Humanoids 2016: Kommen Roboter ohne Gehirn besser zurecht?

Auf der Humanoids in Cancún haben mehrere Referenten angemerkt, dass sich die Entwickler humanoider Roboter vielleicht alle auf dem Holzweg befinden. Trotzdem präsentierten die unverdrossen weiter Verbesserungen ihrer Ideen.

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Humanoids 2016: Kommen Roboter ohne Gehirn besser zurecht?

Eduardo Bayro eröffnet die Humanoids 2016.

(Bild: Hans-Arthuer Marsiske/heise online)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Der zweite Tag der Konferenz Humanoids 2016 in Cancún hinterließ einen widersprüchlichen und irritierenden Eindruck. Er war eingerahmt von zwei Plenarvorträgen, die nahelegten, dass die Forschungen zu humanoiden Robotern bisher vielleicht von falschen Annahmen ausgegangen sind und eine neue Richtung einschlagen müssten. Dazwischen berichteten jedoch viele Referenten von Forschungen, die genau diese kritisierten Ansätze verfolgen. Und der Zuhörer blieb mit der Frage, wie das alles zusammenpasst, erst einmal allein.

Intelligenz ohne Gehirn – auf diese knappe Formel brachte Minoru Asada am Morgen die Forschungen seines einstigen Studenten Koh Hosoda (Osaka University), der anschließend über "Soft Humanoid Robotics" sprach und humanoide Roboter als "eine Art Kopie des Menschen" bezeichnete. Eine Google-Suche im Internet zeige, dass sich das zumeist auf die äußere Erscheinung beziehe. Dabei, so Hosoda, sei die Kopie der Körperdynamik das eigentlich Interessante, das letztlich auch zu weichen Robotern führe.

Denn wer den Menschen kopieren möchte, müsse dessen Muskel-Skelett-System nachbilden. "Werft alle elektrischen Aktuatoren weg", forderte Hosoda und verdeutlichte anhand von Hand, Arm, Bein und Fuß, wie ein Design, das dem menschlichen Vorbild folgt, den Rechenaufwand für die Kontrolle der Gliedmaßen drastisch reduzieren kann. "Wenn wir über jeden einzelnen Schritt nachdenken müssten, wären wir nie in der Lage gewesen, vor einem Raubtier zu flüchten", sagte er.

Während ein Roboter, der einen Gegenstand greifen soll, diesen zunächst wahrnehmen und darauf aufbauend die Greifbewegung planen muss, empfahl Hosoda, die Greifbewegung selbst als Akt der Wahrnehmung zu verstehen. Statt "sense-plan-act" solle zukünftig "act-sense" gelten, die Handlung also zugleich der Sammlung von Informationen dienen. Es gelte, den Kontrollaufwand zu senken, indem die dynamischen Eigenschaften der Hardware genutzt werden. Anders als bei gängigen Industrierobotern sei die Hand beim Menschen nicht unabhängig vom Arm, sondern werde durch die dortigen Muskeln und Sehnen bewegt.

In einem Video zeigte Hosoda, wie eine nach dem biologischen Vorbild gestaltete Roboterhand schneller reagieren und einen herabfallenden Ball sicherer fangen kann. Ähnliches gelte für den Fuß, der bei Robotern zumeist flach gestaltet ist, während er beim Menschen aus 26 Knochen bestehe, die komplexe Interaktionen mit dem Untergrund erlauben. Diese Designprinzipien zu übernehmen, entlaste nicht nur den Rechenaufwand für die Roboterkontrolle, sondern helfe vor allem, den Menschen besser zu verstehen.

Mit der letzten Folie seines Vortrags formulierte Chris Atkeson (links) eine interessante These über unerwartete Folgen modellbasierter Kontrollverfahren.

(Bild: Hans-Arthur Marsiske/heise online)

In eine ähnliche Richtung argumentierte Chris Atkeson (Carnegie Mellon University), der sich in seinem Vortrag mit Kontrollverfahren für humanoide Roboter beschäftigte. Er selbst habe jetzt 30 Jahre mit modellbasierten Ansätzen gearbeitet, sagte er. Das habe anfangs recht gut funktioniert, als es noch um einfache, sehr schwere Roboterarme mit wenigen Freiheitsgraden ging. Später musste der Ansatz durch Lernverfahren und dynamische Programmierung ergänzt werden. Letztlich habe er sich die vergangenen drei Jahrzehnte aber vor allem mit Modellfehlern beschäftigt.

Und die können gravierende Folgen haben. Mit sichtlicher Schadenfreude zeigte Atkeson Videoaufnahmen von stürzenden Robotern bei der Darpa Robotics Challenge im vergangenen Jahr. Alle Teams, die mit dem Roboter Atlas-1 gearbeitet hätten, hätten mit einem Fehler von zwei Zentimetern bei der Lokalisierung des Massenschwerpunktes zu kämpfen gehabt. Dagegen sei der Roboter von Atkesons Team als einer der wenigen kein einziges Mal hingefallen. Dennoch fragt er sich, ob der modellbasierte Ansatz mittlerweile vielleicht seinen Treibstoff aufgebraucht hat. Insbesondere die nicht nur von Hosoda favorisierten weichen Roboter seien der "denkbar schlechteste Anwendungsfall für modellbasierte Kontrollverfahren".

Zwischen diesen beiden engagiert vorgetragenen Plädoyers, neue Wege zu beschreiten, gab es dann aber zahlreiche Vorträge, in denen eine große Bandbreite an Ideen zur Optimierung traditioneller Verfahren ausgebreitet wurde. Tamim Asfour (Karlsruhe Institute of Technology), leitender Herausgeber der Humanoids 2016, gibt dazu im Videointerview mit heise online zu bedenken, dass humanoide Roboter immer noch ein sehr junges Forschungsgebiet seien, in dem viel ausprobiert werden muss.

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Beim Interview hätte Eduardo Bayro eigentlich gerne den an seinem Institut entwickelten und ersten in Mexiko gebauten humanoiden Roboter vorgeführt. Da hier aber gerade die Postersession stattfand, wäre er dann überhaupt nicht mehr zu verstehen gewesen. Deswegen nur ein Foto.

(Bild: Hans-Arthur Marsiske/heise online)

Der General Chair der Konferenz, Eduardo Bayro vom Forschungsinstitut CINVESTAV in Guadalajara, verweist auf neue Lernverfahren, die unter dem Titel "Deep Learning" zusammengefasst werden und der Robotik neuen Schwung geben könnten. Zu diesem Thema wird am letzten Konferenztag Patrick van der Smagt (TU München) einen Vortrag halten. Der zu pointierten Formulierungen neigende Chris Atkeson sagte dazu: "Die Barbaren stehen vor der Tür, die Deep-Learning-Leute, die Nichtswisser." Die Humanoids 2016 könnte zum Schluss also noch mal recht unterhaltsam werden.

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(mho)