Wie ernst wird der Spaß?

Machen um des Machens willen – oder Ideen sofort in neue, vermarktungsfähige Produkte ummünzen? Die Maker-Bewegung muss entscheiden, wie viel Profitstreben sie verträgt.

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Von
  • Christoph Seidler

Klar, bestimmt wäre es auch eine Nummer kleiner gegangen. Aber dafür ist Mark Hatch wohl nicht der Typ. Als der kalifornische Manager 2013 ein Buch über eine Gruppe von Menschen veröffentlichte, die den Reiz des Selbermachens für sich entdeckt hatte, sollte es nicht weniger sein als eine Grundsatzschrift. Also schrieb er das „Manifest der Maker-Bewegung“. Drei Jahre später steht ebenjene Bewegung vor der entscheidenden Frage, wie viel Geschäftssinn, wie viel Geld sie eigentlich verträgt. Unternehmen haben das nutzbare Potenzial erkannt – und genau das könnte den Enthusiasmus vieler Anhänger zerstören.

Kaum einer verkörpert diesen Wandel besser als Hatch. Bis vor Kurzem war er Chef der Firma TechShop, die mehr als ein halbes Dutzend sogenannter Selbermach-Zentren in verschiedenen US-Städten betreibt. Bastler finden dort verschiedene Werkzeuge, um ihre Projekte umzusetzen, darunter CNC-Fräsen, Lasercutter, Schweißgeräte und 3D-Drucker. Leute ohne einen Hintergrund in Ingenieurwissenschaften oder Design lernten, ein bestimmtes Werkzeug zu benutzen, sagt Hatch. „Mithilfe von Technik einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft ausüben zu wollen“ – das mache die Maker aus. Gleichzeitig geht Hatch davon aus, dass sich die Maker wenig später, oft zur eigenen Verblüffung, als Firmengründer wiederfinden. Zu diesem Zweck predigte er, nach eigener Auskunft ein Ex-Mitglied der Army-Elitetruppe Green Berets, als Missionar der Maker im Weißen Haus. Er trat auf großen Tech-Konferenzen wie dem South by Southwest (SXSW) auf. „Ich wollte die Bewegung zu einem möglichst frühen Zeitpunkt mitformen“, sagt er heute. Deswegen habe er den Titel auch bewusst gewählt.

Inzwischen ist das Zielt erreicht, auch wenn es natürlich nicht Hatch allein zu verdanken ist: In Europa und Nordamerika ist die Maker-Bewegung über das krude Bastel-Image vom Anfang hinausgewachsen und zur politischen Angelegenheit geworden – weil sie, so hofft man in Politik und Wirtschaft, Verständnis, vielleicht sogar Begeisterung für Wissenschaft und Technik fördern kann. Bundesforschungsministerin Johanna Wanka beispielsweise will die Szene unterstützen. Mit der „Make Light“-Initiative ihres Hauses sollen deutsche Bastler vor allem für die Photonik begeistert werden. In den USA geht das politische Engagement noch weiter: Präsident Barack Obama selbst lud dort zur Bastlermesse ins Weiße Haus. Außerdem startete er die Initiative „Nation of Makers“ und holte 175 Vertreter von Makerspaces in seinen Amtssitz. Im Büro für Wissenschaft und Technologie des Weißen Hauses hat Obama mit Andrew Coy sogar einen „Senior Advisor for Making“ angestellt.

Man hofft auf ein goldenes Zeitalter der Erfindungen. Denn Grundlage der Bewegung sind moderne Fertigungstechniken zusammen mit billigen Kleinstcomputern wie dem Raspberry Pi oder dem Arduino und der dazugehörigen Software. Sie verhelfen Do-it-yourself-Enthusiasten zu ganz neuen Möglichkeiten: Selbermach-Fans können komplexe Produkte ohne professionelle Hilfe entwickeln – und deren Finanzierung und Vertrieb über das Netz organisieren.

Früher galt: Die Mitarbeiter der Forschungsabteilungen etablierter Unternehmen entwickeln Produkte. Vertriebsabteilungen drücken sie dann über bestehende Kanäle in den Markt. Heute dagegen wird in TechShops, Fablabs, Hacker- und Makerspaces weitgehend ohne Beteiligung großer Konzerne getüftelt. Der Weg für praktische Ideen ist im 21. Jahrhundert nicht mehr vorgezeichnet. Selbst kleine Anbieter können mit innovativen Produkten gutes Geld verdienen, weil sie denken, schnell umsetzen, schnell verkaufen können.

Entsprechend groß ist die Furcht vieler Firmen, ohne die Kreativität aus Garagenlaboren und Hobbykellern den Anschluss zu verlieren – weil ihre Strukturen zu verkrustet, ihre Prozesse zu langsam sind. So suchen sie händeringend nach neuen Ideen. Es gibt natürlich die Möglichkeit, erfolgreiche Start-ups einfach zu schlucken. Dem New Yorker 3D-Druck-Pionier Makerbot ist es so ergangen. Er wurde vier Jahre nach der Gründung vom Profianbieter Stratasys übernommen. Große Unternehmen können aber auch von den Bastlern lernen – und zum Beispiel die eigenen Entwicklungsabteilungen mit Maker-Hardware wie dem Raspberry Pi herumprobieren lassen.

Oder sie können zu Hackathons einladen. Das Konzept kommt ursprünglich aus der Softwareentwicklung, ist aber längst darüber hinausgewachsen: Kleine Teams, bestehend aus eigenen Mitarbeitern oder aus interessierten Außenstehenden, werden für 24 oder 48 Stunden auf ein bestimmtes Problem angesetzt. Bei Pizza und Mate lässt man sie tüfteln, in der Hoffnung auf unkonventionelle Ideen und neue Produkte.

Ein Heer von Dienstleistern hat sich darauf spezialisiert, größere Unternehmen und Maker zusammenzubringen.

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

Seite 68 - Trend: Die Maker-Bewegung professionalisiert sich

Seite 72 - Interview: Die Pädagogin Sandra Schön über den Lerngewinn beim Machen

Seite 74 - Kommentar: Warum der US-Unternehmer Kyle Wiens für das Recht auf Reparatur kämpft

Seite 76 - Firmenporträt: Der unverhoffte Erfolg des Lasercutter-Herstellers Mr Beam

Seite 78 - Werkschau: Skurrile Erfindungen aus den Laboren der Bastler

Seite 80 - Robotik: Wie technische Rohrkrepierer die Kreativität anregen

(wst)