ICANN und die Leidenschaft der Cyberdemokraten

Die Auseinandersetzungen, wie viel Einfluss die Internet-Nutzer und ICANN-Mitglieder auf die Politik der Internet-Verwaltung haben sollen, wogen hoch.

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Von
  • Monika Ermert

Woher kommt sie bloß, die Leidenschaft, mit der Menschen rund um die Welt reisen, um sich in teuren Hotels hinter wackelige Mikrofone zu stellen und anderen Menschen ihr Verständnis von der bestmöglichen Organisation im Cyberspace zu Gehör zu bringen? Alan McCluskey, Herausgeber von Connected, stellte diese Frage den Teilnehmern der zweitägigen Tagung des ICANN-Studienkreises in Zürich. Gut 150 Teilnehmer kamen zu der von der Schweizer Registrierungsstelle Switch, der Leipziger Netcom, der .de-Registrierungsstelle DENIC und der Bertelsmann-Stiftung veranstalteten Tagung zum Namensraum und dem Streit darum.

McCluskey, selbst Aktivist der DNS-Wars Mitte der 90er-Jahre, gab selbst die Antwort auf die "Leidenschafts"-Frage: "Wir sind nicht zufrieden damit, uns einfach von den Leuten vertreten zu lassen, die wir gewählt haben." Auch wenn McCluskey nicht so weit ging wie Andy Müller-Maguhn, der davon sprach, dass für manche Netizens "Regierungen evolutionär überholt" seien, sieht McCluskey den Grund für die ICANN-Leidenschaft genau darin. "Politik muss wieder viel stärker in den Alltag der Menschen integriert werden", meinte McCluskey. Dafür biete die Internet- und Namensraum-Verwaltung ICANN und hier vor allem die At-large-Idee (die ICANN-Mitgliedschaft der Internet-Nutzer) ein wunderbares Forum. Und weil Kommunikation nicht das gleiche sei wie die Wasserversorgung, sei eine breite Beteiligung auch durchaus angebracht, urteilte der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss. Zudem, meinte Andy Müller-Maguhn, führe man auch bei infrastrukturpolitischen Entscheidungen durchaus nicht nur technische Diskussionen, wie der Ausstieg aus der Kernenergie zeige. "Ähnlich kann ich mir auch den Ausstieg aus der Unix-Technologie bis 2020 in den nächsten Jahren durchaus mal in einem Parteiprogramm vorstellen", lästerte Müller-Maguhn: "Wenn man die Sicherheitsrisiken bedenkt..."

Die ICANN ist sich aber alles andere als sicher, ob nun gerade sie die Plattform für Debatten von Mitbestimmungsfans aus aller Welt sein will. "Was gibt es in ICANN noch zu diskutieren, wenn die neuen Top Level Domains eingeführt und ICANNs organisatorische Fragen gelöst sind?", fragte ICANN-Direktor Hans Kraajienbrink. Trotz seiner Mahnung, ICANNs Mandat nicht auf soziale oder gar moralische Fragen auszuweiten, anerkannte der als "Sesselkleber" beschimpfte Kraaijenbrink eine Teilhabe durch At-large-Mitglieder.

Andrew McLaughlin, bei der ICANN für die Organisation der Direktoren-Wahlen durch die At-large-Mitglieder der ICANN im vergangenen Herbst verantwortlich, meinte allerdings: "Ich beurteile At-large nicht so als Erfolg wie Hans Kraaijenbrink." Er sehe die At-large-Mitgliedschaft inzwischen kritischer und verwies zur Begründung auf die Probleme der Manipulation der vergleichsweise immer noch geringen Wählerschaft und der aufgetretenen Ungleichgewichte bei der Repräsentanz der verschiedenen geographischen Regionen. "Wesentlich finde ich die Frage, ob die Nutzer aktiv oder passiv repräsentiert sein sollten."

Wie in Zukunft die Endnutzer innerhalb der ICANN vertreten sein sollen, will die ICANN in einer Studie bis Ende des Jahres klären lassen. Dazu hat sie kürzlich den viel beschäftigten UN-Kosovo-Botschafter Carl Bildt zum Vorsitzenden eines Studienkomitees berufen. Bildt und die außerdem vom ICANN-Vorstand ausgewählten Charles Costello und Pindar Wong sollen nun ein bis zu neunköpfiges Studienkommittee zusammenrufen, das selbst allerdings eher Projektstudien in aller Welt anregen und sammeln soll.

Bildt bekam aus Zürich denn auch gleich Post von NAIS, der "NGO and Academic ICANN Study", einer internationalen Forschergruppe, die sich selbst um die Evaluierung der Wahl und die Vorstellungen der At-large-Mitglieder kümmern wollen. Anders als bei der von ICANN erhobenen Forderung nach einer von bisherigen Entscheidungen zur At-large-Mitgliedschaft unabhängigen Evaluierung, dürfte bei NAIS klar die Erhaltung der At-Large-Repräsentanz forschungsleitendes Interesse sein. Die Clean-Sheet-Study widerspreche ganz grundsätzlich den Interessen der At-Large-Mitgliedschaft, sagte die Berliner Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann, eine der NAIS-Forscherinnen.

Die Forschergruppe möchte nun Zugang zu den Datensätzen der Registrierungs- und Wahlserver. "Ein Datenbankexperte wird für uns Datensätze erstellen, die wir dann auf der ICANN-Seite veröffentlichen, sodass alle Interessierten Zugriff haben", sagte McLaughlin am Rande der Veranstaltung. Einen Bericht von Election.com erwarte man ebenfalls; die US-Firma hatte die technische Seite der Wahlen durchgeführt. Bisher hatte die ICANN unter Hinweis auf den Datenschutz keine Daten herausgegeben. Und auch jetzt soll jede Identifizierbarkeit der Nutzer vermieden werden, betonte McLaughlin. Für etwaige qualitative Nutzerstudien werden NAIS und andere Forscher wohl selbst noch einmal auf die Mobilisierung der Wähler zurückgreifen müssen. ICANN-Mitglieder übrigens gibt es derzeit gar nicht mehr. "Drei Monate nach der Wahl erlischt die Mitgliedschaft", erklärte McLaughlin. "Das war eine einmalige Sache. Bei einer neuen Wahl muss man sich neu registrieren." Monika Ermert) / (jk)