Robophilosophie: Roboter, Phronesis und Fragezeichen im Kopf

Prothesen können mit Scham oder Stolz getragen werden – die Perspektive entscheidet. Inwieweit kann künstliche Intelligenz der menschlichen ähnlich sein, sie ergänzen oder übertreffen? Manch kluge Fragen zur Klugheit bleiben noch unbeantwortet.

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Robophilosophie: Roboter, Phronesis und Fragezeichen im Kopf

ARM Team Imperial

(Bild: Cybathlon / ETH Zürich / Alessandro Della Bella)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Wenn eine gestandene Philosophin abends beim Bier leichthin einräumt, einen philosophischen Begriff selbst gerade zum ersten Mal gehört zu haben, ist das für den fachlich weniger vorgebildeten Besucher der internationalen Konferenz Robo-Philosophy in Aarhus eine Erleichterung. Man ist also nicht der einzige, bei dem die Rede von der „Phronesis“ zunächst einmal nur ein großes Fragezeichen im Kopf hinterlassen hat.

Dabei geht es um keine Kleinigkeit: Immerhin soll Phronesis, das die deutsche Wikipedia mit Klugheit übersetzt, die menschliche Einzigartigkeit vor der Bedrohung durch künstliche Intelligenz retten. Viele philosophische Debatten drehen sich derzeit um die Frage, ob Computer oder Roboter jemals in der Lage sein könnten, diese Form praktischer Weisheit zu erlangen, die es Menschen erlaubt, einer Situation angemessen zu handeln.

Mensch gegen KI

John P. Sullins (Sonoma State University), der das Konzept in einem Plenarvortrag vorstellte, bezog sich auf Aristoteles, der bereits erkannt hatte, dass sich diese Fähigkeit nicht logisch herleiten lasse, sondern so etwas wie künstlerische Improvisation erfordere. Andererseits sei sie unabdingbare Voraussetzung dafür, die in jüngster Zeit vom Europaparlament und dem Weißen Haus formulierten Forderungen nach ethisch handelnden Robotern zu erfüllen. Ohne Phronesis, so Sullins, könne es keine tieferen Beziehungen zwischen Menschen und Robotern geben.

Er erläuterte die Komplexität des Problems am Beispiel des Brettspiels Go, das in diesem Jahr erstmals von einem Computer gegen den weltbesten menschlichen Spieler gewonnen wurde. Das von Google DeepMind entwickelte System AlphaGo verstehe nicht die Bedeutung seines Sieges, sagte Sullins. Er bezog sich dabei auf den japanischen Schriftsteller Yasunari Kawabata, der in seinem Buch „The Mastor of Go“ bereits im Jahr 1954 beklagt hatte, wie das Spiel seine Schönheit und Würde verloren habe und es nur noch ums Gewinnen ginge.

Sullins unterschied drei Ebenen, auf denen das Go-Spiel verlaufe: die technische, psychologische und soziale. AlphaGo habe nur auf der untersten Ebene, der technischen, gewonnen, die Beziehung zum Mitspieler und zu den Zuschauern aber vollkommen ignoriert.

Ist ein Roboter oder Computersystem denkbar, das auch im umfassenden Sinn die Meisterschaft von Go erlangen kann? Sullins ließ es offen, ob Phronesis algorithmisch darstellbar sei, was von vielen Philosophen verneint wird. Überzeugende Argumente, warum das prinzipiell unmöglich sein sollte, waren weder von ihm noch von anderen Teilnehmern bislang zu hören.

Vieles bleibt auf der Ebene von Behauptungen oder baut auf schwer fassbare Begriffe. So erklärte Selmer Bringsjord, dass Roboter kein phänomenales Bewusstsein hätten, weswegen bei ihnen nur eine beschränkte Phronesis möglich wäre, die er Zombie-Phronesis oder z-Phronesis nannte. Auf Nachfrage konnte er den Begriff phänomenales Bewusstsein aber nicht näher definieren, außer dass sich einige Elemente davon nicht in der Perspektive einer dritten Person formalisieren ließen.

Roboterhände ertasten in einem Kunstprojekt Menschen

(Bild: art.aau.dk )

Einig waren sich Sullins und Bringsjord allerdings darin, dass es unverantwortlich und gefährlich wäre, Roboter, die autonom, physisch leistungsfähig und intelligent sind, nur nach und nach ein Verständnis von Ethik entwickeln zu lassen.

Ist das Fragezeichen im Kopf jetzt kleiner geworden? Schwer zu sagen. Letztlich ist es ja die Aufgabe von Philosophen, Fragen zu stellen. Die Antworten müssen im gesellschaftlichen Diskurs gefunden werden. Dabei werfen Roboter die Menschen immer wieder auf sich selbst zurück.

So brachte die Anthropologin Jennifer Robertson (University of Michigan) beeindruckende Beispiele, wie sich in Japan Prothesen und andere robotische Hilfsmittel für Behinderte am Ideal des gesunden und vollständigen Körpers orientieren. Während japanische Firmen stolz ihre Produkte anpriesen, werde der Anblick von Behinderten noch immer als peinlich empfunden, weswegen es häufig separate Eingänge für sie gebe.

Sportlerinnen wie Maya Nakanishi, die sich stolz mit ihrer Prothese fotografieren ließ, oder Jo-Jo Cranfield, die bewusst eine ausgefallene Armprothese mit einer Schlangenskulptur wählte, seien Ausnahmen, ebenso der Forscher Yamanaka Shunji, der an der University of Tokyo auffällige Prothesen entwickelt.

Ebenso bemerkenswert wie verstörend war auch die Gegenüberstellung eines PR-Fotos der japanischen Firma Cyberdyne, auf dem gesunde Männer das Exoskelett HAL vorführen, mit dem Bild eines Behinderten mit Exoskelett beim kürzlich in Zürich veranstalteten Cybathlon. Robertson mahnte, bei der Integration von Behinderten in die Gesellschaft nicht zu sehr auf die äußere Erscheinung zu achten. Die Funktionalität sei wichtiger.

EXO Team SG Mechatronics

(Bild: Cybathlon/ ETH Zürich / Alessandro Della Bella)

Erfahrungen in Ländern, die unter Gewalt und Krieg leiden, zeigten, dass Menschen mit unvollständigen Körpern dort leichter integriert würden. Ein Teilnehmer unterstrich Robertsons Ausführungen in der anschließenden Diskussion mit dem Hinweis auf Gehörlose. Die hätten eine eigene Kommunikationskultur entwickelt, die sie häufig bewahren wollten, statt sich an die Welt der Hörenden anzupassen.

Dazu passen die Forschungen von Elizabeth Jochum (Aalborg University), die die wortlose Interaktion von Mensch und Roboter untersucht. Die neuen Projekte befänden sich noch am Anfang, sagte sie, aber die Videos, die sie von früheren Installationen zeigte, waren vielversprechend: Da waren Roboterhände zu sehen, die Gesichter von Menschen und deren Hände ertasteten, und Roboter, die in einem Museum Menschen zum Tanzen animierten. Das ist auch eine Methode und vielleicht nicht die schlechteste, um mit den Fragezeichen im Kopf umzugehen: Pirouetten drehen und sie dabei einfach herausschleudern. (kbe)