Automatisch zum Recht

Von Zugverspätung bis Garantieleistung: Unternehmen nutzen aus, dass vielen Verbrauchern die Durchsetzung ihrer Rechte zu kompliziert und teuer ist. Legal Techs wollen das ändern.

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Ist der Flieger verspätet, ein Vertrag fehlerhaft oder ein Knöllchen unberechtigt, können Bürger sich juristisch wehren. Doch viele scheuen den Gang zum Anwalt. Ihnen will eine wachsende Zahl sogenannter Legal Techs helfen. Sie versprechen, Forderungen unkompliziert durchzusetzen – und erhalten dafür einen Teil des erstrittenen Geldes.

"Justice as a Service" nennt das Düsseldorfer Start-up Helpcheck dieses Prinzip. Es beackert ein auf den ersten Blick kleines Feld: Renten- oder Lebensversicherungen, die zwischen 1994 und 2007 abgeschlossen wurden. Laut Bundesgerichtshof kamen in dieser Zeit viele Verträge mit einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung zustande. Doch allein diese Verträge summieren sich laut Helpcheck auf hundert Millionen Fälle, bei denen Kunden im Schnitt 10000 Euro an "Nutzungsentschädigung" bekommen können – Beiträge plus Zinsen.

Um diesen Schatz zu heben, setzt Helpcheck wie andere Legal Techs auf eine Mischung aus Menschen- und Maschinenarbeit. Kunden schicken ihre Verträge zunächst – digital oder auf Papier – zu Helpcheck. Eine Anwaltskanzlei prüft dann, ob die Widerrufsbelehrung tatsächlich fehlerhaft war. Wenn ja, werden die Daten der Verträge manuell in eine Software eingegeben, welche die Höhe der Nutzungsentschädigung berechnet.

Dies ist nicht trivial: "Auf Monatsbasis muss nachgewiesen werden, wie viel Rendite die Versicherung mit dem Geld des Versicherten erwirtschaftet hat", erklärt das Start-up. "Hierfür ist nicht nur die Höhe der Einlagen zu berücksichtigen, sondern weitere Faktoren wie die Nettorendite der jeweiligen Versicherung." Dazu hat Helpcheck eine Datenbank mit den einschlägigen Versicherungen aufgebaut. Steht das Ergebnis fest, ist wieder der Mensch gefragt: Eine kooperierende Kanzlei macht sich daran, die Forderung einzutreiben. Der Kunde zahlt erst bei Erfolg: Dann behält Helpcheck 25 Prozent des erstrittenen Mehrwerts als Provision ein.

Der Algorithmus habe den Arbeitsaufwand von "sechs Stunden auf fünf Minuten reduziert", sagt Peer Schulz, der Helpcheck vor einem Jahr gemeinsam mit Phil Sokowicz gegründet hat. Zu Beginn habe Helpcheck noch mit sieben Kanzleien zusammengearbeitet, um die Fülle der Verträge abzuarbeiten. "Durch die Automatisierung konnten wir das auf eine Kanzlei reduzieren."

Manche Anbieter verzichten sogar komplett auf anwaltliche Hilfe. Der 19-jährige Stanford-Student Joshua Browder hat einen Chat-Bot gebaut, der einem Nutzer in Dialogform bei der Erstellung juristischer Texte hilft. Unter der Adresse DoNotPay.co.uk geht es zunächst um Parkknöllchen. Mit Fragen versucht der Bot herauszufinden, ob es eine Chance gibt, gegen Strafzettel vorzugehen. Ist dies der Fall, erzeugt der Bot automatisch ein entsprechendes Schreiben. In London und New York konnte DoNotPay laut Browder schon 160000 von 250000 Tickets erfolgreich widersprechen. Das entspricht einer Rückerstattung von rund vier Millionen Dollar. Künftig will Browder seinen Dienst auch auf Notunterkünfte für Obdachlose ausweiten.

Die meisten Anbieter liefern jedoch wie Helpcheck juristischen Beistand mit. Seit 2013 bietet etwa geblitzt.de aus Berlin die automatische Prüfung von Tempotickets an. Rightmart aus Bremen widmet sich fehlerhaften Hartz-4-Bescheiden.

Zuerst verbreitete sich das Prinzip in der Flugbranche. Fällt ein Flug aus oder hat eine eklatante Verspätung, stehen Passagieren in der EU bis zu 600 Euro Entschädigung zu. Hier bringen sich schon seit Jahren "Fluggasthelfer" wie Flightright, Fairplane, Flug-Verspaetet.de oder Refund.me ins Spiel. Anhand des Tickets berechnen ihre Algorithmen vorab, ob beim jeweiligen Flug überhaupt Aussicht auf Entschädigung besteht. Wenn ja, setzen die Dienstleister mithilfe von Anwälten die Forderung durch. Dafür behalten sie etwa ein Viertel des erstrittenen Geldes als Honorar ein.

Newcomer wie EUClaim und WirKaufenDeinenFlug gehen noch einen Schritt weiter: Sie zahlen die zu erwartende Entschädigung sofort an den Kunden aus und treiben sie anschließend auf eigenes Risiko ein. Für Kunden hat dieser Service aber seinen Preis: Sie müssen rund die Hälfte der Forderung dem Dienstleister überlassen.

Pionier Flightright gewinnt nach eigenen Angaben fast alle Fälle und erstreitet durchschnittlich rund 400 Euro pro Kunde. Einige Fluggesellschaften haben sich laut Flightright mit den Legal Techs arrangiert und einigen sich außergerichtlich. Andere kämpfen mit härteren Bandagen. So hat etwa Billigflieger Ryanair eine umstrittene Klausel in seine Geschäftsbedingungen geschrieben, wonach Kunden ihre Forderungen nicht an Dritte abtreten dürfen.

Bei Helpcheck ist es noch zu früh, etwas über die Erfolgsquote zu sagen. Den Dienst gibt es erst seit Anfang des Jahres, und der Rechtsweg kann laut Schulz 12 bis 18 Monate dauern. Derzeit seien knapp 5000 Verträge in der Prüfung, und es habe schon einige außergerichtliche Einigungen gegeben, sagt Schulz. Zur genauen Zahl möchte er aber nichts sagen.

Mittelfristig möchte Helpcheck sein Modell auf andere Bereiche ausdehnen – zum Beispiel auf Immobilienkredite, Flugverspätungen oder Entschädigungen für VW-Kunden. Schulz: "Wenn der Prozess einmal steht, ist das kein großes Problem mehr." (grh)