Gutachter: ARD und ZDF müssen sich fürs "Cloud-TV" wappnen

Die öffentlich-rechtlichen Sender sollten ihre Mediatheken ausbauen und zu echten Online-Plattformen werden. Die 7-Tage-Frist für die Depublikation online bereitgestellter Inhalte sei im Netflix-Zeitalter nicht mehr zeitgemäß.

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Mediatheken von ARD und ZDF

(Bild: dpa, Rolf Vennenbernd/Archiv/Symbol)

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Die Rechtsprofessoren Dieter Dörr, Bernd Holznagel und Arnold Picot sehen die Öffentlich-Rechtlichen durch die Digitalisierung vor große Herausforderungen gestellt. ARD und ZDF müssten ihre Online-Angebote deutlich ausbauen und als eigenständige Plattformen zu Anlaufpunkten im Web werden, schreiben die Juristen in einem Gutachten für den ZDF-Fernsehrat. Sonst könnten sie neuen Streaming-Anbietern wie Netflix, Amazon Video oder YouTube kaum mehr Paroli bieten.

Den Wissenschaftlern zufolge befindet sich das Fernsehen im Übergang zum "Cloud-TV". Dieses vereine das klassische lineare Programm aus der Flimmerkiste mit Video on Demand und anderen Online-Diensten bis hin zu Social-Media-Plattformen. Dieses Bündel werde über verschiedene Verteilmedien auf eine Vielzahl von Endgeräten verbreitet. Dazu kämen Empfehlungs- und Personalisierungsmöglichkeiten auf Basis von Big-Data-Analysen.

Der im Grundgesetz verankerte Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, zur Meinungsbildung und Integration der Gesellschaft beizutragen, besteht nach Ansicht der Gutachter auch in der schönen neuen Fernsehwelt aus der Cloud unverändert fort. Mit Blick auf die Unübersichtlichkeit von Informationen im Netz und zunehmenden Filterblasen, der anhaltenden Meinungsrelevanz von Bewegtbildangeboten und den besonderen ökonomischen Eigenschaften, denen TV auch im Netz unterliege, sei ein politisch und wirtschaftlich unabhängiger Rundfunk gar essenziell.

Die Politik muss laut den Gutachtern aber rundfunkrechtliche Vorgaben an den veränderten technischen Rahmen anpassen, damit die Öffentlich-Rechtlichen ihre Mission weiter erfüllen können. Größter Stein des Anstoßes: die aktuelle 7-Tage-Frist für Mediatheken, nach der Inhalte aus dem Netz entfernt werden müssen. Die Forscher konstatieren: "Es ist den Zahlern des Rundfunkbeitrags nicht zu vermitteln", warum die mit ihren Geldern produzierten Sendungen nicht unabhängig vom Sendetermin der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen sollten und weshalb die gebührenfinanzierten Sender ihre Archive nicht – ähnlich wie öffentliche Bibliotheken – weiter zugänglich und nutzbar machten.

Bei linearen Inhalten dürfe daher die Verweildauer des audiovisuellen Angebots "nicht mehr starr festgelegt werden", fordern die Autoren. Eine solche Regel sei europarechtlich nicht vorgegeben und "angesichts des Bedeutungsgewinns von Onlineangeboten nicht mehr zeitgemäß". Die Abrufzeit sollte daher "flexibel auf den jeweiligen Auftrag des Dienstes abgestimmt werden".

So werde im aktuellen Rundfunk-Staatsvertrag bereits eine Lockerung der "Depublikationspflicht" vorgesehen, führen die Experten aus. Zumindest die Verweildauer der Inhalte des Jugendangebots sei demnach so zu bemessen, dass sie "die Lebenswirklichkeit und die Interessen junger Menschen abbilden und die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der jeweils zur Zielgruppe gehörenden Generation erfüllen" könne. Auch angekaufte Spielfilme und Serienfolgen müssten in Mediatheken einfließen dürfen, verlangen die Forscher. Nach BBC-Vorbild sollte die Frist hier aber maximal 30 Tage betragen.

Die Professoren plädieren ferner dafür, Beiträge der Öffentlich-Rechtlichen mit anderen, für den politischen und kulturellen Diskurs wichtigen Angeboten wie denen von Museen oder Wissenschafts- und Kultureinrichtungen zusammenzuführen. Dahinter stehe der oft zu hörende Wunsch, "einen nationalen öffentlichen Kommunikationsraum, einen Public Open Space, herzustellen". Auf diese Weise könnten die gebündelten Inhalte für die Zielgruppen leichter auffindbar sein und auch in journalistisch-redaktionell neuer Weise aufbereitet werden. Die kulturelle Verantwortung lege so einen Ansatz durchaus nahe, es müsse aber ein klar definierter Auftrag nebst Finanzrahmen bestehen.

Zudem sollte es laut der Analyse möglich sein, spezielle Angebote extra für das Netz herzustellen. Dabei müssten mehr Möglichkeiten zum interaktiven Austausch und zur Beteiligung des Publikums an Diskussionen eingebaut werden.

ZDF-Intendant Thomas Bellut wertete das Gutachten als eine "wichtige Grundlage" für die weitere Arbeit des Zweiten, nachdem Insidern zufolge nicht alle Mitglieder des Fernsehrats mit allen Aspekten der Studie glücklich waren und eine Kompromissformulierung gefunden werden musste. Die Medienexpertin der Grünen im Bundestag, Tabea Rößler, betonte: "Das Gutachten und seine Thesen geben viele Anstöße. Es verdient daher eine intensive öffentliche Diskussion und eine baldige Reaktion der verantwortlichen Bundesländer." (jk)