Verriss des Monats: Musk bringt verbrauchte Fantasie sofort zurück

Mit Ideen von Gestern in ein selbstmörderisches Morgen: Ein Hightech-Milliardär zeigt, wie standesgemäßes Spielzeug aussieht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 60 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Peter Glaser
Inhaltsverzeichnis

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Der kleine Elon möchte gern aus dem Milliardärsfantasieparadies abgeholt werden. Er möchte nämlich gern zum Mars und seine Mama muss ihm möglichst schonend beibringen, dass es damit wohl vorerst nichts wird. Denn der kleine Elon regt sich über Realitätskorrekturen an seinen vermeintlichen Visionen immer furchtbar auf. Vermeintliche Visionen, weil Visionen eigentlich riskante Blicke des erwachsenen Elon aus der Gegenwart in eine ungewisse Zukunft hinaus sein sollten, aber es fällt ihm nicht wirklich etwas ein, außer – manisch um einen Platz in der Visionärsgeschichte bemüht – sein vieles Geld auszugeben und Visionen aus seiner Kinderzeit aufzuwärmen. Reisen zum Mars beispielsweise, mit denen sich nebenbei noch das technische Vornsein seiner Raketenfirma SpaceX demonstrieren ließe.

Am Dienstag, den 27.9. erläuterte Musk auf dem Internationalen Astronautischen Kongress im mexikanischen Guadalajara erstmals, wie er eine Kolonie auf dem Mars zu etablieren plane. Mit SpaceX sollen 2026 Menschen auf dem Mars landen. Als Fahrzeug hinüber auf den Roten Planeten solle eine 10 Milliarden Dollar teure Rakete mit einer 100-köpfigen Besatzung dienen, aus der dann eine Kolonie von einer Million Menschen hervorgehen könne. Amerikaner lieben die Zahl eine Million. Musk wolle sogar etwas in das Projekt stecken, was die Amerikaner "tens of millions of dollars" nennen, wobei allerdings auch noch eine Public-Private Partnership gesucht werde, um die Sache zu finalisieren. Weshalb Behörden, Unternehmen oder andere Organisationen sich veranlasst sehen sollten, in ein solches Projekt zu investieren, sagte er nicht. Dass jemand freiwillig sein Leben auf dem Mars verbringen möchte, erscheint ähnlich wahrscheinlich wie sein Leben in der Antarktis verbringen zu wollen.

Für den deutschen Raketenwissenschaftler Eugen Sänger war die Nützlichkeit eines derartigen Unterfangens bereits Ende der Fünfzigerjahre kristallklar: "Die Frage nach dem Sinn solcher Unternehmen hat Papst Pius XII. im Herbst 1956 gegenüber Teilnehmern des Internationalen Astronautischen Kongresses in Rom mit der offiziellen Erklärung beantwortet: 'Der Herrgott, der ins Menschenherz den unersättlichen Wunsch nach Wissen legte, hatte nicht die Absicht, dem Eroberungsdrang des Menschen eine Grenze zu setzen.' " In dem Buch "Unser Freund, das Atom" ließ der wissenschaftliche Berater von Walt Disney, Professor Heinz Haber, bereits zwei Jahre später Atomreaktoren zum Höhenflug antreten: "Eine der verlockendsten Aussichten für den Verkehr der Zukunft bietet das Atomflugzeug. ... Mit der Energie des Atomes wird es uns in absehbarer Zeit möglich sein, durch die weiten Räume des Weltalls zu fliegen."

War wohl nichts mit dem Atomantrieb für bemannte Raumfahrzeuge. Aber der große Elon hält immer noch an den Inspirationen des kleinen Elon fest und möchte, nein, nicht selber mitfliegen, sondern 100 Leute auf einen – wie wir von kundigen, mit hochauflösendem Sensorium ausgestatteten Marsrovern immer detaillierter wissen – öden, unfruchtbaren und lebensfeindlichen Planeten schicken, um zu Hause auf der Erde als großer Fortschrittsbringer gefeiert zu werden. Musk sind die Risiken, die Menschen für ein solches Projekt eingehen müssten, offenbar ziemlich schnuppe. Er sucht selbstmordbereite Sonderlinge, die sich der von ihm bereitgestellten Technik ausliefern: "Im Grunde läuft es auf die Frage hinaus: Bist du bereit zu sterben? Wenn das für dich ok ist, bist du ein Kandidat für die Reise."

Neben möglichen technischen Problemen und Langzeitfolgen wie Muskel- und Knochenschwund sind Menschen im All einer Reihe spezieller Gesundheitsrisiken ausgesetzt, zu denen eine "Raumkrankheit" genannte Kombination aus anhaltendem Schwindel und Übelkeit ebenso gehört wie Rückenschmerzen und Sehstörungen, die durch Veränderungen im Sehnerv und der Retina des Auges entstehen. Ebenso verändern sich das Immunsystem und der Flüssigkeitshaushalt. Diese Symptome werden hauptsächlich an Astronauten in der Internationalen Raumstation beobachtet, die gerade mal 400 Kilometer über der Erde ihre Runden dreht.

Elon Musk und seine Visionen (4 Bilder)

Elon Musk will "tens of millions of dollars" in sein Mars-Projekt und die Entwicklung einer Riesenrakete stecken. Mehr als 50 Raptor-Triebwerke sollen 300 Tonnen befördern können.
(Bild: SpaceX)

Um einen medizinischen Notfall weiter draußen im All zu simulieren, wurden schon Anfang der 90er-Jaher Operationen an narkotisierten Kaninchen unter den Schwerelosigkeitsbedingungen bei Parabelflügen durchgeführt – mit unschönen Ergebnissen. Wird beispielsweise eine Arterie angeschnitten, herrscht in ihr genug Druck, um das Blut sich im Blickfeld des Chirurgen verteilen zu lassen. Von den Astronauten des US-Raumfahrtprogramms Apollo, das 1969 in der ersten bemannten Mondlandung gipfelte, ist inzwischen bekannt, dass sie in überdurchschnittlichem Maß unter Herz-Kreislauf-Problemen leiden, die auf die kosmische Strahlung zurückgeführt wird, der sie auf der Reise zum Mond ausgesetzt waren.

Der große Elon kann erfolgreiche kosmische Großtaten, vor allem, wenn sie sich erstmal unüberprüfbar in die Zukunft verlegen lassen, gerade gut gebrauchen. Bei einem Testlauf explodierte eine der von SpaceX gebauten Falcon 9-Raketen und zerstörte dabei den Kommunikationsssatelliten Amos 6 des israelischen Satellitenbetreibers Spacecom. Chinesische Investoren wollten nach einem erfolgreichen Start des Satelliten bei der israelischen Firma einsteigen. Bereits im Juni 2015 war eine Falcon-9 im Flug explodiert, nachdem sich im Inneren der Rakete eine Tank-Halteklammer gelöst hatte.

Anfang Mai 2016 war eines der eleganten Elektromobile aus Musks Firma Tesla in einen tödlichen Unfall verwickelt, der durch den Autopiloten des Fahrzeugs verursacht worden war. Der Wagen raste in einen LKW-Auflieger – die umgebungs-eruierende Software des Tesla Model S vermochte den weißen Anhänger nicht vor dem hellen Hintergrund zu erkennen. "Wir sind sehr besorgt, dass den Konsumenten hier viele Versprechungen in Form einer unfertigen Technologie verkauft werden", so Laura MacCleery von der Konsumentenschutz-Organisation Consumer Reports. "Durch die Bezeichnung 'Autopilot' vermittelt Tesla seinen Kunden einen falschen Eindruck von Sicherheit."

Der MIT-Professor David Mindell hält die Idee vom autonomen Fahren überhaupt für verfehlt. Er weist dazu gleichfalls auf das Apollo-Programm hin, für das ursprünglich ebenfalls gänzlich autonome Raumfahrzeuge geplant waren. Die Astronauten sollten nur wie die Marmelade in einem Berliner mittransportiert werden. Allerdings führt ein größeres Automations-Level nicht notwendigerweise zu besseren Ergebnissen. Das Zusammenspiel von Hardware und Software in den Mondlandemodulen sollte nicht Menschen ersetzen, sondern ihnen bessere Kontrollmöglichkeiten geben.

Alles, was der große Elon angeht, muss richtig groß sein. Die neue Akkufabrik von Tesla beispielsweise soll angeblich so lang sein, dass man sich immer noch vor dem Gebäude befindet, wenn die Batterie im Wagen wieder erschöpft ist. Einige Tage nach Bekanntwerden des Tesla-Crashs Anfang Juli brachte das Wirtschaftsmagazin Fortune der Öffentlichkeit zur Kenntnis, dass "das Unternehmen und sein Gründer von dem tödlichen Unfall [wussten], als sie im Mai Aktien im Wert von zwei Milliarden Dollar veräußerten." Richtig groß eben. Um Investoren von dem Gedanken abzubringen, es könne sich bei Elon Musk vielleicht um einen Mann ohne Mars und Ziel handeln, war eine richtig große Mars-Vision fällig. Inzwischen äußern sich auch Experten, die ihm eigentlich wohlgesonnen sind, skeptisch. Musk sei zwar ein Genie, doch "seine Magie zieht nicht mehr", sagt Ryan McQueeney von Zacks Investment Research.

()