Abseits der Norm

ICCT: Verbrauchs-Abweichungen hoch wie nie

Das ICCT kommt in einer neuen Analyse zu dem Schluss, dass die Verbrauchswerte zwischen Labor und Praxis noch nie so weit voneinander abgewichen seien wie aktuell. Eine besorgniserregende Entwicklung, die eigentlich rasche Konsequenzen haben müsste

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(Bild: Aral)

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Von
  • Martin Franz
Inhaltsverzeichnis

Die International Council on Clean Transportation (ICCT) kommt in einer neuen Studie zu dem Schluss, dass im vergangenen Jahr Millionen Autos in der Praxis mit höherem Verbrauch unterwegs waren, als es die Angaben der Hersteller suggerieren. Für die meisten Autofahrer dürfte diese Erkenntnis wenig überraschend sein, und doch liefert die Studie durchaus bemerkenswerte Neuigkeit: Nie war die Abweichung so groß wie aktuell. Die Organisation nennt in ihrer Analyse eine durchschnittliche Abweichung zwischen tatsächlichen Fahrwerten und offiziellen Herstellerangaben von 42 Prozent.

Basis: Praxiswerte

Der ICCT startete die Zeitreihe zum Kraftstoffverbrauch im Jahr 2001. Damals betrug die mittlere Abweichung aller einbezogenen Automodelle nur neun Prozent. Für ihre Analyse griffen die Autoren der Studie auf Angaben privater Autonutzer bei spezialisierten Verbrauchs-Webseiten, Tankdaten von Leasingfirmen, Straßentests von Fachzeitschriften und Messungen von Autoclubs zurück. Nach Angaben der Wissenschaftler flossen Daten für etwa eine Million Autos in die Untersuchung ein. Trotz Unterschieden im Fahrverhalten der Besitzer habe man durch die Vielzahl der Einzelbeobachtungen damit schlüssige Ergebnisse, die einen klaren Trend für die Flotte der Neufahrzeuge anzeigten.

Nun ist die Erkenntnis, dass die Messwerte im Labor von dem, was die meisten Autofahrer auf der Straße verbrauchen, mehr oder minder deutlich abweichen keineswegs neu. Topografie, Wetter, Verkehrsverhältnisse sind individuell. Jedoch: Nie sei die „Kluft zwischen offiziellem und tatsächlichem Verbrauch“ mit 42 Prozent Abweichung so groß gewesen, betonten die Forscher des ICCT. Vor fünf Jahren hatte eine frühere Studie noch einen Unterschied von 23 Prozent, vor zehn Jahren von 15 Prozent ergeben. Nur 2005/2006 nahm sie einmal von 15 auf 14 Prozent ab.

Keine Vergleichbarkeit

Für die aktuelle Verbrauchs wird in Europa seit mehr als 20 Jahren der „Neue europäische Fahrzyklus“ (NEFZ) herangezogen. Durch zahlreiche Lücken im Anforderungskatalog, die von den Herstellern unterschiedlich intensiv genutzt werden, ist der eigentliche Vorteil eines Laborwertes längst dahin: Die absolute Vergleichbarkeit des Verbrauchs zwischen allen Autos ist so nicht gegeben.

Es gibt demnach an mindestens zwei zentralen Punkten enormen Nachbesserungsbedarf: Zum einen müsste eine verbindliche Verbrauchsmessung her, die im Labor ein Szenario nachbildet, das dem gewöhnlichen Tempo auf der Straße näher kommt. Mit der kommenden Norm WLTP ist ein erster, wenn auch sehr kleiner Schritt in diese Richtung getan. Vom ADAC gibt es ebenfalls einen recht überzeugenden Vorschlag. In beiden Verfahren verbrauchen Autos mehr als im NEFZ, kommen also dem näher, was die meisten Autofahrer beim Nachtanken ermitteln.

Geld für Lücken

Der zweite Punkt ist, dass man bei neuen, offiziellen Verbrauchsmessungen aus Fehlern der Vergangenheit lernen müsste. Dafür müssten die Anforderungen so klar definiert sein, dass sich die Autoindustrie keine Hoffnung darauf machen darf, mit reichlich Geld Lücken zu finden, mit denen der Verbrauch zwischen Labor und Straße immer weiter voneinander abweicht. Man kann der Industrie dieses Verhalten vorwerfen, doch die verfolgt eine Gewinnoptimierungsabsicht. Für sie geht es um Milliarden Euro an Umsatz. Und solange sich die Politik so intensiv von der Industrie „beraten“ lässt, ist ein „schusssicherer“ Anforderungskatalog doch ziemlich unwahrscheinlich.