichte Ende August die letzten verbliebenen Nutzer des Netzwerks: "Unsere traurige Aufgabe ist es, Euch mitzuteilen, dass wir den Betrieb der Online-Plattform lokalisten.de zum 30.09.2016 einstellen werden."

Im Jahr 2005 gegründet, wuchs die Community schnell. 2006 stieg der Fernseh-Konzern ProSiebenSat.1 mit zunächst 30 Prozent ein und erhöhte zwei Jahre später seine Beteiligung auf 90 Prozent. Aus dem einfachen Netzwerk wurde eine bunte Welt aus sozialen Features. Es gab Chaträume und Diskussions-Gruppen, Dating-Features und eingebettete Onlinegames, Bilderstreams auf Profilen und eine spielerische Plattform-Währung.

Zu Hoch-Zeiten in den Jahren 2009 und 2010 hatte Lokalisten monatlich mehr als 2 Millionen aktive User, vor allem aus Bayern. Im September 2011 waren es dann allerdings nur noch 800.000, 2014 nur noch 200.000. Nach den jüngsten verfügbaren Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung (Agof) für Juni 2016 kam das Netzwerk zuletzt auf 50.000 User. ProsiebenSat1-Sprecher Matthias Bohlig sagte, der Konzern konzentriere sich ohnehin auf Bewegtbild-Themen.

Auch andere deutsche Medienkonzerne hatten in aufstrebende soziale Netzwerke investiert, die bald kollabierten. 2007 hatte der Holtzbrinck-Konzern die VZ-Netzwerke aufgekauft. Zu Spitzenzeiten im Jahr 2009 kamen diese auf insgesamt mehr als 15 Millionen aktive User. 2012 verkaufte Holtzbrinck das einst heiße Investment an einen US-Fond. Seitdem dümpeln die VZ-Netzwerke vor sich hin, sie lassen seit 2013 die Nutzungszahlen nicht mehr offiziell messen.

Unglücklich verlief es auch für Wer-kennt-wen, das 2009 von der RTL Group erworben wurde. Die Zahl von 7 Millionen Nutzern ging bald deutlich zurück. Die Fernsehgruppe hatte sich angesichts des weiter drohenden Abstiegs am dünnhäutigsten gezeigt und Wer-kennt-wen im Mai 2014 geschlossen, obwohl es noch 2,6 Millionen aktive User gab.

Die anfangs erfolgreichen Facebook-Konkurrenten wurden alle Opfer des berüchtigen Netzwerkeffekts: Eine Internet-Community ist umso attraktiver für neue Nutzer, je mehr Mitglieder sie hat und je mehr Leute aus dem eigenen Bekannten-, Freundes- oder Kollegenkreis dort auch ein Profil haben. Das führt tendenziell dazu, dass sich früher oder später ein Quasi-Monopolist durchsetzt.

Es gibt allerdings Ausnahmen von der Regel. Das bis heute unabhängige Jappy musste ab 2011 stark Federn lassen, existiert aber weiterhin, mit nach Eigenangaben 450.000 Mitgliedern. Und das Business-Netzwerk Xing, das zum Reich des Zeitschriften-und Digital-Konzerns Burda gehört, hat in Deutschland laut Agof immer noch 6,8 Millionen monatlich aktive Nutzer.

Laut der reinen Lehre des Netzwerkeffekts dürfte es Xing gar nicht mehr geben. Der deutlich größere US-Konkurrent LinkedIn verweist auf 106 Millionen Nutzer in 200 Ländern und ist auch hierzulande aktiv. Trotzdem hält sich Xing wacker und gewinnt sogar immer noch an Usern.

Die wesentlichen Nutzungsszenarien bei beruflichen Netzwerken wie Job- und Mitarbeiter-Suche sind üblicherweise lokaler Natur, meint ein Xing-Sprecher auf Nachfrage. Deswegen konzentriere sich Xing bewusst auf Länder der D-A-CH-Region und verzichte auf eine Expansion. Ein Produkt anzubieten, das global funktionieren und skalieren muss, könnte nur einen kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen, da Nutzungsgewohnheiten, Arbeitsmärkte und Bedürfnisse in jedem Land sehr unterschiedlich ausfallen.

Diese Ausrichtung kann allerdings nicht alles erklären. Zum einen hat das global ausgerichtete LinkedIn mittlerweile auch in Deutschland nennenswerte Nutzerzahlen. Und sowohl Lokalisten als auch Wer-kennt-wen hatten keinerlei Ressourcen auf den Versuch einer internationalen Expansion verschwendet und sind dennoch gescheitert. Der Sprecher zeigt sich mit Verweis auf die Existenz von Xing trotzdem überzeugt: "Es gibt ganz offensichtlich keinen zwangsläufigen Verdrängungseffekt." (anw)