Immer mehr studieren online
Das Hochschulstudium wird virtuell - nicht nur an der FernUniversität Hagen.
Vielen Studenten kommt das sicher entgegen: Morgens nicht mehr früh aufstehen müssen, um sich in die Vorlesung zu quälen, statt Seminare einen Chatroom besuchen, und bei Problemen mit der Hausarbeit einfach schnell per E-Mail den Professor um Hilfe bitten. Die Grundidee der virtuellen Uni wird in Hagen längst praktiziert: An der FernUniversität kann man studieren, auch wenn man zum Beispiel in Flensburg, Dresden oder Passau wohnt. "Wir haben derzeit rund 59.000 Studenten, 80 Prozent davon sind berufstätig", sagt Gerd Dapprich, Pressereferent der Fernuni. "Und 14.000 haben inzwischen einen Online-Zugang zu unserer virtuellen Universität."
"Bei uns kann man etwa den Bachelor-Studiengang Informatik komplett online studieren." Im kommenden Wintersemester 2000/2001 wird es solche virtuellen Angebote auch für die Fächer Mathematik sowie Informations- und Kommunikationstechnik geben. Sogar Fachbereiche wie Rechts- oder Erziehungswissenschaften bieten bereits Inhalte online an. "Wir haben eine virtuelle Universität mit allen Funktionen einer Hochschule konzipiert und setzen das jetzt Schritt für Schritt um", sagt Dapprich. Irgendwann sollen alle Fächer online studiert werden können.
"Bei unseren virtuellen Seminaren sitzen die Studenten im ganzen Land verstreut", sagt Anke Biedebach vom Institut für Praktische Informatik der Fernuniversität. "Diskutiert wird in den Newsgroups, da ist schon einiges los. Ständig gehen auch E-Mails hin und her. Seminararbeiten werden in HTML geschrieben und auf einen Server gestellt." Per Datenleitung sind die Studenten auch mit der Bibliothek in Hagen verbunden. "Viele Fachzeitschriften sind ja schon im Internet", erklärt Biedebach. Bücher werden online per Fernleihe bestellt.
Aber nicht nur an der FernUniversität wird online studiert. Unterstützt mit Bundesmitteln hat sich ein Dutzend Fachhochschulen verschiedener Bundesländer zum Projekt Virtuelle Fachhochschule zusammengeschlossen, darunter die FH Lübeck. "Im vergangenen Sommersemester haben wir eine erste Pilotphase durchgeführt, um zu sehen, ob die Technik funktioniert", sagt Marion Bruhn-Suhr, Mitarbeiterin der Online-FH. Und es hat geklappt: Jetzt im Wintersemester läuft die Pilotphase zwei, an der auch Studenten teilnehmen, die nicht in Lübeck vor Ort studieren.
Und das ist erst der Anfang: Im Wintersemester 2001/2002 soll der Startschuss für den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen fallen. Wenn möglich wird zum gleichen Termin auch Medieninformatik online angeboten. Gedacht ist das nicht für den typischen Studenten, der nach dem Abitur an die Uni möchte, sondern für "Berufstätige irgendwo in der Republik oder sogar weltweit", sagt Bruhn-Suhr. Dass es nicht ausreicht, Skripte ins Netz zu stellen, ist den Organisatoren klar: "Gearbeitet wird nicht nur mit Texten. Auch Ton und Video werden eingesetzt. Und wir setzen auf Web-basiertes Lernen, das interaktiv sein soll."
In Niedersachsen haben sich die Universitäten Hannover, Osnabrück und Hildesheim zum Projektverbund "Virtueller Campus" zusammengetan. Hildesheim hat zwar gerade mal 5.500 Studenten, aber dennoch gute Chancen, in der Online-Uni-Landschaft eine ernst zu nehmende Rolle zu spielen. "Wir bieten bereits weitgehend online den Studiengang Organization Studies an, ein Aufbaustudium vor allem für Führungskräfte", sagt Uni-Mitarbeiter Herbert Asselmeyer.
Pro Jahrgang werden für das Online-Fach nur 20 Studenten zugelassen. "Das Interesse ist riesengroß", so Asselmeyer. "Wir haben ein Mehrfaches an Bewerbern." Ein Zuwachs an Teilnehmern würde zu Lasten der Betreuung gehen, fürchten die Hildesheimer, denn der Aufwand sei groß. Die Kosten liegen über den üblichen Semestergebühren: Wer das viersemestrige Studium mit dem Master abschließen will, muss insgesamt 14.000 Mark investieren. Die Universität Hildesheim plant, die Angebote im Online-Bereich kontinuierlich auszubauen. Auch Sozialwissenschaftler und Theologen beteiligen sich an der nächsten Phase.
Völlig im Cyberspace aufgehen werden die Universitäten wohl kaum. "Ohne persönliche Betreuung geht es nicht", sagt Gerd Dapprich von der Fernuni Hagen. "Ein Studium ohne soziale Kontakte ist schwer vorstellbar." Auch dass sämtliche Texte und Informationen künftig nur durch die Datenleitungen huschen, glaubt er nicht: "Wir gehen von einem Medien-Mix aus. Papier wird aus dem Alltag der Studenten nicht ganz verschwinden." Zur Übertragung großer Datenmengen sei das Internet derzeit auch technisch noch gar nicht geeignet.
Langfristig wäre es auch nicht erstrebenswert, das klassische Studium abzuschaffen", sagt Marion Bruhn-Suhr. "Online-Kurse sind unheimlich aufwändig und auch teuer. Eine Semesterwochenstunde kostet 100.000 Mark." Einzelne Hochschulen könnten das gar nicht schultern. (Andreas Heimann, gms)/ (ts)