Verräterische soziale Medien

Die Kooperation von Facebook, Twitter und Instagram mit einem Überwachungsdienstleister hat für Aufregung gesorgt. Letztlich liegt das Problem der zunehmenden Transparenz jedoch bei den Nutzern selbst.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Jamie Condliffe
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Laut einer Analyse der American Civil Liberties Union haben Facebook, Twitter und Instagram Daten geliefert, mit denen Angehörige von Minderheiten in den Städten Ferguson und Baltimore überwacht wurden. Doch wenn wir unsere Nutzung von sozialen Medien nicht überdenken, wird derartige Schnüffelei allgemein unvermeidlich.

Wie die Untersuchung zeigt, haben die Social-Media-Anbieter Daten aus öffentlichen Beiträgen gesammelt und einem Unternehmen namens Geofeedia zur Verfügung gestellt. Bei Instagram konnte Geofeedia mit Hilfe einer API alle öffentlichen Beiträge samt Ortsdaten sehen. Facebook gab dem Unternehmen Zugriff auf seine so genannte Topic Feed API, die sortierte Streams von öffentlichen Beiträgen zu bestimmten Themen liefert. Und Twitter machte seine durchsuchbare Datenbank öffentlicher Nachrichten zugänglich.

Geofeedia ist dafür bekannt geworden, dass es derartige digitale Inhalte analysiert und in aufbereiteter Form Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellt; nach eigenen Angaben hat das Unternehmen mindestens 500 Kunden. Auch farbige Aktivisten scheint es ins Visier genommen zu haben: In E-Mails an einen potenziellen Kunden bei der Polizei brüstete sich ein Geofeedia-Vertreter damit, "landesweit Ferguson/Mike Brown mit großem Erfolg" beobachtet zu haben.

Nicole Ozer von der ACLU bezeichnete dies in einem Gespräch mit der Washington Post als unakzeptabel. "Diese Plattformen müssen mehr dafür tun, das Recht auf freie Meinungsäußerung von farbigen Aktivisten zu schützen, und damit aufhören, ihre Überwachung durch die Polizei zu unterstützen. Es kann nicht sein, dass die ACLU Facebook oder Twitter sagen muss, was ihre Entwickler treiben. Diese Unternehmen müssen klare öffentliche Richtlinien und robuste Überprüfungsprozesse etablieren, die sicherstellen, dass ihre Plattformen nicht für diskriminierende Überwachung genutzt werden", sagte sie.

Inzwischen haben alle drei betroffenen Unternehmen die Datenlieferung an Geofeedia eingestellt oder zumindest modifiziert. Besonders beunruhigend an dem Bericht aber ist, dass ein Großteil der Daten ohnehin öffentlich ist und zumindest theoretisch auch weiterhin für Geofeedia zugänglich wäre – dafür wäre nur etwas mehr Aufwand und eine Verletzung der Nutzungsbedingungen nötig. Wenn diese Daten gebraucht werden, sind sie jedenfalls verfügbar, und sicherlich wird es Gruppen geben, die sich von Verboten nicht abschrecken lassen.

Insofern ist die Nachricht eine Erinnerung daran, wie wir alle eine Überwachungsgesellschaft möglich machen – einfach indem wir entscheiden, soziale Netzwerke zu benutzen. Natürlich ist digitale Schnüffelei ein Problem, das schon seit dem Beginn der Digitalisierung des Lebens besteht. Doch je mehr Menschen online über ihren Alltag berichten, desto einfacher wird es, die ganze Welt im Auge zu behalten.

Es gibt durchaus Lösungen für dieses Problem. Eine liegt darin, Konten bei sozialen Netzen geschlossen zu halten, so dass nicht jeder mitlesen kann; außerdem müsste man dafür sorgen, dass auch die Betreiber die Informationen nicht weitergeben. Das allerdings mag für Facebook realistisch sein, weil die dortigen Nutzer ihre betrunkenen Party-Schnappschüsse ohnehin nicht jedem zeigen wollen. Bei Twitter aber ist es schwieriger, denn der offene Charakter dieses Dienstes macht einen Teil seines Nutzens aus.

Besser wäre es deshalb vielleicht, uns die sozialen Medien wieder abzugewöhnen. Wenn das auch nur zum Teil gelänge, würden sie für Schnüffelei schon weniger nützlich. Genau das hat sich der frühere Google-Mitarbeiter Tristan Harris vorgenommen, wenn auch nicht aus Datenschutz-Gründen: Wie er The Atlantic erzählte, möchte er allgemein das Suchtpotenzial von Smartphones verringern. Dabei sollen neue Standards und sogar ein hippokratischer Eid für Entwickler helfen – und auch das könnte dazu beitragen, dass wir weniger abhängig von sozialen Medien werden.

(sma)