Tunnel für Lasten: Projekt Maulwurf

Tunnel für autonome Fahrzeuge sollen in der Schweiz den Warentransport umkrempeln. Wirtschaftlich wäre die Idee einem Gutachten zufolge, aber wer wird sie bezahlen?

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Von
  • Marcel Hänggi

Schluss mit langen Lastwagenkolonnen auf den Autobahnen. Tunnel verbinden stattdessen die wichtigsten Städte miteinander. Darin wieseln autonome Transporter hin und her, eine Hängebahn befördert kleinere Pakete. Per Aufzug gelangen die Waren vollautomatisch an die Oberfläche, wo unbemannte elektrische Lieferwagen oder Fahrradkuriere die weitere Verteilung übernehmen.

Schweizerische Händler, Logistikfirmen und Bundesbehörden haben sich im Verein "Cargo sous terrain" (CST) zusammengetan, um diese Vision zu verwirklichen. 2030 soll das erste Teilstück zwischen Zürich und dem 70 Kilometer entfernten Härkingen fertig sein, einem Standort vieler Logistikzentren. Erweiterungen bis St. Gallen und Genf sollen folgen.

Nichts wäre leichter, als das Vorhaben für einen Traum haltloser Technologie-Optimisten zu halten. Doch im Januar hat der Verein eine Machbarkeitsstudie präsentiert, derzufolge das System realisierbar und wirtschaftlich sei. Beteiligt waren auch mögliche Kunden wie Migros und Coop, die größten Einzelhändler der Schweiz. Ende Mai konnte der Verein einen schlagzeilenträchtigen neuen Partner begrüßen: Hyperloop One. Die Kalifornier wollen Fracht- und Passagierkapseln dereinst mit mehreren Hundert Stundenkilometern durch Vakuumröhren schießen (siehe TR 7/2016, S. 50). Rob Lloyd, Chef von Hyperloop One, sagt: "Wir sind überzeugt, dass CST die Logistik von Grund auf ändern wird."

Der Bedarf für ein völlig neues Verkehrskonzept ist vorhanden. Nach Schätzungen des Bundesamts für Verkehr soll das Transportvolumen auf Schweizer Straßen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2010 wachsen. Die Idee, zumindest einen Teil davon in den Untergrund zu verlagern, ist nicht neu. So geistert seit Jahren die Vision einer "Swissmetro" durch die Debatte, eines unterirdischen Highspeedzugs zwischen St. Gallen und Genf, ohne dass eine Realisierung in Sicht wäre.

Im Unterschied dazu hat sich CST deutlich realistischere Ziele gesetzt. Das Motto lautet "Menschen oberirdisch – Güter unterirdisch". Eine kleine Spitze gegen Swissmetro. Statt mit Hochgeschwindigkeit sollen die Fahrzeuge nur mit 30 km/h, die Hängebahn mit 60 km/h verkehren. Das niedrige Tempo erlaubt enge Kurven, wodurch man beim Tunnelbau Hindernissen wie Grundwasserschichten leichter ausweichen kann. Das Ganze soll mit erneuerbarer Energie betrieben werden.

"Wir wollen uns keinen Orden für ein tolles Technologieprojekt verdienen", sagt Johannes Graf vom Ingenieurbüro CSD, bei dem die Federführung für die Machbarkeitsstudie lag. CST-Präsident Peter Sutterlüti ergänzt, das Vorhaben stütze sich weitgehend auf erprobte Technologien – vom Tunnelbau über die Steuerungstechnik bis zu Umladerobotern, wie man sie von Hochregallagern kennt. Die autonomen Lieferwagen für die oberirdische Verteilung seien zwar Zukunftsmusik, für das Projekt aber nicht zwingend notwendig. Das wirklich Neue sei die Kombination der einzelnen Komponenten zu einem Logistiksystem. Ein derartiges, nach den Bedürfnissen der Kunden geplantes Gesamtkonzept gebe es seines Wissens weltweit noch nicht, sagt Sutterlüti.

Rätselhaft ist allerdings, dass der Verein seine Studie unter Verschluss hält. Gründe gibt er dafür nicht an. Wolfgang Stölzle, Professor am transportgewerbenahen Lehrstuhl für Logistikmanagement an der Universität St. Gallen, konnte sie immerhin einsehen. "Ich habe den Eindruck, dass sie seriös ist", sagt er.

Die Tunnelröhren sollen sechs Meter breit sein und drei Spuren aufweisen, eine für jede Fahrtrichtung plus eine Ausweichspur. Die Fahrzeuge fahren auf Luftreifen über ebene Fahrbahnen, sodass sie die Spur jederzeit wechseln können. Induktionsschienen versorgen sie berührungslos mit Strom. Ein Wagen transportiert zwei Europaletten mit je 500 bis 1000 Kilogramm Nutzlast; die Schwebebahn befördert bis zu 30 Kilogramm schwere Pakete. Dank der kleinen Transporteinheiten müssen Sendungen nicht gebündelt werden, bis sie einen Lastwagen oder einen Bahnwaggon füllen. So lassen sie sich praktisch kontinuierlich ausliefern – wichtig in Zeiten, in denen Kunden ihre online bestellten Waren immer schneller in den Händen haben wollen.

Der Investitionsbedarf liegt laut Studie bei 3,5 Milliarden Franken (3,2 Milliarden Euro) für das erste Teilstück. Kosten soll der Transport dereinst 50 Rappen (45 Euro-Cent) pro Tonne und Kilometer. Das liegt zwar deutlich über heutigen Preisen im Straßentransport von 35 Rappen, soll aber laut Sutterlüti trotzdem wirtschaftlich sein. Denn erstens profitiere der Kunde von der flexibleren Logistik, zweitens gelte der Vergleichspreis von 35 Rappen heute nur für die größten Kunden. Wenn die Auslastung der Straße weiter zunehme, dürfte der Straßentransport künftig deutlich teurer werden.

Für Sutterlüti ist die größte Herausforderung rechtlicher Natur. Bis dato fehlen klare gesetzliche Bestimmungen für die Nutzung des Untergrunds. Eigentlich ist die Raumplanung Sache der Kantone. Allerdings führen allein die ersten 70 geplanten Kilometer des Projekts durch vier verschiedene Kantone. Das Bundesamt für Verkehr will deshalb einen Vorschlag für ein neues, schweizweites Gesetz ausarbeiten.

"Wenn die Politik vom Projekt überzeugt ist, wird sie die nötigen rechtlichen Voraussetzungen schon schaffen", kommentiert Logistikexperte Stölzle. Er sieht das weit größere Hindernis in der Finanzierung. Er bezweifelt, dass sich das Projekt ausschließlich über private Investitionen bezahlen lässt. Vielen dürfte das Risiko zu hoch und der Plan zu langfristig sein. Wie zur Bestätigung gaben kürzlich die potenziellen Investoren Coop, Schweizerische Bundesbahnen, Swisscom sowie die Stadt Zürich dem Vorhaben einen Korb.

Wird es dem Projekt also ergehen wie CargoCap, einem an der Uni Bochum entstandenen Konzept ? Auch CargoCap will ein vollautomatisches Untergrund-Güternetz für Strecken bis zu 150 Kilometer bauen, allerdings mit Tunneln von lediglich einem Meter Durchmesser. Eine 125 Meter lange Modellstrecke im Maßstab 1:2 existiert bereits seit Jahren. Schon für 10 bis 15 Millionen Euro ließe sich eine echte Strecke von einigen Kilometern Länge bauen, sagt Dietrich Stein, der Vater des Projekt – Peanuts im Vergleich zu Cargo sous terrain. Trotzdem konnte das Konzept noch keinen Investor überzeugen. Nun hofft Stein auf eine Wiederbelebung seiner Idee – und auf CST als möglichen Partner. CST könne die regionale Verteilung von Gütern übernehmen, CargoCap die lokale.

Experte Stölzle mag nicht so recht daran glauben. Seit dem Beschluss, neue Eisenbahntunnel durch Gotthard, Lötschberg und Monte Ceneri zu bauen, fehle es in der Schweiz am Mut für visionäre Projekte. "Dabei wissen alle, dass oberirdisch der Platz für neue Straßen und Bahntrassen fehlt, um das prognostizierte Wachstum des Transportvolumens aufzunehmen."

Ob Projekte wie Cargo sous terrain eine wirklich umweltfreundliche Lösung dafür sind, ist allerdings umstritten. Die sozialwissenschaftlich orientierte Verkehrsforschung hält es für erwiesen, dass zusätzliche Transportkapazitäten nicht einfach nur die bestehende Nachfrage befriedigen, sondern auch neuen Bedarf erzeugen. (bsc)