US-Berufungsrichter: Softwarepatente verletzen die Meinungsfreiheit

In einem Streit über Schutzansprüche auf einen Virenscanner hat Berufungsrichter Haldane Mayer Patente auf Computerprogramme scharf kritisiert, da diese ein "perverses Anreizsystem" geschaffen hätten und die Wirtschaft belasteten.

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US-Berufungsrichter: Softwarepatente verletzen die Meinungsfreiheit

Abbildung aus dem Patent 6,073,142

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Das für Patentfragen zuständige US-Berufungsgericht in Washington hat am Freitag drei gewerbliche Schutzansprüche der umstrittenen Lizenzierungsfirma Intellectual Ventures (IV) rund um Virenscanner für E-Mails für nichtig erklärt. Das inzwischen veröffentlichte Urteil sollte an sich kaum erstaunlich sein, nachdem der US Supreme Court vor zwei Jahren im Fall CLS Bank vs. Alice Corp. die Latte für Softwarepatente höher gehängt hatte. Bemerkenswert ist aber die Zusatzerklärung des Richters Haldane Robert Mayer, in der dieser gewerbliche Schutzrechte auf Computerprogramme insgesamt regelrecht verdammt.

In der Auseinandersetzung vor dem "Court of Appeals for the Federal Circuit" (CAFC) ging es um die drei US-Patente 6,460,050, 6,073,142 und 5,987,610, die der von Ex-Microsoft-Manager Nathan Myhrvold gegründete Verwerter gegen die IT-Sicherheitsfirmen Symantec und Trend Micro in Stellung brachte. Die ersten beiden, in denen es um das "Identifizieren von Merkmalen von Dateien" und Methoden und Systeme zur Organisation und Kontrolle intern verteilter E-Mails geht, hatte die vorherige Instanz bereits für zu weit gefasst und ungültig gehalten. Der dritte Anspruch beschreibt ein allgemeines Verfahren, um Viren oder andere schädliche Inhalte aus der E-Post herauszufiltern.

Mayer sieht in derlei Schutzbehauptungen, die in "vager, funktionaler Sprache" daherkämen, einen klaren Verstoß gegen den 1. Verfassungszusatz zur freien Meinungsäußerung. "Die Unterdrückung freier Rede wird nicht dadurch weniger gefährlich, weil sie im digitalen und nicht im physischen Bereich passiert", schreibt der Kadi. Essenzielle Verfassungsrechte würden beschnitten, wenn das US-Patentamt es zulasse, das Internet zu "balkanisieren", indem es Inhabern von Schutzansprüchen das Recht zuspreche, "drückende Steuern auf weit genutzte Kommunikationskanäle zu erheben".

Softwarepatente belasteten die nationale Wirtschaft schwer, holt Mayer weiter aus. Sie "errichten oft unüberwindbare Mauern für Innovationen und zwingen Unternehmen, exorbitante Summen auszugeben, um sich gegen wertlose Verletzungsklagen zu verteidigen". Dabei lasse Software, die auf einem Universalcomputer laufe, generell die "konkreten Grenzen" vermissen, "die das Patentrecht verlangt". Derlei Programme könnten so allgemein nicht gewerblich, dafür aber übers Copyright geschützt werden. Das Urheberrecht lasse Gerichten dabei auch den nötigen Interpretationsspielraum dank der "Fair-Use"-Doktrin, um die Interessen von Firmen mit denen der Allgemeinheit abzuwägen.

In der Regel würden Patente im Softwarebereich schon auf reine Ideen erteilt, erläutert der Richter. Es handle sich also um ein Stadium, das weit von einer konkreten technischen Umsetzung entfernt sei. Dies habe "ein perverses Anreizschema" geschaffen, sich möglichst viel und breit gewerblich schützen zu lassen.

Wer sich frühzeitig ans Patentamt wende, könne die größten finanziellen Dividenden einfahren, moniert Mayer. Dabei seien die Antragsteller in diesem Sektor meist nur mit vagen Vorstellungen über den Einsatz von Computern ausgestattet, um wohlbekannte geschäftliche und gesellschaftliche Praktiken zu automatisieren. Den Schaden hätten die eigentlichen Entwickler rechnerzentrierter Produkte, die mit immensen Verletzungsforderungen "belohnt" würden.

Mayer appelliert daher an seine Kollegen an dem Berufungsgericht, die "Alice"-Entscheidung des Supreme Court endlich als "Todesstoß für Softwarepatente" zu verstehen. Es sei an der Zeit, die eigene "semantische Gymnastik" zu beenden, mit der das Gremium immer noch teils versuche, Software in das Patentwesen einzubeziehen. Es reiche aber eben nicht aus, Computerprogrammen zuzuschreiben, dass sie etwa "spezifische Filtermethoden" aufwiesen, Rechner schneller oder das Internet besser machten.

Mayer wird aber wohl noch weiter Überzeugungsarbeit leisten müssen. So hat die CAFC-Richterin Kara Farnandez Stoll in dem Urteil in einer abweichenden Meinung den "610"-Anspruch auf eine Anti-Viren-Technik als patentwürdig eingeschätzt. (anw)