Ethno-Portale im Internet
Neben Internetportalen fĂĽr Hausfrauen, Heimwerker oder Hamburger entdecken immer mehr Startups den Markt, der sich ihnen bei jungen Immigranten auftut.
Das Internet scheint grenzenlos. Doch es gibt eine unerbittliche Ordnungsmacht: die Top-Level-Domains, die Endungen also, die jede Internetadresse benötigt, um den Bereich zu identifizieren, aus dem die Webseite kommt. Meist verbergen sich hinter den Kürzeln nach dem letzten Punkt Ländernamen, von ".ad" für Andorra über ".np" für Nepal bis ".zw" für Simbabwe. Der Surfer weiß bei seiner virtuellen Weltreise also immer genau, wo er sich befindet: bei der Endung ".de" in Deutschland. Doch bei einer Adresse wie avrupali.de gibt es eine Überraschung: Der Browser zögert, der Mensch am Computer reibt sich verwundert die Augen, ein Web-Angebot in türkischer Sprache baut sich auf seinem Bildschirm auf.
Neben Internetportalen für Hausfrauen, Heimwerker oder Hamburger entdecken immer mehr Startup-Unternehmen den neuen Markt, der sich ihnen bei jungen Menschen nichtdeutscher Abstammung auftut. Die 2,5 Millionen Türken, die nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden in Deutschland leben, sind darunter die weitaus größte ethnische Gruppe, ihr Haushaltseinkommen sei dabei mit dem der Deutschen vergleichbar, so Andreas Welsch, Geschäftsführer der ARBOmedia.net AG in Langen. "Damit sind die Türken eine Zielgruppe, an der kein Unternehmen vorbeikommt."
Insbesondere die jungen Türken der dritten Generation gelten den Experten als konsumfreudig, an Werbung interessiert und markenbewusst. Das trifft sich gut, denn wer im Internet erfolgreich sein will, braucht Geld, viel Geld, und das ist im Netz eben über Werbung zu bekommen. Mittlerweile finden sich in großen Städten wie Berlin nicht nur Hinweisschilder auf Türkisch, sondern auch Reklame von großen Unternehmen wie Daimler-Chrysler und der Telekom.
"Immer mehr Werbetreibende versuchen bestimmte Zielgruppen mit kleinen Kampagnen an Stelle einer großen Massenkampagne zu erreichen", so Welsch. Um das kostengünstig umzusetzen, bietet ihnen das Internet das passende Medium. Dass dieses Konzept aufgeht, zeigt das Beispiel Vaybee: Anfang Mai im weltweiten Netz an den Start gegangen, registrierten die drei Brüder Akgün, Hasim und Tamer Kulmac aus Köln mit ihrem Schwager Ufuk Senay eigenen Angaben zufolge rund 1,5 Millionen Seitenzugriffe und 17.000 eingetragene Mitglieder bei ihrem Ethno-Portal.
Um ein professionelles Internet-Angebot auf die Beine stellen zu können, ist Geld nötig. Eine Risikokapitalgesellschaft aus Frankfurt hat das Trio mit fünf Milionen Mark Startkapital ausgestattet. Zwar haben die Gründer fest an ihr Projekt geglaubt, sind von dem großen Erfolg dennoch überrascht: "Wow!" mag man deshalb ausrufen, und genau das bedeutet das türkische "Vaybee".
Den Nutzern von "Vaybee" werden Nachrichten, Chats, Foren und Gewinnspiele geboten, ergänzt durch eigene redaktionelle Beiträge des 20-köpfigen Teams. So macht sich "D.Ercan-Bozay" Gedanken um die Debatte zur deutschen Leitkultur. In einer Rubrik stellt sich jede Woche ein Mitglied vor, wie Sirinayada. Über ihre Erfahrungen in fünf Monaten bei Vaybee sagt sie: "Am Anfang war ich nur neugierig und hatte lediglich Interesse dafür, um meine Zeit zu vertreiben. Danach habe ich im Chat viele gute Freundschaften geknüpft."
Das scheint den Vaybee-Mitgliedern ganz gut zu glücken, denn Ende Oktober wurde bereits die erste – natürlich türkische – Hochzeit innerhalb der Vaybee-Gemeinde gefeiert. Im Forum "türkischer Lifestyle" kann man dem Lebensgefühl junger Türken auf die Spur kommen. So meint Lazgizi, "die Lockerheit und der Tick von Charme fehlt einem hier in Deutschland", wobei Levmonc zugibt, dass er "mit Deutschen persönlich wenig zu tun hat."
Sportbegeisterte erfahren, dass die "fußballerische Entwicklung im Osten der Türkei" zufrieden stellend verläuft, und auch für Filmfreunde gibt es Informationen: Handan Cetinkaya von Vaybee ist überzeugt, "dass die dritte Generation der Einwanderer natürlich an den neuen Kinofilmen interessiert ist, die in Deutschland laufen, aber genauso an dem, was in der Türkei passiert, welches Buch, welche Platte wurde veröffentlicht, welche politischen Dinge sind geschehen."
Seit Juni 2000 ist das Portal Turkdunya.de online, das auch unter http://www.avrupali.de zu erreichen ist. Die drei GrĂĽnder um Bekir Eyiengin in Hamburg haben selbst ohne Risikokapital schon ein beachtliches Angebot ins Netz gestellt, das bislang nach eigenen Angaben drei Millionen Mal aufgerufen wurde. Das Portal, ĂĽbersetzt heiĂźt es "tĂĽrkische Welt", gliedert sich Eyiengin zufolge "in einen deutschen und einen tĂĽrkischen Teil, die sich deutlich unterscheiden." Nur auf TĂĽrkisch gibt es etwa eine Rechtsberatung, Satire und Gedichte.
Auf den deutschsprachigen Seiten lässt sich einiges über das Land am Bosporus nachlesen, denn "die Seite soll eine Brücke aus Informationen schaffen, über die man die Türkei erkunden kann. "Einzig der Klick auf die "türkische Küche" funktioniert noch nicht. Doch dem Gourmet hilft ein Blick ins Forum, wo beispielsweise "Kleopatra" ihr Rezept der Vorspeise Ali Nazik vorstellt - und um einen Tausch von Kochanleitungen bittet.
Den Erfolg der Ethno-Portale führt Eyiengin darauf zurück, dass "es mittlerweile eine dritte Kultur der Deutsch-Türken zwischen den beiden Ländern" gibt." Im grenzenlosen Internet findet sich diese wieder – und schafft sich ein Stück Heimat in der virtuellen Welt. (Ralf Strauss, gms) / (wst)